Strahlende Sieger unter sich: Alexandru Maxim (li.) und Christian Gentner. Foto: Pressefoto Baumann

Spektakuläreren Fußball hatte Trainer Armin Veh den Fans des VfB vor der Saison versprochen. Jetzt haben sie ihn. Nur: Spektakel ist gut, ein bisschen Konstanz im Spiel wäre noch besser.

Frankfurt - Wenn man am Ende der Spielzeit auf die Saison 20114/15 des VfB Stuttgart zurückblicken wird, dann markiert womöglich das 0:2 gegen die TSG 1899 Hoffenheim den Wendepunkt. Die Wende zum Guten? Zumindest die Abkehr vom Graue-Maus-Fußball. Den hatte die Mannschaft ihrem Anhang bis dahin bis zum Abgewöhnen serviert, ehe Trainer Armin Veh im Vorfeld der Partie gegen die Kraichgauer das Chaos zum Prinzip ausrief. „Die Mannschaft darf nicht immer daran denken, was sie alles falsch machen kann“, sagte er damals. Es war der laut formulierte Wunsch nach ein bisschen mehr Mut zum Risiko, nach mehr Unberechenbarkeit – kurz: nach mehr Spektakel.

Gut, in besagter Partie war davon noch nicht viel zu sehen, die Roten kickten bleiern wie eh und je. Doch was danach mit dem Spiel bei Borussia Dortmund (2:2) seinen Anfang nahm und beim 5:4 gegen Eintracht Frankfurt nun seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, darf man getrost eine Entwicklung nennen. Die Fesseln sind gelöst, der VfB spielt wieder Fußball.

Die ersten 60 Minuten in Frankfurt waren das Beste, was die Mannschaft mit dem Brustring nicht nur in dieser Saison, sondern seit einer gefühlten Ewigkeit geboten hat. Frühes, aggressives Pressen und ein schnelles Umschaltspiel mündeten in Ballstafetten, die den Gastgebern von Minute zu Minute mehr die Ratlosigkeit in die Gesichter trieb: Spielt hier wirklich der VfB aus Stuttgart?

Der Trainer hat entscheidenden Anteil am spielerischen Aufschwung. Die Stärke des Fußball-Lehrers aus Augsburg besteht darin, ein genaues Gespür für eine Mannschaft zu entwickeln. Anders sind seine von außen bisweilen seltsam anmutenden Umstellungen (Sararer, Rüdiger) nicht zu erklären. Veh profitiert inzwischen von seiner großen Erfahrung als Bundesligatrainer. Den – taktisch klugen – Schachzug seines Gegenübers Thomas Schaaf, zur zweiten Halbzeit den schnellen Stefan Aigner gegen Gotuko Sakai loszulassen, konterte Veh damit, dass er den Japaner alsbald herausnahm und durch Antonio Rüdiger ersetzte. Das sich anbahnende Unheil nach dem 3:3 wurde gerade noch einmal abgewendet.

Die Überraschungsmomente haben Energie und Spielfreude freigesetzt. Bestes Beispiel dafür ist Martin Harnik. In weiten Teilen der Saison lief der Österreicher vorne rechts über den Platz, als habe er sich im Wald verlaufen. Am Samstag durfte er anstelle von Vedad Ibisevic erstmals als zentraler Stoßstürmer ran – und machte ein überragendes Spiel. Dass sich scheinbar gesetzte Profis wie Nationalspieler Antonio Rüdiger plötzlich auf der Bank wiederfinden, gehört ebenfalls zu Vehs Wundertüten-Taktik – welche sich nun eins zu eins in den Leistungen auf dem Platz niederschlägt.

Natürlich ist kein Trainer der Welt zufrieden, wenn seine Mannschaft vier Gegentore kassiert. Vehs Kommentar nach der Partie sagte jedoch einiges über sein momentanes Spielverständnis aus. „Erst haben wir vorne nichts hinbekommen – und jetzt . . .“ Der 53-Jährige musste laut loslachen. Jeder wusste, was gemeint war. Und auch wenn er im Schwange der Verrücktheit dieses Spiels allgemeine Milde walten lassen wollte („Über Fehler will ich heute nicht reden“), so wird er schon wissen, was er nun angehen muss: der Mannschaft Konstanz einimpfen.

Einen 3:1-Vorsprung innerhalb von acht Minuten zu verspielen lässt sich eigentlich nicht erklären. Höchstens damit, dass der Mannschaft die Abgezocktheit fehlt, einen am Boden liegenden Gegner auch bis zum Ende dort zu halten. Zum Beispiel, indem sie das Tempo herausnimmt oder versucht, den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten. Einige Spieler wie Oriol Romeu beherrschen das ganz gut, andere wie Alexandru Maxim werden beim ersten Gegenwind (der Anschlusstreffer zum 2:3) nervös und fabrizieren plötzlich unmögliche Anspiele.

Auf die Moral lässt all dies nicht schließen – diese scheint intakt. Bester Beleg dafür war weniger das Zurückkommen nach dem 3:4, was einer gelungenen Einzelaktion von Timo Werner zu verdanken war, als dem Auftritt nach dem unglücklichen 0:1. Erstmals in dieser Saison verfiel die Mannschaft nach einem Rückstand nicht in Schockstarre, sondern spielte unbeirrt weiter und wurde mit den Toren zum 3:1 belohnt. Die Aufholjagd vergangene Woche beim 3:3 gegen Bayer Leverkusen zeigt nachhaltig Wirkung.

„Wie wir die Rückschläge wegstecken, war stark. Nun müssen wir weiter daran arbeiten, dass wir Konstanz in unsere Leistungen bringen“, hat Kapitän Christian Gentner richtig erkannt. Und Martin Harnik ergänzte: „Diese Fehler müssen wir abstellen, denn wir können nicht immer fünf Tore schießen.“

Auch das stimmt. Denn auf einen Gegner wie Eintracht Frankfurt, der den Gästen Räume bis zum Horizont ließ , wird der VfB nicht jede Woche treffen. Schon gar nicht zu Hause, wo sich die Gäste-Teams auch künftig am eigenen Strafraum einigeln werden. Das werden ganz andere Spiele, voraussichtlich schon kommenden Samstag (15.30/Sky) gegen den VfL Wolfsburg. Der Trainer wird hoffentlich auch dann eine Antwort finden – und dem Wundertüten-Fußball seiner Elf eine Prise Abgeklärtheit beimischen.