Heimspiele des VfB Stuttgart sollen plötzlich bis zu 100 Prozent mehr Eintritt kosten als bisher – bedingt durch die Kooperation mit der Ticketbörse Viagogo. Viele Anhänger fürchten eine Preistreiberei und laufen Sturm. Foto: StN

Wenn Heimspiele des VfB Stuttgart auf einmal doppelt so viel Eintritt kosten wie normal, hört für viele Fans der Spaß auf. Sie haben Angst, dass sie abgezockt werden. Eine Angst, die der VfB und der Tickethändler Viagogo nicht teilen.

Stuttgart - Die Liebe zu ihrem Verein lassen sich die Anhänger des VfB Stuttgart einiges kosten. Da hängen sie mal nicht den Schwaben raus, da greifen sie auch mal tiefer in den Geldbeutel. Darf’s ein bisschen teurer sein? Schon, aber alles mit Maß und Ziel. Da zieht jeder seine eigene Grenze, doch die ist für zahlreiche Anhänger des VfB überschritten, seit der Verein Ende 2012 eine Kooperation mit der Ticketbörse Viagogo eingegangen ist. Plötzlich sollen manche Eintrittskarten das Doppelte des Nennwerts kosten – nein danke! Jetzt hagelt es Proteste.

Beim Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg stand in der Cannstatter Kurve die Front aus Roten Karten gegen die Internetbörse wie eine Eins. „Viagogo? Nogo!“ hieß es da hundert-, ja tausendfach. Das ist ein Aufruhr, der so gar nicht zur unschuldig klingenden Philosophie des Unternehmens passt, das der Deutschland-Sprecher Steve Roest so formuliert: „Wir machen nichts Böses, sondern wir bringen eine gute Sache in die Welt. Wir wollen niemanden abzocken, sondern den VfB und seine Fans unterstützen.“

Was nun nicht jedermann nachvollziehen kann. Denn Viagogo und der VfB verdienen jeweils mit. Wucher, Abzocke, Betrug – wie die Fans es auch nennen, die Reaktionen fallen emotional aus. Auch, weil sich der vom VfB legitimierte Fanausschuss gegen die Kooperation ausgesprochen hatte. Der Verein verzichtet nun auf eine persönliche Stellungnahme und verweist auf einen offenen Brief auf der Homepage (www.vfb.de), der von Präsident Gerd Mäuser und Finanzvorstand Ulrich Ruf gezeichnet wurde. „Die Behauptung, Fans würden über Viagogo systematisch vom eigenen Verein oder von anderen Kartenbesitzern abgezockt, weist der VfB entschieden zurück“, heißt es da.

Die Zweifler beruhigt das nicht. Sie sind überzeugt: Um mehr Geld als bisher zu generieren, setzt der VfB aufs falsche Pferd. Oder, um im Bild zu bleiben, auf die falsche Karte.

Plattform ist legalisierter Schwarzmarkt

Das Geschäftsprinzip von Viagogo basiert darauf, dass es als Zwischenhändler auftritt und Kartenbesitzern, die ihr Ticket nicht nutzen können, und potenziellen Kartenkäufern eine gemeinsame Plattform bietet. Damit helfe Viagogo, leere Plätze in den Stadion zu füllen. „Rund 23 Millionen Euro gehen den Fans in Deutschland jedes Jahr verloren, weil sie ein Spiel nicht besuchen können, ihre Karte aber nicht weiterverkaufen – und in den Stadien bleiben dann Plätze leer“, sagt Steve Roest.

Was nichts daran ändert, dass die Plattform ein legalisierter Schwarzmarkt ist. Was sich früher in dunklen Ecken vor Stadien und Konzerthallen abspielte, wird nun sauber über das Internet abgewickelt. Viagogo sichert die Echtheit der Karten oder eine Geld-zurück-Garantie zu. „Wir wollen die Fans vor Ticketbetrug schützen“, sagt Roest. Auf dem Schwarzmarkt oder bei Ebay könne niemand sagen, ob die Tickets echt seien. Viagogo garantiere das. „Jeder muss sich nur die Frage stellen: Fahre ich lieber Auto mit Gurt oder ohne?“, sagt Roest.

Der Verkäufer einer Karte kann auf der Plattform den Verkaufspreis selbst bestimmen und damit immensen Gewinn machen. Bei VfB-Tickets liegt der maximal mögliche Aufpreis bei 100 Prozent. Der Tickethändler kassiert 15 Prozent Gebühr vom Verkäufer und zehn Prozent vom Käufer einer Karte, der VfB ist ebenfalls beteiligt – beide sind also an möglichst hohen Preisen interessiert. Der Sponsoringvertrag mit dem VfB sichert Viagogo zudem pro Heimspiel ein Kontingent von 1000 Karten, die das Unternehmen zum Nennwert, aber zuzüglich einer happigen Gebühr verkaufen kann. Im Gegenzug erhält der VfB pro Saison 300.000 Euro.

„Wir verkaufen 50 Prozent aller Tickets zum Normalpreis oder darunter“

Aktuell bietet Viagogo für das (offiziell ausverkaufte) Heimspiel gegen Borussia Dortmund am 30. März Stehplatzkarten für 39,00 (statt 19,50) Euro an, Sitzplatztickets für die Gegentribüne kosten 140 (statt 70) und für die Haupttribüne seitlich 95 (statt 60) Euro. Angebot und Nachfrage regeln die Preise: Für das nicht ausverkaufte Heimspiel gegen den Hamburger SV am 10. März bietet Viagogo Tickets schon für 15 Euro an – so teuer wie beim Direktbezug über den VfB: „Wir verkaufen 50 Prozent aller Tickets zum Normalpreis oder darunter“ behauptet Steve Roest, „es fällt mir schwer zu verstehen, was an dieser Sache schlecht sein soll.“

Vereine wie der VfB sehen in der Kooperation eine Möglichkeit, den bisher ungezügelten Schwarzmarkt ein wenig zu kanalisieren. „Früher waren die Preise dort zum Teil exorbitant hoch“, heißt es in dem offenen Brief. Zudem sei es „beim Privattausch zu Ticketverlusten“ gekommen. Ob durch Betrug oder durch Schlamperei bei der Zustellung, lässt der VfB offen. Den Vorwurf, professionelle Schwarzhändler würden Tickets in großen Mengen kaufen, um umso größeren Reibach zu machen, entkräftet Steve Roest: „95 Prozent aller Verkäufer bei Viagogo veräußern weniger als zehn Karten pro Jahr.“

Angesichts der Proteste der VfB-Fans setzt Viagogo auf den Faktor Zeit. „Das ist ein Prozess, bis die Leute unsere gute Absicht verstehen“, sagt Roest. Mit dem Hamburger SV liegt Viagogo im Rechtsstreit, „weil sich der Verein nicht an Vertragsinhalte gehalten hat“ (Roest). Im Sommer 2013 endet die Kooperation. Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß hat für 2014 die Zusammenarbeit aufgekündigt, weil der Rekordmeister erwägt, eine eigene Ticketbörse aufzuziehen. Das seien Einzelfälle, behauptet Roest: „Unser Geschäft läuft wie noch nie.“ Proteste hin oder her.