Foto: Wolfgang List

Bei der VIP-Party im 1893, dem neuen Clubrestaurant, herrschte drangvolle Enge. Wollen in schlechten Zeiten alle noch dichter zusammenrücken?

Stuttgart - „Blinde Bratwurst“ – bestellen kann man sie hier nicht. Sie steht nicht auf der Speisekarte. Sie steht an der Decke des Lokals.

Im VfB-Clubrestaurant 1893, das am Donnerstagabend mit dem amtierenden VfB-Präsidenten und drei Vorgängern nach neunmonatigem Umbau eröffnet worden ist, passiert es häufig, dass Gäste in die Luft gucken, also nach oben. Der Himmel des Vereinsheims ist voll geschrieben mit Weisheiten, wie sie nur Fußballverrückte hervorbringen. „Du blinde Bratwurst“ – mit diesen würzigen Worten hat Ex-Manager Fredi Bobic, als er noch Spieler war, mal einen Schiedsrichter angesprochen. Jetzt ist die Wurst in eleganter weißer Schrift verewigt.

Man darf nicht alles so schlecht reden wie es war. Der Bobic ließ sich nicht blicken beim Start der neuen VfB-Wirte Christian List und Alexander Scholz (sie betreiben die Gastronomie im Staatstheater, das Cantina, das Lehmann und den Stadtstrand), hängt aber immer noch über allem. „Was im Winter passiert, wissen wir heute noch nicht“, lautet ein weiterer Fredi-Spruch im Dickicht der Deckenschrift, „wir wissen nur, dass es kälter wird.“

Misserfolg macht nicht zwingend einsam. VfB-Präsident Bernd Wahler war nicht allein, als er vor 260 geladenen Gästen (darunter Axel Schmieg, dessen Familie das VfB-Lokal 27 Jahre lang geführt hatte und der nun einen Besen in Winterbach betreibt) feststellte: „Im Moment gelingt uns nicht alles – aber das hier ist uns gelungen.“

Mit „das hier“ meint er das komplett umgebaute Lokal, das elf Monate geschlossen war und mit einem so behaglichen wie modernen Ambiente bei der Premiere sehr gut angekommen ist. So viel VfB-Tradition hängt an Wänden und Decken, dass sich Fans nicht satt sehen können. Mittags ist das Lokal „unsere Mensa“, so Wahler. VfB-Mitarbeiter zahlen fünf Euro fürs Essen.

Auf Ehrgeiz kommt’s beim Fußball an. „Wir wollen das schönste Vereinsheim in Deutschland werden“, sagte der Präsident. Wenn es schon nicht zur Bundesliga-Spitze reicht, kann man wenigstens auf Platz eins beim gastronomischen Vergleich stolz sein. „Wenn es gut läuft“, meinte der frühere City-Manager Hans H. Pfeifer, „dann wollen sich alle im Glanz sonnen.“ Aber gerade jetzt komme es darauf an, zum Tabellenletzten zu stehen und an ihn zu glauben.

Kultus- und Sportminister Andreas Stoch tut es. Er kam zur Feier im neuen Lokal, wo er unter anderen Gerhard Mayer-Vorfelder traf. Der war einst der Grund, warum Stoch kein VfB-Fan werden wollte: „Früher war ich als Juso aktiv – da ging der rechte MV an der Vereinsspitze gar nicht!“

Keiner hat den VfB so lange geprägt wie der 81-jährige Mayer-Vorfelder, der von 1975 bis 2000 quasi als Alleinherrscher am Wasen regierte. Im neuen Heim bewunderte er die alten Spielerfotos an der Wand und hatte seinen Spaß daran, Wahler abzufragen: „Wie heißt der Vierte von links?“

Selbst der ungeliebte Ex-Präsident Gerd Mäuser ließ sich blicken, bog aber rasch in ein Nebenzimmer ab. Mäuser steht ja immer noch auf der Gehaltsliste des Vereins.

„Die müssen so viele geschasste Führungskräfte zahlen, dass kein Geld für gute Spieler da ist“, meinte ein Fan, der anonym bleiben will. Opernintendant Jossi Wieler findet es gut, dass Trainer Armin Veh noch nicht zur Disposition steht: „Man kann nicht ständig wechseln.“ VfB-Ehrenrat Michael Russ hält nichts davon, Spieler in der Öffentlichkeit zu zerpflücken und ihnen das Selbstbewusstsein zu nehmen. Unter den Gästen der VIP-Party: Kapitän Christian Gentner, die Ex-VfB-Stars Hansi Müller, Guido Buchwald, die Wasenwirte Hans-Peter Grandl, Klaus Wilhelmer.

Natürlich kann man im neuen Vereinsheim auch MV-Zitate entdecken. Beispiel: „Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts.“ Nie war es so schön wie heute Decken-Sprüche zu studieren. Die zu lesen ist wesentlich angenehmer als die Tabelle.