In der Region aufgewachsen, jetzt Gegner des VfB Stuttgart: Bremens Fußball-Spieler Davie Selke. Foto: dpa

Bei seinem Gastspiel mit Werder Bremen am Sonntag in der Mercedes-Benz-Arena wird seinetwegen wieder Sturmwarnung im VfB-Strafraum ausgerufen: Davie Selke, einer der talentiertesten deutschen Stürmer. Und einer mit Stuttgarter Vergangenheit.

Stuttgart - Die Nachricht hat alle Fans des SV Werder Bremen vergangene Woche getroffen. Davie Selke (20), hoch talentiert und längst einer der begehrtesten Angreifer Deutschlands, zieht es in der kommenden Saison zu RB Leipzig. Für geschätzt acht Millionen Euro. Selke soll einen Fünfjahresvertrag erhalten und 1,5 Millionen Euro pro Jahr verdienen – doppelt so viel wie bei Werder. „Das war nicht entscheidend“, beteuert er. „Woanders hätte ich mehr verdienen können.“ Ausschlaggebend für RB sei vielmehr das „sportliche Gesamtpaket“ gewesen.

Trotz des Verlusts seines Torjägers hält sich das Wehklagen der sportlichen Führung in Grenzen. Erst vor einem halben Jahr hatte Selke an der Weser bis 2018 verlängert und ein Treuebekenntnis abgegeben. Jetzt ist er auf dem Sprung zum nächsten Club.

Damit teilen die Hanseaten das Schicksal vieler anderer. Die Liste der Vereine, für die Selke schon aktiv war, liest sich ganz schön lang für einen 20-Jährigen: FV Weinstadt, SV Fellbach, TSV Schmiden, FSV Waiblingen, Stuttgarter Kickers, Normannia Gmünd, VfB Stuttgart, TSG 1899 Hoffenheim, Werder Bremen.

Granate im Strafraum

Nur war der Aufschrei nirgendwo so groß wie jetzt an der Weser. Schließlich war Selke zu seiner Zeit in Schwaben noch ein junger Steppke, Vereinswechsel sind normal. Zumal, wenn wie beim gebürtigen Schorndorfer das Talent schon früh absehbar war.

Das haben sie auch auf dem Cannstatter Wasen nicht übersehen, als der Sohn einer tschechischen Mutter und eines gebürtigen Äthiopiers von 2008 bis 2009 seine Kickstiefel für den VfB schnürte. Selke galt als Granate im Strafraum; vielleicht nicht mit der besten Technik, aber er wusste, wo das Tor steht. Der 13-Jährige traf wie am Fließband. Als sich Selke in der C-Jugend Richtung Hoffenheim verabschiedete, legten ihm seine Jugendtrainer dennoch keine Steine in den Weg. Vorsichtig formuliert.

Es sei „verhaltensmäßig nicht immer sehr erfreulich gewesen“ mit ihm, sagen ehemalige Betreuer. Irgendwann habe es „mannschaftsintern überhaupt nicht mehr funktioniert“. Das klingt dramatisch für einen C-Jugend-Kicker. Doch auch sie erliegen offenbar schon den Einflüsterern aus der Verwandtschaft oder aus dem Bekanntenkreis, sobald sie bei einem namhaften Club wie dem VfB Stuttgart angekommen sind.

Großvater hatte erheblichen Einfluss

Bei Davie Selke übte der Großvater erheblichen Einfluss auf den Jungspund aus. „Was denkst du in dem Alter, wenn dir ständig eingebläut wird, dass du der Größte bist – du denkst natürlich: Klar bin ich das!“, erinnert sich ein ehemaliger Jugendtrainer. Irgendwann sei die Anstrengungsbereitschaft des jungen Selke gleich null gewesen, der Begriff Mannschaftssport sei in dessen Wortschatz quasi nicht mehr vorgekommen. Also entschied man sich zur Trennung.

Danach in die Hoffenheimer Jugendakademie, auch dort soll es nicht immer einfach gewesen sein mit ihm. Erst in Bremen fand er sein Glück. Über die A-Jugend gelang Selke der Sprung in die Bundesligamannschaft. Im vergangenen Sommer wurde er mit der deutschen U 19 Europameister und Torschützenkönig des Turniers. In dieser Saison hat der groß gewachsene Stürmer mit seinen sechs Toren wesentlichen Anteil am Aufschwung der Bremer, die am Sonntag (17.30/Sky) in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena auflaufen. Man könnte also sagen: Davie Selke ist angekommen im Profifußball. Ob der Werdegang nicht absehbar war – trotz aller Allüren?

Wer mit 13 herausragt, ist kein Bundesligaspieler in spe

Nein, war er nicht. Sagen seine früheren Bezugspersonen und konkretisieren: Zumindest nicht in dieser Form. Wer mit 13 irgendwo herausragt, ist noch lange kein Bundesligaspieler in spe. Der Grat zwischen erster Liga und Bezirksklasse ist schmal. Hopp oder top – Selke hat den Weg nach oben genommen. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Positiv gedeutet hat ihm sein Egoismus dabei sicherlich geholfen.

Beim VfB sind sie ziemlich dünnhäutig geworden, was das Thema eigene Talente angeht. Der Abgang von Joshua Kimmich zum FC Bayern München (via RB Leipzig) warf jüngst wieder die Frage auf, wie es um das Urteilsvermögen der eigenen Nachwuchsabteilung bestellt ist. „Bei Davie Selke würden wir es genauso wieder machen“, heißt es im Fall des Bremers.

Kommende Saison wird der 20-Jährige nun für RB Leipzig in Liga zwei auf Torejagd gehen. „Kurzfristig mache ich sicher einen Schritt zurück, um aber langfristig zwei Schritte nach vorne zu machen“, sagt er. In Leipzig wird Selke seine Stuttgarter Vergangenheit einholen – trifft er in Sportchef Ralf Rangnick und die Nachwuchschefs Frieder Schrof und Thomas Albeck doch auf alte VfB-Bekannte. Sie entschieden sich einst gegen den Angreifer, sind aber überzeugt, nun einen gereiften, geläuterten Profi nach Leipzig geholt zu haben. Was einmal war, zähle nicht mehr, sagt Albeck: „Davie Selke passt perfekt zu uns.“