Boutique Clemente Elemente: Im Schaufenster Geschichten erzählen Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wir sind alle Opfer – ausgeliefert einer raffinierten Verkaufsstrategie voller psychologischer Finessen und optischer Anreize. Wir wissen es und akzeptieren die Rolle lustvoll. Am liebsten erliegen wir der großen Verführerin Mode.

Stuttgart - „Nur ein bisschen Window-Shopping!“ Soll heißen: nur gucken, nicht kaufen. Kein Geld ausgeben. Ein frommer Selbstbetrug. Wozu sind Schaufenster denn sonst da? Warum werden sie mit Bedacht dekoriert und gestaltet? Als Bühne einer perfekten Inszenierung, die Wünsche weckt und magisch anzieht. Gewappnet mit dem wiederum völlig unrealistischen Vorsatz: Nur mal anschauen. Bis dann die Vernunft aussetzt: Widerstand zwecklos!

Was man in diesem Sommer dringend zum Anziehen braucht, ist bei Breuninger zwischen exotischen Früchten und üppigen Blumenbuketts arrangiert: Mit den Fähnchen wird ein Hauch Karibik verkauft. Nostalgisches Gepäck weckt bei der Boutique Clemente Elemente Reiselust. „Wir wollen mit dem Schaufenster eine Geschichte erzählen“, erklärt Geschäftsführerin Lisa Meletiadou. Die Geschichte von Ferien und lässigen Gewändern in elegantem Grau-Weiß, die unbedingt noch in den Koffer sollten.

Der Schaufenster-Test

Horst Wanschura hat seine Puppen sogar schweben lassen. Modische Höhenflüge oder Leichtigkeit des Seins? Ganz schön abgehoben. „Schaufenster sind ganz wichtig“, bestätigt Winni Klenk vom Modegeschäft Abseits auf dem Kleinen Schlossplatz. „Vor allem sonntags“, verrät er. Da sei er manchmal im Laden, unsichtbar für die Passanten draußen, und höre die Kommentare der Leute vor seinen Auslagen: positive ebenso wie negative. Nach dem Motto: „Toll, gefällt mir.“ Oder: „Scheußlich, wer soll das denn anziehen!“ Klenk lacht: „Hauptsache, sie bleiben stehen und gucken. Dann kommen sie vielleicht am Montag wieder. Und betreten auch den Laden.“

Da muss der Handel perfekt gemacht wer-den, und darum sind hier die weiteren Kauf-Anreize wohl überlegt positioniert: die Parade der Schuhe, verlockend und für alle haptischen Annäherungen zugänglich. Komplette Outfits, damit die Kunden nicht lange nachdenken müssen, wozu nun dieser Rock, diese Hose oder diese Jacke passen könnten. Drapiert auf Puppen, die nach der Ära der gesichts- und kopflosen Figuren wieder Persönlichkeiten mit Gesichtern und Frisuren darstellen: „Wir setzen wieder auf Individualität“, erklärt Klenk. Das gesamte Angebot angezogen zu präsentieren, wie es die bei allen Mode-Experten bekannte Pariser Adresse Colette hält, wolle er nicht nachmachen, meint Klenk. Die Klamotten hängen an der Stange, basta.

Warenpräsentation, auf Neudeutsch Visual Merchandising, ist eine Wissenschaft, die mehr über die psychologischen Geheimnis-se und Abgründe eines Konsumenten weiß als er selbst. Als harte Nüsse, schwer zu knacken, gelten Männer. Sie seien im Gegensatz zur weiblichen Spontankäuferin Bedarfskäufer. Unterziehen sich der lästigen Prozedur des Auswählens und Anprobierens nur im Ernstfall: wenn Kittel und Hose zu schäbig geworden sind oder nicht mehr passen. Diese Problem-Klientel müsse man mit besonderen Tricks ins Geschäft locken, sagt Peter Anklam, Dozent an der Akademie für Mode-Management in Nagold und Experte in Visual Merchandising: Mit Farben, vorzugsweise Blau, statt dem ewigen Schwarz, Grau und Braun der Herren-Zwirns. Und hübschen Verkäuferinnen, am besten blond und langhaarig.

Männer lassen sich verführen

Der Einordnung in dieser Schublade wider-spricht nicht nur der Kollege F., der sich als durchaus verführbar durch optische Anreize in den Schaufenstern seines Lieblingsausstatters outet. „Stimmt gar nicht“, sagen auch Horst Wanschura und Winni Klenk: Ihre Kunden seien schnell, aber wild entschlossen. „Ich verkaufe über das Schaufenster ganze Outfits“, verrät Wanschura. Die Herren wollen wissen: „Ist das meine Größe? Dann packen Sie’s ein. In einer halben Stunde will ich draußen sein.“ Mit der Zeit geizen die Herren. Klenk erzählt von Kunden, die zu Beginn der Saison nach Schleppnetz-Manier einkaufen: Hosen, Hemden, Sakkos, Schuhe. Erledigt. „Männer sind leichter zu bedienen als Frauen, sie sind einfacher gestrickt.“ Klenk muss es wissen.

Keine Spiegel in der Kabine

Das Entree gehört hier wie dort den Damen, während die Herren gern im Hintergrund und unter sich bleiben. Aus reiner Rücksicht auf ihre sensible Psyche: „Die wollen es intimer und sich beim Anprobieren nicht zuschauen lassen“, weiß man im Metier. Ob die geballten Anreize ihre Wirkung nicht verfehlen, erweist sich erst in der Kabine. Dort gebe es bei ihm keinen Spiegel, plaudert Horst Wanschura einen Trick aus. Keine Ausflüchte hinterm Vorhang. Denn der Meister der Mode will selbst begutachten, beraten, hier Hand anlegen und dort zurechtrücken, auch mal abraten: „Da habe ich was Besseres für Sie.“ War da im Hinterkopf noch ein Gedanke an Verzicht und endlich mal sparen müssen? Schon vergessen.

Glückliche Opfer.