Auf Abstand? VfB-Trainer Huub Stevens und sein Team Foto: Baumann

Andere beschwören im Kampf gegen den Abstieg die Einheit, VfB-Coach Huub Stevens dagegen hat seine Spieler offen kritisiert. Weil er wachrütteln will – und sich eine Trotzreaktion erhofft. Ganz ohne Risiko ist diese Aktion aber nicht.

Stuttgart - Manch Beobachter war tatsächlich ein wenig verwundert und erinnerte sich an vergangene Tage. „Früher“, sagte einer der Zuschauer am Trainingsplatz des VfB Stuttgart, „sah ein Straftraining noch anders aus.“ Dann zeigte er in Richtung des Hügels, der das Clubgelände begrenzt, und erzählte die Geschichte, wie Felix Magath seine Jungs einst dort quälte. Doch, wie gesagt: Die Zeiten haben sich geändert.

Nun gilt auch Huub Stevens nicht als Zartbesaiteter, aber das, was er seinen Spielern am Montag anstelle des geplanten freien Tages abverlangte, hatte dann doch eher etwas von einem gehobenen Wellnessprogramm. All jene, die beim 2:2 gegen den SC Freiburg länger zum Einsatz gekommen waren, durften nach einem Lauf und ein wenig Stretching schon wieder zum Duschen.

Dabei hatte der Trainer des VfB Stuttgart noch am Samstag und Sonntag sein Team öffentlich kritisiert – was deshalb so aufsehenerregend war, da Huub Stevens bislang wie eine Schallschutzmauer vor seiner Truppe gestanden war.

Riskiert Stevens den Bruch mit seiner Mannschaft?

Nun aber hatte er den Profis wieder und wieder die nötige Ernsthaftigkeit nach der 2:0-Führung im Derby abgesprochen – die letztlich in einem 2:2 mündete, das die brisante Lage im Kampf gegen den Abstieg noch einmal verschärfte. Und das Fragen aufwarf wie diese: Riskiert der Trainer kurz vor dem heißen Saisonfinale den Bruch mit seiner Mannschaft?

Eher nicht – glauben zumindest einige Experten. „Er musste diese Möglichkeit nutzen, um alle wach zu bekommen“, sagt Werner Mickler. Der Kölner Sportpsychologe ist ein erfahrener Mann im Umgang mit Fußballtrainern in der Ausbildung und solchen, die es in den Profibereich geschafft haben. In den Lehrgängen wird den Nachwuchscoaches ein Repertoire aufgezeigt, wie Teams auch in Krisensituationen zu führen sind.

„Wann muss oder kann ich was machen?“, lautet die Eingangsfrage der Inhalte. Mickler sagt aber auch: „Entscheidend für die Methode ist immer die Ursache.“ In Stevens’ Fall hält er dessen Enttäuschung für ausschlaggebend für die Reaktion: „Er weiß ja, dass es die Jungs eigentlich besser können.“

Weil aber auch der Psychologe nicht an eine rein emotionale Entscheidung des VfB-Trainers glaubt, bekräftigt er: „Ich empfand das eher als Weckruf.“ Und eben nicht als vernichtende Kritik.

Die verbale Kehrtwende könnte Stevens Glaubwürdigkeit kosten

Entsprechend vertrauensvoll könne auch weiter zusammen gearbeitet werden. „Huub Stevens hat ja schon oft genug betont, dass er an die Mannschaft glaubt“, sagt Mickler.

Allerdings gilt auch: Die verbale Kehrtwende könnte Stevens im Spielerkreis Glaubwürdigkeit kosten. Aber gerade im längeren Zusammensein von Trainer und Team sieht Mickler die Rechtfertigung für die öffentliche Kritik: „Wäre er erst relativ neu zur Mannschaft gestoßen und hätte so reagiert – er hätte die Spieler gleich verloren.“

Entsprechend anders handelten etwa Bruno Labbadia und Michael Frontzeck, die Neu-Trainer des Hamburger SV und von Hannover 96 nach ihren Auftaktniederlagen beim neuen Club. Das Duo beschwor trotz der Pleite die Einheit und versuchte, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Über diesen Punkt ist Stevens längst hinaus.

Dem Coach kann im Saisonfinale jedes Mittel recht sein

Zwar muss auch der Niederländer die Spieler nach wie vor hinter sich vereinen, im Saisonfinale kann dem Coach aber auch jedes Mittel recht sein – wenn es am Ende zum Erfolg führt. Erst recht, da er nach der Saison ohnehin den Verein verlassen wird.

Entsprechend glaubt auch Ex-VfB-Profi Günther Schäfer nicht an eine negative Wirkung der Schelte des Trainers. Für die restlichen vier Spiele könne Stevens’ Reaktion den Glauben an den Coach sogar noch stärken, meint der ehemalige Abwehrspieler: „Huub kann jetzt sagen: Hört mir zu, ich weiß, von was ich rede.“

Schon am Sonntag hat der Cheftrainer seine Meinung vom Samstag mit Videobildern untermauert. Für den Rest der Runde, schätzt Schäfer, könnte die ganze Angelegenheit sogar noch einmal einen Schub bringen, „wenn die Spieler den Trainer eines Besseren belehren wollen“.

Dann hätte Huub Stevens das erreicht, was er mit seiner öffentlichen – und nicht gerade risikolosen – Kritik angestrebt hatte. An Erfolg seines Kniffs glaubt der Niederländer, sonst hätte das Straftraining wohl tatsächlich ein wenig anders ausgesehen.