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Darf ein Trainer seine Mannschaft in der entscheidenden Phase der Saison öffentlich an den Pranger stellen? Unsere Sportredakteure Dirk Preiß und Jochen Klingovsky haben unterschiedliche Meinungen zur Kritik von VfB-Trainer Huub Stevens an seinem Team.

Pro: Der laute Weckruf ist des Trainers Pflicht

Womöglich hätten die Worte von Huub Stevens überhaupt keine Wirkung entfaltet – hätte nicht sein Gegenüber das Kontrastprogramm geliefert. Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, lud nach dem 2:2 im Derby beim VfB Stuttgart alle Schuld für die missratene erste Halbzeit auf sich selbst ab. Sein VfB-Pendant dagegen nahm sich öffentlich seine Spieler zur Brust, die allzu früh den Schlendrian hätten walten lassen. Ein Unding im Kampf um den Klassenverbleib? Mitnichten!

Stevens kennt seine Mannschaft – und die Spieler kennen den Niederländer, der ihnen ein ums andere Mal den Rücken gestärkt hat. Dass er nun, vor dem Schlussspurt im Rennen um den Klassenverbleib, noch einmal einen Weckruf sendet, ist mehr als legitim – zumal die Gefahr besteht, dass die Mannschaft die Situation noch immer ein wenig zu hoffnungsfroh sieht. Trotz des 18. Platzes.

Dieses Team hat es mehrfach nicht geschafft, der Saison früh einen positiven Verlauf zu geben. Es hat Chancen liegen gelassen, für Entspannung zu sorgen (zuletzt gegen Freiburg). Und es hat zu selten den spielerischen Aufschwung in Punkte umgemünzt. Der letzte Punch fehlte allzu oft. Diesen vor dem Herzschlagfinale auch öffentlich einzufordern, ist geradezu die Pflicht eines verantwortungsbewussten Trainers.

Dirk Preiß

Contra: Huub Stevens riskiert den Bruch mit den Spielern

Die Fans standen Spalier bei der Ankunft des Mannschaftsbusses am Stadion. Die Mitarbeiter der Geschäftsstelle hatten die Spieler am Tag zuvor mit Applaus verabschiedet. Die Vereinsführung versucht seit Wochen, die VfB-Familie zu einen und auf das gemeinsame Ziel Klassenverbleib einzuschwören. Motto: #mirschaffendas – gemeinsam wohlgemerkt. Und was macht Huub Stevens? Er wendet sich ausgerechnet vor der entscheidenden Phase der Bundesliga-Saison öffentlich gegen seine Mannschaft und riskiert so den Bruch mit den Spielern.

Sicher: Der Trainer hat die Pflicht, das Team zu kritisieren und Fehler schonungslos anzusprechen. Wie sonst sollen sie behoben werden?

Doch monatelang hat er dies intern getan und dem VfB so die Ruhe verschafft, die im Vergleich zur Konkurrenz ein großes Plus darstellte. Warum also ändert er nun seine Marschroute? Sieht er seine Mission in Gefahr und schiebt die Schuld schon vorab seinen Spielern in die Schuhe? Hat er seine Emotionen nicht unter Kontrolle? Oder ist all die Ruhe in Verein und Umfeld plötzlich nichts mehr wert? Huub Stevens’ öffentliche Kritik ist sicher berechtigt – aber sie kommt zur Unzeit. Vier Spiele sind im Existenzkampf noch zu absolvieren. Mehr denn je muss der VfB nun seine Kräfte bündeln. Da darf der Trainer nicht ausscheren.

Jochen Klingovsky