Mercedes-Benz-Arena, Cannstatter Kurve: Der VfB – und sonst gar nichts Foto: dpa

Wenn nicht alles täuscht, ist der VfB Stuttgart sportlich wieder auf einem Weg, der Hoffnung macht. Die Gräben zwischen Teilen der Fans und der Führungscrew sind dagegen tiefer denn je. Das neueste Beispiel: Die Auseinandersetzungen um die Wahl des neuen Präsidenten.

Stuttgart - Im letzten Akt eines großen Dramas kulminiert für gewöhnlich alles, was die Geschichte an Schicksalhaftem zu bieten hat. Die seismografischen Schwingungen um den gefallenen Helden VfB künden jedenfalls von einem finalen Beben. An diesem Sonntag bittet der Verein für Bewegungsspiele 1893 zur Mitgliederversammlung. Und weil er dies zum ersten Mal nach 39 Jahren wieder als Zweitligist tut, gibt es noch mehr als sonst zu bereden.

Nach fünf Spielzeitzen im freien Fall ist der Stolz schwäbischer Fußballseelen hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen. Lange hatte sich der Verein damit aufgehalten, allzu wehleidig und zögerlich seine Wunden zu lecken. Besserung blieb aus. Jetzt erscheint er seinen schärfsten Kritikern unheilbar krank. Weshalb sie am Sonntag mit gewetzten Messern ans Rednerpult treten werden, um die eine oder andere Amputation anzuregen. An Haupt und Gliedern. Ganz nach Jean-Jacques Rousseau, wonach die Vernunft den Menschen formt und das Gefühl ihn leitet.

Rachedurst der Opposition

Zwar ist der vormalige Sportvorstand Robin Dutt längst in den Weiten des Allgäu verschwunden und der mutmaßlich freiwillig zurückgetretene Präsident Bernd Wahler, in Weiß-Rot gehüllt, nur noch einmal als Besucher des VfB-Spiels am Lauterer Betzenberg gesichtet worden, aber das reicht nicht, um den Rachedurst der Stuttgarter Fundamental-Opposition zu befriedigen.

Seit Wochen laden die Vormänner des Widerstands ihre Geschütze vorzugsweise in den sozialen Netzwerken, um ihr Verständnis vom Neubeginn einem breiten Publikum einzubläuen: erst einmal alles zerstören.

Zur Mitgliederversammlung in der Schleyerhalle liegt ein Antrag vor mit dem Ziel, den Aufsichtsrat in Gestalt von Martin Schäfer, Wilfried Porth und Hartmut Jenner dorthin zu schicken, wo der Pfeffer wächst. Wiewohl es eher unwahrscheinlich ist, dass mindestens 75 Prozent der Stimmberechtigten den VfB in den Status „Chaos“ zurückversetzen möchten. In nachgewiesenermaßen schwierigen Zeiten wochenlang keinen Aufsichtsrat zu haben, erscheint zumindest den Vernunftbegabten unter den Wut-Anhängern nicht als die passende Lösung. Die Troika, rekrutiert aus dem Kreise namhafter Sponsoren (Würth, Daimler, Kärcher), mag sich einiger Versäumnisse in ihrer Kontrollfunktion schuldig gemacht haben, auch der eine oder andere Altvordere wurde angeblich mit leeren Versprechungen in seinem Ego verletzt, aber in der Hauptsache werfen Teile der VfB-Kundschaft den Dreien vor, genau das unterlassen zu haben, wofür ihre Vorgänger noch lauthals gescholten wurden: Das permanente Einmischen in die operativen Geschäfte der Vorstandschaft.

Giftpfeile, gern auch unter die Gürtellinie, feuern die Heckenschützen auch deshalb gegen die Chefkontrolleure, weil sie statt zwei – wie laut Satzung erlaubt – nur einen Kandidaten für das Präsidentenamt ins Rennen schicken. Zwar beteuert Martin Schäfer, „dass wir ausführlich mit 13 Kandidaten gesprochen und uns dann eindeutig nur für den einen entschieden haben“, in den Ohren der Opposition klingt das aber so glaubhaft wie eine Mär aus dem Fundus von Münchhausen.

Fragen des Vertrauens

Beim Aushängeschild württembergischer Fußballkünste stellen sich deshalb heftiger denn je Fragen des Vertrauens und das schwäbische Idiom erfährt bei den Club-Verantwortlichen in diesen aufgewühlten Tagen neue Aufmerksamkeit: Wie man’s macht, isch’s nix.

