Szene aus dem Video: Sechs von 13 Jesus-Bewerbern sind noch im Rennen. Wer gewinnt, ist in der Brenzkirche zu sehen. Foto: Luise Müller-Hofstede

Videoshow „Casting Jesus“ in der Brenzkirche : Wie sich Glaubensexperten idealen Gottessohn vorstellen.

Stuttgart - In Fernsehdeutschland erlahmt das Interesse an Superstar-Inszenierungen, Casting-Shows brechen die Zuschauer weg. Die Brenzkirche setzt dennoch auf das TV-Format und zeigt per Video die Suche nach dem Super-Jesus in einem alten Hospiz direkt beim Vatikan. Die drei Juroren sind Vatikan-Mitarbeiter.

Statt des Altarbilds ist in der evangelischen Brenzkirche am Killesberg vom kommenden Sonntag an ein Video zu sehen. Es zeigt eine Stunde lang, wie junge Männer in Kutten um die Wahl zum am meisten überzeugenden Jesus konkurrieren. Was sie zu tun haben? Die Regieanweisung gibt ein echter Monsignore: „Ein bisschen weinen, ein wenig leiden“, ruft José Manuel del Rio Carrasco den Kandidaten zu. Der Monsignore sowie der Kunstkritiker einer vatikanischen Zeitung und der Filmkritiker der italienischen Bischofskonferenz sind als ausgewiesene Gottes-Experten die Juroren bei der Jesus-Wahl.

Das Projekt ist ein Werk von Christian Jankowski. „Ich will die Kirche nicht auf den Arm nehmen, sondern in einem Medienformat, das Vorbilder schafft, das heutige Bild von Jesus zeigen“, stellt der 44-Jährige Künstler mit Lehrauftrag an der Kunstakademie Stuttgart fest. Erst nach monatelangen Gesprächen gelang es ihm, seine Jury mit hochkarätigen Mitarbeitern des Vatikan zu besetzen. „Ich konnte sie davon überzeugen, dass meine Arbeit zur Annäherung zwischen moderner Kunst und Kirche beitragen kann.“

Kirchenbesucher können sich mit ihren eigenen Christus-Vorstellungen auseinandersetzen

Beim Casting spielen die 13 Darsteller verschiedene Stationen im Leben Jesus nach: Segnen, Brot brechen, Kranke heilen. Im Finale müssen sich die drei übrig gebliebenen Bewerber der schwierigsten Aufgabe stellen: dem Tod am Kreuz. „Stirb!“ befiehlt der Monsignore – und Jesus lässt mit ausgebreiteten Armen nach kurzem, seelenvollen Blick gen Himmel den Kopf auf die Brust fallen. Nach einem Moment betroffenen Schweigens ist der Monsignore nicht mehr zu halten. „Bravissimo!“ jubelt er und klatscht wie seine Mitjuroren begeistert in die Hände. „Wie er sich gibt, wie er sich bewegt hat, das erscheint mir nicht wie eine Karikatur Jesu’“, lobt der Geistliche.

„Das Video zeigt die unbewussten Vorstellungen der Jury, die bei der Jesus-Wahl zum Zug kommen“, urteilt Helmut Albert Müller. Der Pfarrer ist Leiter des Bildungszentrums Hospitalhof und verantwortlich für die Vorführung des Videowerks in der Brenzkirche. Das Spannende an dem Film ist für ihn das Spiel mit den Jesus-Klischees. „Die Bilder, die sich Menschen von Gottes Sohn machen, verraten mehr über sie selbst als über die historische Jesus-Gestalt“, sagt er. Für die Kirchenbesucher verbindet er mit der Performance die Chance, sich mit ihren eigenen Christus-Vorstellungen auseinandersetzen zu können. Dass es Kritik geben, gar von Gotteslästerung die Rede sein kann, schließt der Pfarrer nicht aus. „Dann muss man diskutieren“, sagt er.

„Auch Gott hat viel Humor“

Vom Vatikan wurde das Video nicht beanstandet. Zunächst hatte der Monsignore den Künstler zwar gebeten, eine Szene rauszuschneiden. „Darin sagte der Monsignore unter Gelächter der Jury, dass einer der Jesus-Darsteller so langsam gehe wie der Direktor der Sixtinischen Kapelle. Ich konnte ihn aber davon überzeugen, dass so eine Aussage sympathisch macht, weil sie so menschlich ist“, sagt Jankowski. Die komischen Momente des Films hätten mit Blasphemie rein gar nichts zu tun. „Auch Gott hat viel Humor.“

Auf vordergründigen Witz will Jankowski seine Arbeit nicht reduziert wissen. Außer um den Wandel des Christusbildes geht es ihm darum, die Werte in Frage zu stellen, die in den Casting-Shows vermittelt werden. Den Plan Jesu’, die Schuld der Menschheit auf sich zu nehmen, hält er für ein großartiges Unterfangen, „auch wenn mancher es belächeln mag“.

Nachdem das Video bereits in London und Tokio zu sehen war, wird es in Stuttgart in der Brenzkirche erstmals gezeigt. Es läuft auch im Gottesdienst, aber ohne Ton. Eröffnung ist am 20. Mai um 11 Uhr. Zu sehen ist das Video bis 1. Juli, Dienstag und Freitag: 9 bis 12 Uhr und 14 bis 18 Uhr; Mittwoch und Donnerstag: 14 bis 18 Uhr; an Sonntagen 10.30 bis 12.30 Uhr.