Sechs Spiele, elf Punkte: Jürgen Kramnys Bilanz als VfB-Trainer kann sich sehen lassen Foto: Getty

Handelt es sich bei der Erfolgsserie des VfB nur um ein Strohfeuer? Oder ist Kramny einfach ein guter Trainer? Diese Frage lässt sich wohl erst beantworten, wenn die Mannschaft wieder Spiele verliert.

Stuttgart - Fredi Bobic hat seinem alten Arbeitgeber mal wieder ein schönes Ei ins Nest gelegt. „Jürgen Kramny“, befand der frühere Sportchef des VfB Stuttgart, „halte ich für einen guten Trainer. Aber in der Bundesliga? Da bin ich wirklich am Zweifeln.“ Nun mag der Glattstrich angesichts von Bobics eigener Bilanz an Bedeutung verlieren, getroffen hat die Kritik seines früheren Vorgesetzten den 44-Jährigen allemal. Vor dem Spiel bei Eintracht Frankfurt (15.30 Uhr/Sky) biss sich der Angezweifelte lieber auf die Zunge: „Dazu sage ich nichts.“

Die Abneigung des früheren Sportvorstands (2010–2014) gegenüber dem aktuellen Cheftrainer hat eine längere Vorgeschichte. Die Spannungen entstanden durch Kramnys zurückhaltende Bereitschaft, Spieler wie Timo Baumgartl und Timo Werner entsprechend der Vorgaben durch Bobics rechte Hand Ralf Becker in der U 23 einzusetzen. Und sie gipfelten darin, dass Bobic nach der Entlassung von Bruno Labbadia lieber auf B-Jugend-Trainer Thomas Schneider als auf den Mann aus der zweiten Mannschaft setzte. Kramny wurde noch nicht einmal gefragt.

Das Ganze ist Schnee von gestern, zeigt aber, dass die Zweifel am Chefdirigenten auf dem Wasen trotz Kramnys Bilanz noch nicht aus der Welt sind. Die ist mit elf Punkten aus sechs Spielen durchaus beeindruckend – und lässt sich wie folgt herleiten:

Die Ausgangslage: Der 44-Jährige übernahm Ende November vom geschassten Alexander Zorniger eine am Boden liegende Truppe. Taktisch hochgradig verwirrt und in Grüppchen zersplittert – auf dem Wasen herrschte mal wieder die Stunde null. Kramny konnte erst einmal nur gewinnen – auch wenn seine persönliche Situation als Verlegenheitslösung keine einfache war. Jeden Tag in der Zeitung von den Avancen seines Arbeitgebers bei Lucien Favre lesen zu müssen, blendete er wie ein Profi aus. Auch wenn er in dieser Zeit dünnhäutig auf Zweifler aus alten Mainzer Trainertagen reagierte.

Die Umstellungen: Der 44-Jährige, 1992 mit dem VfB deutscher Meister, drückte nicht die Löschen-Taste, sondern stellte behutsam um. Die Viererabwehrkette rückte ein paar Meter nach hinten und überließ das frühe Attackieren wieder den originär dafür bestimmten Mannschaftsteilen: Mittelfeld und Angriff. Das zentrumsorientierte Offensivspiel seines Vorgängers („Ab durch die Mitte“) löste er zugunsten der Flügel auf, die den VfB schon in der vergangenen Saison stark machten – vor allem Filip Kostic. Er, aber auch Timo Werner haben durch die defensivere Grundordnung wieder mehr Platz und können ihre Stärke besser ausspielen: die Schnelligkeit.

Diszipliniert, aber nicht verbohrt

Im 4-1-4-1-System spielt der Kramny-VfB mit Serey Dié auch wieder mit einem klassischen Abräumer vor der Abwehr. Wenn Kapitän Christian Gentner die neu erlangte „Stabilität“ preist, ist das keine Worthülse: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Ballkontaktzeit in der Bundesliga im Schnitt von drei Sekunden auf unter eine Sekunde verringert. Was bedeutet: Die Automatismen sind das Wichtigste im Spiel – und die Roten können sich inzwischen wieder auf sie verlassen.

Die Ansprache: Kramny („Ich mag kein Larifari“) legt Wert auf Disziplin, ohne verbohrt zu wirken. Das Kopfhörer-Verbot seines Vorgängers hat er aufgehoben, die Mannschaft versprüht wieder mehr Freude. Am Donnerstag postete Emiliano Insua ein Foto von einem lustigen Mannschaftsabend. Galt unter Zorniger noch das schwäbische Motto „Nicht geschimpft ist gelobt genug“, tätschelt der zweifache Familienvater seine Spieler auch mal. Nach dem 3:1-Sieg in Köln ging er wegen der schludrigen Schlussphase aber hart mit ihnen ins Gericht. Wie immer er es anstellt – Kramny trifft im Moment den richtigen Ton.

In vielerlei Hinsicht erinnern die ersten zwei Monate unter dem Ludwigsburger an die Anfangsphase von André Schubert bei Borussia Mönchengladbach. Auch Schubert übernahm (als Interimscoach) eine in kürzester Zeit völlig indisponierte Mannschaft vom am Ende ratlosen Analytiker Lucien Favre. Und auch er verzichtete auf einen radikalen Schnitt und beließ es bei leichten Eingriffen. Anders als beim VfB ließ Schubert die Gladbacher weiter vorne verteidigen, obwohl der Ursprung der Krise derselbe war: zu viele Gegentore. Die Fohlenelf besann sich wieder auf das, was sie in der vergangenen Saison so stark gemacht hat – genauso läuft es jetzt auch beim VfB.

Kramnys Qualitäten als Bundesligatrainer werden sich freilich erst dann zeigen, wenn der Mannschaft ihre erste Durststrecke widerfährt. Nachzuschauen bei: Schubert und Borussia Mönchengladbach, wo nach fünf Niederlagen in sechs Spielen erste dunkle Wolken aufziehen. Kramny sollte genau hinsehen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen – um am Ende Fredi Bobic das Gegenteil zu beweisen.