„Das ist ja eine Situation fast schon wie vor einer Landtagswahl“, wundert sich Joachim Schmid, SPD-Stadtrat in Esslingen und Vorsitzender des größten VfB-Fanclubs Rot-Weiße Schwaben Berkheim (1150 Mitglieder). Er denkt an die Zeit nach dem 9. Oktober. „Ganz egal, wie die Präsidenten-Wahl ausgeht. Man muss doch auch dann noch miteinander auskommen.“

Vor dem Tag der Abrechnung nicht ganz unerwartet zwischen die Fronten geraten ist Wolfgang Dietrich (68). Seine Vergangenheit als kantiger Sprecher des Bahnprojekts S 21 schmälerte schon im Vorgriff auf seine Kandidatur den Grad seiner Beliebtheit. Dass er als erfolgreicher IT-Unternehmer Teile seines Vermögens in Proficlubs investierte, rückt ihn im Verständnis der Lordsiegelbewahrer traditioneller Fußballwerte zudem in die Nähe der ungeliebten Großfinanziers der Liga: Hopp (1899 Hoffenheim), Mateschitz (RB Leipzig) und Kühne (HSV).

Die Party der Ultras

Beseelt von der romantischen Vorstellung, dass die Postkutschen schon wieder fahren werden, wenn sie man es nur lange genug fordern, wüten Teile der Ultra-Szene um Commando Cannstatt gegen alles, was nach Kommerz riecht, genießen im Stadion aber die Vorzüge der Moderne und feiern nebenbei ihre ganz eigene Party: Mit preisgünstigen Tickets – und wenn es sein muss auch mit Pyros, Krawall-Einlagen und schmähenden Internet-Posts, die Verletzungen der Anstandsregeln als taktisches Foul tolerieren. Da kann es schon mal passieren, dass man den Präsidentschafts-Kandidaten als „kriminellen Vollidioten“ apostrophiert. Und die Sponsoren-Vertreter im Aufsichtsrat aus der Cannstatter Kurve der unsportliche Ratschlag ereilt: „Verpisst euch!“

Im steten Verlangen, dem Präsidentschafts-Kandidaten irgendwas ans Bein zu binden, das ihn noch verhindern könnte, malen seine Kritiker Szenarien ins Web, die ihm genau das zum Vorwurf machen, was sie selbst all die Jahre von einem VfB-Präsidenten gefordert haben: Kenntnis der Branchengesetze, ein funktionierendes Netzwerk und Durchsetzungsvermögen gegenüber Aufsichtsrat, Medien und dem restlichen Begleittross im Circus Maximus.

Weil der überwiegende Teil der Ultras sich darin gefällt, gegen jeden und alles zu sein, entrollten sie zuletzt Transparente, die ihre Ambivalenz aufs Feinste entlarven: „Demokratiesierungs-Paket ablehnen“ stand zu lesen und: „Wir sind der Verein.“

Was in den Ohren der Normalos ziemlich überheblich klingt ist auch deshalb ein grobes Missverständnis, weil sich unter den nunmehr bald 48 000 VfB-Mitgliedern nur bestenfalls 1500 den Ultras zurechnen. Das Satzungspaket, das der Verein an diesem Sonntag zur Abstimmung vorlegt, sieht vor, künftige Abstimmungen auch jenen allerorten zur ermöglichen, die nicht an einer Mitgliederversammlung teilnehmen können oder wollen. Etwa per Briefwahl oder online.

Machtproben

Der Ultra verspürt aber generell wenig Verlangen, seine Macht mit den anderen Mitgliedern zu teilen. Und womöglich schwant dem einen oder anderen, dass ihm unter einem Präsidenten Wolfgang Dietrich nicht so ohne weiteres der rote Teppich ausgerollt werden könnte.

Der jedenfalls wird nicht müde, für seine Wahl zu trommeln. Dietrich eilt von Fanclub zu Fanclub, diskutiert mit Mitgliedern, um die 2000 dürften es am Ende sein, stellt sich im Internet den Fragen der weiß-roten Glaubensbrüder und -schwestern. Er sagt: „Man muss mich nicht mögen.“ Aber er sagt auch: „Ich kann aber erwarten, dass man mich respektiert.“ Eine Runde Mitleid darf er deshalb aber nicht erwarten.

Kämpfen wie ein Löwe

Und es ist ja auch nicht so, dass ihn niemand gewarnt hätte. Zum Beispiel sein alter Freund Dieter Hoeneß. „Natürlich ist der VfB ein hoch interessanter Verein“, sagt der ehemalige Manager (VfB, 1990 bis 1995) „aber es war ja klar, dass S 21 und sein früheres Engagement als Investor wieder zum Thema werden.“ Dabei ist er sicher, dass dem VfB genau das helfen könnte, was Dietrich in seinen vormaligen Rollen ausgezeichnet habe. „Wenn er sich einer Sache erst einmal verschreibt, dann kämpft er für sie wie ein Löwe.“ Ob er es noch einmal darf, entscheiden am Sonntag die VfB-Mitglieder.