Am Ball in Portugal: Vedad Ibisevic. Foto: Pressefoto Baumann

Auf ihre Winter-Trainingslager lassen die Bundesligisten nichts kommen. Der VfB sucht in Portugal sein Glück. Dabei gibt es gute Gründe, auf die teuren und aufwendigen Reisen zu verzichten.

Lagos - Der starke Wind treibt den Regen schräg über den Platz, es pfeift an allen Ecken. Schirme reißen die Böen umgehend davon. Kalt ist es obendrein. So kalt, dass auf der Fahrt zum Trainingsplatz des VfB die Autoscheiben beschlagen. Wer da freiwillig ins Freie geht, bettelt um eine handfeste Erkältung. Vorsichtshalber macht das Trainerteam kurz vor der morgendlichen Einheit eine Platzbegehung, um sicherzustellen, dass der Rasen den Starkregen der vergangenen Nacht einigermaßen geschluckt hat. Dann ist es halb zehn, das Training beginnt, und wie von Geisterhand gesteuert hören die Niederschläge auf. Glück gehabt! Zwei Stunden später sagt Huub Stevens zufrieden: „Plätze gut, Wetter gut, Hotel gut.“ Aber alles gut?

Mit Verlaub: Regen, Wind und Wetter hätte der VfB auch in Stuttgart haben können – die vorhandenen Annehmlichkeiten sowieso: eine warme Kabine, Kraft- und Massageräume, Sauna, das clubeigene Restaurant für das gemeinsame Frühstück und Mittagessen – und reservierte Parkplätze für Spieler und Trainer obendrein. Schnee wird in Zeiten der Erderwärmung ohnehin zum Fremdwort. Wenn doch ein paar weiße Flocken fallen, kommt wenigstens mal die Rasenheizung zum Einsatz.

Wer braucht da Trainingslager im Süden? Die Antwort: alle.

Sobald es Januar wird, stürzen sich die Bundesligisten, Lemmingen gleich, in die Flieger und jetten hinaus in die Welt: Spanien, Türkei, USA, Katar, Südafrika. Oder Portugal – wie der VfB, den der Neun-Tage-Trip rund 125 000 Euro kostet. Im Gepäck haben sie eine tonnenschwere Ausrüstung von zu Hause und die feste Zuversicht, dass ihnen die Flucht in den Süden, Westen oder Osten eine erfolgreiche Rückrunde bescheren wird – was schon rechnerisch unmöglich ist. Und ungeachtet aller Schreckensmeldungen, die alljährlich aus den Winterquartieren dringen. Stevens beklagt sich, weil die Bälle in den Sturmböen nicht beim Adressaten landen. Belek, wo in diesen Tagen acht Erstligisten weilen, meldete „Land unter“: Gewitter, Regen, elf Grad. Die Spieler aus Augsburg, wo es am gleichen Tag 14 Grad hatte, absolvierten einen Lauf, weil der Platz unter Wasser stand. Gladbach konnte wegen eines Stromausfalls nicht trainieren, Hannover twitterte: „Kaum ein Team traut sich raus.“

Der VfB trotzt Wind und Wetter. Das ist immer noch besser als die Verhältnisse zu Hause – sagt nicht nur Co-Trainer Armin Reutershahn. „Unser Platz in Stuttgart hat erheblich gelitten, da ist kaum mehr Rasen, weil wir zweimal täglich darauf trainiert haben. Er ist kaum mehr bespielbar.“ Die Sportschule Ruit wäre eine Ausweich-Option, doch es muss schon Lagos sein. Dort liegt der Rasen da wie ein Teppich, die Halme stehen dicht, die Drainage funktioniert. Was nicht unerheblich ist. Früher ist der VfB gleich nach Silvester ins Trainingslager gefahren und hat erst mal Kondition gebolzt, jetzt hat er sich zu Hause die Fitness erarbeitet und feilt nun an den taktischen und technischen Feinheiten. „Wenn du auf dem saftigen Grün in kurzen Ärmeln trainieren kannst, bist du gleich gut gelaunt“, weiß Sportvorstand Robin Dutt und hofft: Was leichtfüßiger einstudiert ist, lässt sich im Ligaalltag einfacher abrufen.

In Belek hat der VfB vor Jahren in einem Hotel gewohnt, in dem die Spielerberater ein- und ausgingen. In Lagos sind die Profis unter sich und haben ihre Ruhe – auch vor manch schlafraubenden Geräuschen zu Hause. „Viele Spieler sind junge Väter. Wenn der Nachwuchs zahnt und schreit, ist es mit der Ruhe dahin“, sagt Armin Reutershahn.

Früher wähnten die Trainer ihre Spieler in Trainingslagern vor Versuchungen aller Art gefeit, wobei Ausnahmen die Regel bestätigten. Dass Profis noch immer ausbüxen oder sich dem Alkohol hingeben, schließt Robin Dutt aus: „Die Spieler sind heute sehr diszipliniert. Etwas anderes kann sich keiner leisten, weil der moderne Fußball keine Nachlässigkeiten mehr verzeiht.“

Dennoch hält Dutt das Miteinander rund um die Uhr im Trainingslager für unverzichtbar. Bevor sie nach Portugal abreisten, hatten die VfB-Profis in Stuttgart schon zehn Stunden täglich zusammen verbracht. „Aber hier“, sagt Dutt, „wartet abends niemand auf die Spieler. Da ist mehr Zeit für Einzelgespräche und Mannschaftssitzungen.“ Und mehr Muße für das gegenseitige Kennenlernen, wie Reutershahn betont. Neudeutsch heißt das „Teambuilding“ – gut gemeint, aber fragwürdig.

Beim letztjährigen Trainingscamp in Kapstadt hatte der VfB die Ausflüge auf den Tafelberg und nach Robben Island ausdrücklich als interne Maßnahme zur Förderung des Teamgeistes deklariert und Begleiter ausgeschlossen. Dennoch verlor der VfB die ersten sieben Bundesligaspiele nach dem Südafrika-Trip. Was die These bestätigt: Die Basis für den Erfolg schaffen die Vereine im Sommer – oder auch nicht. Im Winter lassen sich allenfalls Nuancen korrigieren.

Dazu dienen die Testspiele. Internationale Topgegner gibt es aber so gut wie keine, weil die starken Ligen in Spanien, England und Italien im Winter durchspielen. So muss sich der VfB in Lagos mit Clubs wie KF Laçi und Sporting Farense begnügen. Ein albanischer Erst- und ein portugiesischer Zweitligist als Gradmesser? Am 31. Januar kommt ein anderes Kaliber – Europa-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach.