Ständig das Handy am Ohr: Jan Schindelmeiser Foto: Baumann

Der VfB Stuttgart setzt bei seinem Projekt Wiederaufstieg auf Spielertypen, die für die zweite Bundesliga gut genug sind, bei einer Rückkehr in die Bundesliga aber nicht die große Perspektive haben.

Grassau - Thomas Hagn, Berkay Özcan, Joel Sonora, Dijon Ramaj oder Marco Stefandl waren bislang nur den eingefleischsteten VfB-Fans ein Begriff. Die rund 100 Anhänger, die jeden Tag die Einheiten im Trainingslager am Chiemsee aus nächster Nähe mitverfolgen, haben sich deren Gesichter langsam eingeprägt. Alle anderen fragen sich besorgt: Was bitteschön hat Trainer Jos Luhukay zwei Wochen vor dem Ligastart am 8. August gegen den FC St. Pauli da für einen Kader beisammen? Und bei allem Respekt: Wie soll damit der direkte Wiederaufstieg ins Fußball-Oberhaus gelingen?

Florian Klein musste sich nach seinem EM-Urlaub auch erst einmal umsehen. „So viele neue Gesichter“, berichtet der 29-Jährige, „das war schon enorm.“ Diejenigen, die den Verein nach dem Abstieg verlassen haben, kann er schon kaum mehr aufzählen. Daniel Didavi, Martin Harnik, Timo Werner, Serey Dié, Przemyslaw Tyton, Lukas Rupp, Daniel Schwaab, Georg Niedermeier, Artem Kravets, Federico Barba – sie alle suchen ihr Glück woanders. Das gilt genauso für Filip Kostic, über dessen Zukunft bald Klarheit herrschen wird. Aller Voraussicht nach liegt sie in Wolfsburg. Fehlt noch Emiliano Insua, dessen Chancen auf einen Verbleib immerhin auf 50 Prozent beziffert werden.

Sportchef Jan Schindelmeiser besitzt ein gutes Netzwerk in Südamerika

Also findet Florian Klein: „Wenn wir konkurrenzfähig sein wollen, muss sich schon noch was tun.“ Die meisten anderen Spieler sehen es genauso, sprechen es nur nicht so deutlich an. Ist schließlich auch nicht ihre Aufgabe, sondern die von ihrem Chef Jan Schindelmeiser. Der 52-Jährige muss über einen starken Handy-Akku verfügen, so viel wie er in den Tagen von Grassau telefoniert. Seine zweiwichtigste Aufgabe neben der Kaderplanung: Ruhe und Zuversicht verbreiten. Das kann der Flensburger gut, man merkt ihm seine lange Auszeit aus dem Geschäft nicht an. Also sagt er Sätze wie: „Der Markt ist noch lange nicht verlaufen.“ Oder: „Der VfB ist nach wie vor eine gute Adresse.“

Die für interessierte Zuzügler freilich an Attraktivität eingebüßt hat. Was nützt die beste Lage bei einer Baustelle in direkter Nachbarschaft? Gutes Beispiel: Hajime Hosogai (30) von Hertha BSC, der sich nicht zwischen Darmstadt 98 (kleiner Club, Bundesligist) und dem VfB (großer Club, abgestiegen) entscheiden kann. Maximilian Wittek von Ligakonkurrent 1860 München ist gar nicht erst zu bekommen.

Dabei würde Hosogai einerseits passen. Bundesligaerfahren, vielseitig, loyal. Für die zweite Liga eine Verstärkung, obwohl nicht mehr mit der ganz großen Perspektive für die Zeit danach. Noch besser wären Profis, die beides verbinden.

Co-Trainer Olaf Janßen auf Scouting-Tour in Nordeuropa

Weil die aber nicht auf Bäumen wachsen, plant der Sportchef teils zweigleisig: die nahe Zukunft mit dem Ziel aufzusteigen. Und langfristig mit Spielern mit größerer Perspektive. Nach denen wirft er jetzt schon die Angel aus. Weil es zum Geschäft gehört, attraktiven Kandidaten frühzeitig Avancen zu machen. Hoffenheim sei dafür das beste Beispiel gewesen, sagt Schindelmeiser und zählt Transfers wie Ba, Gustavo oder Obasi auf. Sein Netzwerk in Südamerika kann ihm da eine Hilfe sein, aber das, wie gesagt, in ferner Zukunft. Die prall gefüllte Kriegskasse (rund 40 Millionen Euro aus Verkäufen) soll nicht vorschnell geopfert werden und wird natürlich auch benötigt, um Einbußen nach dem Abstieg zu kompensieren.

Aktuell heißen die Baustellen: Sturm und offensives Mittelfeld. Die Außenbahnen sind verwaist, und man mag sich nicht ausmalen, was passiert, sollte sich etwa Simon Terodde verletzen. Daniel Ginczek wird schließlich erst zur Rückrunde wieder fit. Vielleicht wird Co-Trainer Olaf Janßen ja in Nordeuropa fündig, wo er sich auf Scouting-Tour befindet.

Ansonsten kommt dem VfB die zweite Liga bei der Spielersuche vielleicht sogar entgegen. Durch den früheren Ligastart könnten die Stuttgarter insofern profitieren, als sie bis Transferschluss (31. August) schon vier Pflichtspiele absolviert haben – und dann wirklich wissen, wo der Schuh drückt. Zudem hat der eine oder andere Spieler der Bundesligisten womöglich festgestellt, dass er in seinem aktuellen Team weit weniger zum Zuge kommt als gedacht.

Trotzdem alledem spricht Jos Luhukay von einer „schwierigen Situation“. Bei aller Dringlichkeit in der Kaderplanung will er schließlich auch noch den einen oder anderen Jungen an die Profis heranführen. Damit Berkay Özcan, Marco Stefandl und Co. nicht länger nur den Hardcore-Fans des VfB Stuttgart ein Begriff sind.