VfB-Trainer Huub Stevens: Ordnung halten – auf und neben dem Platz Foto: Bm

Der VfB Stuttgart will sich fit machen für die Zukunft – mit einer Struktur- und Personalreform. Da kann Huub Stevens Erfahrung nicht schaden.

Stuttgart - Wenn es stimmt, dass ein Trainer so schicksalhaft vom Glück verlassen werden kann wie ein Spieler beim Roulette, dann ist der zurückgetretene Armin Veh der moderne Emissär des Orakels von Delphi. Dem zweifelnden VfB-Präsidenten Bernd Wahler hatte er jedenfalls eine Wette angeboten, wonach die Mannschaft nun gar nicht mehr anders könne, als mit der Fortune in Freiburg zu siegen, die ihr zuletzt verwehrt geblieben war. Wenn die Geheimnisse des Erfolgs tatsächlich auf solch schlichten Wahrheiten gründen sollten, dann nähme der VfB nach dem 4:1 im Badischen unwiderstehlich Kurs in Richtung Meisterschaft.

Weil im darwinistisch gefärbten Abenteuercamp der Bundesliga aber weit mehr dazu gehört, um sich dauerhaft zu behaupten, stricken die Seminarteilnehmer um Bernd Wahler seit Wochen an einer Struktur- und Personalreform, die allen Stürmen widerstehen soll. Dass sich die Innen-Architekten des Vereins dabei nichts sehnlicher wünschen, als in einer entspannten Atmosphäre über ihren großen Wurf für die Zukunft zu sinnieren, ist verständlich. Aber der Umbau wird begleitet von Ruhestörungen.

Das könnte ausgerechnet eine Führungskraft ändern, der sie am Ende der vergangenen Saison nur sehr bedingt zutrauten, die VfB-Vision 2020 mitzuentwerfen. Anstelle des Visionärs („Ich will hier was entwickeln“) Armin Veh agiert nun der Pragmatiker Huub Stevens (61), der sich erst gar nicht mit der Frage aufhält, ob ihn fliehendes Glück, ein schmales Budget oder eine dezimierte Clubführung am Erfolg hindern könnten.

Stattdessen fordert der erfahrene Niederländer die Rückbesinnung auf Tugenden, die es den Sportsfreunden in kurzen Hosen überhaupt erst erlauben, die hohe Kunst des Spiels zu zelebrieren. „Wir sind wieder zu den Basics zurückgegangen“, bestätigte Innenverteidiger Antonio Rüdiger nach dem geglückten Auftritt an der Dreisam. Kapitän Christian Gentner sprach davon, dass der neue Trainer keine Wunderdinge erwarte. „Es ist ihm wichtig, aus einer stabilen Ordnung heraus zu agieren.“ Was im Umkehrschluss die Frage aufwirft, ob Veh und seine Eleven zuletzt daran gedacht hatten, die Konkurrenz mit der Chaostheorie und eingesprungenen Piaffen zu beeindrucken.

Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, dass Armin Veh sein Personal falsch einschätzte und ein wenig blauäugig der Lehre schwäbischer Fußball-Romantiker folgte, die in Erinnerung an bessere Zeiten hartnäckig die These vertreten, wonach eine volle Ladung Offensive schon reicht, um den Gegner vom Toreschießen abzuhalten.

Eine an und für sich schöne Geschichte, die aber von der Wirklichkeit und von Tabellenplatz 18 widerlegt wurde. Jetzt trainieren die Berufsfußballer wieder mit Schienbeinschützern. Beobachtet von einem Fitnesstrainer, für den sie ob seiner Muskelpakete die Türen auf der Geschäftsstelle verbreitern müssen. Und der Coach sorgt sich neben Disziplin, Taktik und mentaler Frische auch um die Frühstücksgewohnheiten seiner Mitarbeiter. Punkt 9.30 Uhr löffeln die Profis wieder gemeinsam ihr Müsli. „Junge Spieler, die alleine wohnen. Da weißt du nie“, sagte Stevens und lächelte so zufrieden, als sei ihm ein alter Witz wieder eingefallen. „Es wird hart gearbeitet“, lobte Bernd Wahler, „und der Trainer lebt es vor.“

In Freiburg immerhin gönnten ihm Mannschaft und Coach einen Gemütszustand, den er vermutlich nur noch aus dem Kino kannte. „Ich fühle mich wohl“, sagte Bernd Wahler, „so wohl wie schon lange nicht mehr.“ Solche kleinen Sentimentalitäten können einem Mann nicht schaden, dem seit Dienstantritt alle paar Wochen der Himmel auf den Kopf fällt. Weil sich nach dem Rauswurf von Fredi Bobic niemand mehr so richtig eignet, die Rolle des Sündenbocks zu übernehmen, blickt der Präsident mehr denn je in skeptische Gesichter. Der fundamentalkritische Teil der weiß-roten Fangemeinde macht ihn inzwischen für jede geplatzte Bratwurst vor dem Stadion verantwortlich, verfolgt argwöhnisch seine Dribblings als Headhunter und Kapitalbeschaffer. Ergebnis offen.

Wahler sortiert aktuell die Kandidatenliste für die Bobic-Nachfolge als Sportvorstand. Wenig deutet darauf hin, dass sich die Größen der Branche auf dem Cannstatter Wasen drängeln. Und als wäre es zwischen „Sportschau“ und „Tagesschau“ zu erledigen, gräbt der Chef nebenbei noch nach dem Erdöl, das der VfB so dringend braucht. Ohne frisches Kapital bleiben Verstärkungen, ob in der Winterpause oder später, eine Fata Morgana. Die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Aktiengesellschaft könnte helfen. Ob im kommenden Frühjahr 75 Prozent der Mitglieder dafür stimmen, ist aber so ungewiss wie das Wetter im nächsten Sommer.

Das reicht für gewöhnlich, um einem durchschnittlich belastbaren Mitteleuropäer den Nachtschlaf zu rauben. Aber Wahler bekommt auch noch Druck aus dem Aufsichtsrat. Den Falken im Kontrollgremium erscheint er zu weich, weil er mit der einen oder anderen Personalie zögerte, anstatt Stärke zu demonstrieren. Max Jung etwa, den abgelösten Pressechef, widmete Wahler um zum Beauftragten für internationale Angelegenheiten. Jetzt fragen die Spötter auf der VfB-Geschäftsstelle, wann ihn der Interimsmanager und Sportdirektor Jochen Schneider endlich zum Scouting nach China schickt.

Gemeinsam mit Ralf Becker vielleicht, der es in seiner Doppelrolle als Nachwuchskoordinator und Chefscout weder den einen noch den anderen recht machen konnte. Jetzt kämpft er – zwischen allen Stühlen sitzend – um seinen Job. Das kann sich Finanzvorstand Ulrich Ruf wohl ersparen. Sein Vertrag läuft im nächsten Jahr aus.

Huub Stevens kümmert das alles nicht. Er sagt: „Ich fühl’ mich sehr wohl hier.“ Überdies hat er – siehe Freiburg – das Glück, das Veh reklamierte. Und das ist mehr, als man beim VfB Stuttgart zurzeit erwarten kann.