Nicht schon wieder: Timo Werner ist ein Meister im Vergeben von Großchancen. Foto: Baumann

Keiner sprintet beim VfB Stuttgart so schnell wie Timo Werner. Doch Schnelligkeit ist das eine, Präzision und ein kühler Kopf beim Abschluss das andere. Daran hapert es bei dem 19-jährigen Schwabenpfeil vor dem Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach noch.

Stuttgart - Englische Woche, die Regeneration stand im Vordergrund. Also beließ es VfB-Trainer Jürgen Kramny am Montag bei einer Videoanalyse. In der nötigen Ausführlichkeit legte er seinen Schützlingen dar, was sie bei der 1:2-Heimniederlage gegen Hannover 96 alles schlecht (und was gut) gemacht hatten, um die richtigen Lehren für die nächste Aufgabe bei Borussia Mönchengladbach (20 Uhr/Sky) zu ziehen.

Die versemmelte Großchance von Timo Werner in der 75. Minute bedurfte keiner näheren Analyse. Der Angreifer wusste auch so, dass er den Ball aus fünf Metern idealerweise im leeren Tor untergebracht hätte. Weil er dies aber nicht tat und sein Treffer zur 1:0-Führung am Ende wirkungslos blieb, verließ er nach Schlusspfiff wortlos die Arena. „Ich habe aber nicht den Eindruck, dass er jetzt den Kopf hängen lässt. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass er schon wieder richtig Lust auf Fußball hat“, sagte Kramny und übte sich mit seinem glücklosen Angreifer in Nachsicht: „Das ging alles so schnell. Timo hat den Ball gesehen, das Tor aber wahrscheinlich nicht. Deswegen hat er danebengeschossen.“

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So einfach ist das. Tor oder knapp vorbei, Sieg oder Niederlage – im Fußball liegt beides meist nah beisammen. Gleiches gilt für Timo Werner: Der Junge aus Stuttgart-Münster, der am Freitag seinen 20. Geburtstag feiert, wandelt permanent zwischen den Extremen. Da ist auf der einen Seite der jüngste Bundesliga-Debütant in der Geschichte der Roten und der jüngste Doppeltorschütze der Bundesliga. Der es in dieser Spielzeit in 22 Partien auf fünf Tore gebracht hat – ein weiterer (persönlicher) Rekord) für Timo Werner. Auf der anderen Seite haftet ihm seit einiger Zeit ein ziemlich unschönes Begleitwort an: Chancentod. Einer aktuellen Statistik zufolge liegt Werner mit 15 vergebenen Großchancen auf Platz eins im Verballer-Ranking der Bundesliga. Dass er für seine fünf Treffer 56 Torschüsse benötigte und damit eine ähnlich schwache Chancenverwertung aufweist wie seine gesamte Mannschaft, schmückt ihn als Stürmer auch nicht gerade – genauso wenig wie seine vielen Leerläufe ins Abseits. Die haben ihm bei den Fans schon einigen Spott eingebracht.

Ein Fluch der guten Anlagen

Dabei ist beides nur ein Fluch der guten Anlagen, über die Timo Werner verfügt. Keiner sprintet im Team der Roten so schnell über den grünen Rasen wie der Blondschopf mit dem langen Oberkörper und den flinken Beinen, die vielen Vorlagen für seine Mitspieler mal ganz außer Acht gelassen. Doch wie das so ist, wenn die Beine manchmal schneller sind als der Kopf: Dann steht man als Angreifer eben im Abseits – oder beim Torabschluss neben sich.

Der Schwabenpfeil weiß um diese Schwächen: „Ich spiele immer auf Kante, da muss ich noch häufiger das richtige Timing erwischen“, sagt er. Beim VfB sind sie sicher, Timo Werner die Kaltschnäuzigkeit noch antrainiert zu bekommen. Die Sonderschichten im Training dauern an. „Das mit dem Torabschluss kann man lernen“, sagt Sportvorstand Robin Dutt, der mantrahaft wiederholt: „Timo ist ein junger Spieler, die Jungs sind keine Maschinen.“

Bei aller Wertschätzung: Seinen Stammplatz im Sturm muss sich Timo Werner jede Woche aufs Neue verdienen. Martin Harnik drängt nach seiner Verletzung in die Mannschaft, auch Artem Kravets will sich auf der Bank nicht den Hintern platt sitzen. Möglich, dass Kramny irgendwann von seiner Ein-Mann-Sturm-Taktik abweicht. Zwei Angreifer seien nicht ausgeschlossen, sagt er. Im Borussia-Park wird Werner am Mittwoch aber wohl wieder den Alleinunterhalter im Angriff spielen. Er wird auch wieder seine Chancen bekommen – und womöglich die richtigen Statistiken aufbessern.