Fassungslos: Christian Gentner vom VfB Stuttgart Foto: Bongarts

Der VfB ist dem Untergang schon sehr nah, und auch bei den Stuttgarter Kickers fehlt nicht mehr viel. Ein paar Gedanken zur großen Stuttgarter Abstiegskomödie.

Stuttgart - Wenn das Stuttgarter Schauspiel an diesem Sonntagabend Samuel Becketts Einakter „Endspiel“ aufführt, sind die wahren Stuttgarter Endspiele längst gelaufen. Es ist ja eine unsägliche Einfallslosigkeit der Fernsehkommentatoren, Fußballspiele pausenlos zum „Drama“ hochzubrüllen. Sollte es beim Fußball tatsächlich um ernstere Dinge als um Leben und Tod gehen, wie es der Trainer Bill Shanky gesagt hat, dann doch nur, weil das Leben und der Tod noch langweiliger sind als der VfB.

Ob Becketts Drama „Endspiel“ jetzt rein zufällig auf dem Spielplan steht, wage ich zu bezweifeln. Stuttgarts Schauspiel-Intendant Armin Petras ist Anhänger von Union Berlin, genannt „Die Eisernen“, kennt sich also aus mit der Psychologie finaler Existenzkämpfe. Im Info-Text zu Becketts Stück zitiert das Staatsschauspiel einen der beiden Protagonisten, er heißt Clov, mit den Worten: „ . . . Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende.“

Wenn ich jetzt den Ball, meinem Horizont angemessen, sehr flach spiele, dann stelle ich mir vor, wie ich an diesem Samstag im B-Block auf der Waldau stehe und sehe, wie erst der Fernsehturm einstürzt und dann die Welt untergeht. Was für ein vollendetes Ende.

Beckett hat in den achtziger Jahren übrigens öfter für den damaligen SDR gearbeitet – nicht weit entfernt vom Stöckach, wo bis 1905 die Stuttgarter Kickers, 1899 als FC Stuttgarter Cickers gegründet, beheimatet waren. Im Sinne des irischen Nobelpreisträgers wäre es angebracht, dem Saisonende der Kickers so oder so mit Ironie zu begegnen: Der Fall von der dritten Liga in die Regionalliga erscheint, global gesehen, eher endlich.

Die Lust auf die perfekte Katastrophe

Allein mit dem Abstieg der Kickers wäre das apokalyptische Szenario allerdings nicht rund. Während die Blauen nur einen lausigen Punkt gegen Chemnitz (13.45 Uhr/Gazi-Stadion) brauchen, um nicht als Spielball anderer Zufallskicker ins Elend gestoßen zu werden, muss man über das Aus ihres heimischen Liga-Konkurrenten VfB Stuttgart II schon gar nicht mehr nachdenken. Diese Herrschaften sind bereits abgestiegen, könnten aber den Kickers noch einen rührenden Gefallen tun, wenn sie bei ihrem Rausschmeißer-Auftritt beim Abstiegskandidaten SV Wehen Wiesbaden punkten. Im dramatischsten Fall wäre das ganz großes Kino: Die rote Reserve aus Cannstatt rettet im Angesicht ihres eigenen Todes dem Rivalen aus Degerloch das Leben. Ein Endspiel, wie es in jedes Landser-Heftchen passt.

Leider aber wäre diese Heldentat nicht geeignet, zum größten anzunehmenden Unfall in der Stuttgarter Fußballgeschichte beizutragen – wobei das Wort „Unfall“ nicht dazu verleiten sollte, an etwas Schicksalhaftes zu denken: Am sportlichen Desaster im Kessel haben nicht die Götter im Himmel, sondern die Grasdackel in der Chefetage Schuld.

Die Lust auf die perfekte Katastrophe wäre für alle Leichengaffer am Spielfeldrand im Übrigen erst dann befriedigt, wenn nach dem VfB II auch die Kickers in Gras beißen würden – und auch die zweitklassigen Erstliga-Söldner des VfB als Endspiel-Opfer enden. Die Roten aus der Mercedes-Benz-Arena mit dem Logo des Sponsors Mercedes-Benz-Bank auf der Brust kann ja bekanntlich nur noch ein sogenanntes Wunder oder aber ein sauberer Akt der Korruption retten: Sie müssten ausgerechnet bei der Betriebsmannschaft des abgasverseuchten Daimler-Konkurrenten VW in Wolfsburg (15.30 Uhr/Sky) gewinnen (und zusätzlich durch ein wundersames Ergebnis im Endspiel Bremen – Frankfurt belohnt werden).

Den verwöhnten Fans des Event-Fußballs droht eine Ära des Verzichts

Der Blick auf eine Stadt, in der es möglich ist, drei Teams mit Berufsfußballern gleichzeitig in die Unterklassigkeit durchzustecken, verspricht eine große Endspiel-Komödie. Schade, dass diese Show weite Teile des Fußvolks gar nicht wahrnehmen werden: Viele Leute sind noch damit beschäftigt, sich über den unaufhaltsamen Aufstieg einiger Amateure und Nichtskönner in die höchsten Ämter der neuen Landesregierung zu wundern. Das Post-Endspiel-Trauma wird erst einsetzen, wenn in der „Tagesschau“ nur noch alle paar Monate ein Grüner namens Kretschmann etwas über sichere Grenzen und Herkunftsländer daherschwäbelt – und kein roter Stuttgart-Trainer mehr jedes Wochenende die Willkommenskultur seiner Viererkette erklärt.

Eine Ära des Verzichts, der verlorenen Würde und Ehre droht dennoch nur den verwöhnten Fans des Event-Fußballs. Wer wie unsereins jahrzehntelang mit den Kickers die Discounter-Angebote vier verschiedener Fußballligen geprüft hat, kennt keine Mindesthaltbarkeits- und keine Endspiel-Angst. Gute Fans beißen lustvoll auch in den faulen Apfel.

Am Ende sollten wir es mit dem Dichter Beckett halten: „Wir fragen immer nur, ob es ein Leben nach dem Tod gebe. Wir sollten fragen: Gibt es ein Leben nach der Geburt?“ Im Fußball – die Fans wissen es – gibt es Wiedergeburten, und das Spiel wird weitergehen, so wahr wir alle endlich sind.