Antonio Rüdiger (mit VfB-Arzt Heiko Striegel/li., Physio Gerhard Wörn) Foto: dpa

Antonio Rüdiger fällt verletzt aus, der Mannschaft fehlt Qualität, Verstärkungen müssen trotz knapper Kasse her – und ein neuer Sportdirektor sowieso.

Stuttgart - Die gute Nachricht zuerst: Diesmal ist der Trainer nicht zurückgetreten. Dabei hätte es niemand Huub Stevens verübeln können, wenn er es Armin Veh gleichgetan und den Dienst quittiert hätte. Beim 0:4 gegen Schalke 04 kickte der VfB wie ein Absteiger. Er verbreitete Angst und Schrecken – die Furcht vor dem endgültigen Absturz setzt sich fest. Auf der Tribüne verfolgte Präsident Bernd Wahler mit aschfahlem Gesicht das quälende Treiben, Huub Stevens hoffte inständig, „dass das nur eine Momentaufnahme war“, die Spieler beklagten ihre fatalen Aussetzer (Christian Gentner: „Wir waren ständig zu spät“), und Interims-Sportdirektor Jochen Schneider stammelte nach der fünften Niederlage im siebten Heimspiel dieser Saison: „Es ist bitter, was wir unseren Zuschauern zumuten.“

Was der harte Kern der Fans über die Schieflage des Vereins denkt, war auf Spruchbändern zu lesen: „Das Jahr des VfB: Keine sportliche Kompetenz, keine Perspektive, keine Aufarbeitung, keine Antworten.“

Damit wäre alles gesagt, wenn spätestens jetzt nicht die überfällige Kurskorrektur einsetzen müsste. Die Antworten, um die sich der Verein im Sommer gedrückt hat – jetzt muss er sie geben. Auch wenn es immer schwerer fällt, sie mit Inhalt zu füllen, der eine Spur von Optimismus zulässt.

Die Probleme liegen tiefer

„Bei allen Beteiligten muss es jetzt klick machen“, fordert Huub Stevens und mutmaßt, der 4:1-Sieg in Freiburg habe „einigen Spielern im Unterbewusstsein nicht gutgetan“. Als ob es nur das wäre! Nein, die Probleme liegen tiefer. So ist aus dem Umfeld der Mannschaft zu hören, dass etliche Spieler mehr an sich denken, als der Truppe guttut – auch Routiniers, auf die es jetzt besonders ankommt. Ihnen sei vor allem wichtig, die eigenen Pfründe zu sichern. Darunter leiden Talente wie Timo Werner, die eigentlich geführt werden müssten, und der Teamgeist insgesamt. Die Grüppchenbildung geht so weit, dass Spieler persönlich beleidigt sind, wenn ihr Kumpel nicht auch in der Mannschaft steht. Über Antonio Rüdiger heißt es, er trage die Nase ein Stück zu hoch, als dass sich manche Mitspieler über seinen Aufstieg zum Nationalspieler mitfreuen würden. Viele Neuzugänge, jung und nach Orientierung suchend, wirken zuweilen wie Fremdkörper, weil ihnen die helfende Hand fehlt. Und weil der Verein einen wirklichen Schnitt gescheut hat, schleppt er zu viele Altgediente mit, die der Kampf gegen den Abstieg über die Jahre zermürbt hat und die in diesen Jahren nachhaltig gezeigt haben, dass sie höheren Ansprüchen nicht gewachsen sind.

So schwer ist all dies nicht zu erkennen, wo schon Außenstehende wie Stefan Reuter die Lage treffend analysieren. „Der Kern in der Mannschaft fehlt“, sagt der Manager des FC Augsburg, „Stuttgart hat eine sehr gute Nachwuchsarbeit: Timo Baumgartl zum Beispiel ist ein super Innenverteidiger und Timo Werner ein großes Talent in der Offensive. Aber ich habe das Gefühl, dass sie sich an keinem wirklich orientieren können.“

Jetzt soll es also Huub Stevens richten. Der Niederländer füllt als Trainer und Psychologe das Vakuum nach Kräften. Der Verein gibt sich der Illusion hin, es werde schon wieder gutgehen wie in der vergangenen Saison, was Stevens alarmiert: „Ich habe nicht umsonst gesagt, dass der Klassenverbleib schwieriger wird als im Frühjahr.“

Der VfB sucht verstärkt in Südamerika

Der gute Mann, so viel steht fest, muss bis zur Winterpause mit dem wenigen auskommen, was ihm sein Kader bietet, und entscheiden, ob er damit über die Runden kommt. Ansonsten muss der Verein Geld für Verstärkungen lockermachen, das er nicht hat. Weshalb intern ein Verkauf von Antonio Rüdiger Fürsprecher findet – der einzige Spieler, der richtig Geld bringt. Selbst dann aber ist die Frage, welche tauglichen Spieler willens sind, den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Hector Moreno, der Mexikaner von Espanyol Barcelona, ist weiter ein Kandidat. Der Haken: Sein neuer Berater liebäugelt mit einem Wechsel nach England, wo es für seinen Schützling und für ihn mehr zu verdienen gibt. Inzwischen sucht der VfB verstärkt in Südamerika nach Spielern, wobei die fremde Mentalität und Sprache gegen deren rasche Eingliederung sprechen.

Moderiert wird die Suche von Jochen Schneider, der zunächst Platzhalter ist für den künftigen Sportdirektor. Der lässt auf sich warten, obwohl die Zeit drängt. Präsident Wahler ahnt, dass mit der Besetzung dieser Position alles steht und fällt. Ein Bekenntnis zu Schneider versagt er sich aus Rücksicht auf interne Vorbehalte. Die mögen berechtigt sein, wobei sich der Verein generell den Luxus erlaubt, dass Angestellte bei der Vereinspolitik mitreden können, denen dies eigentlich gar nicht zusteht.

Was jetzt hilft? Augen zu und durch bis zur Winterpause, die eine oder andere Verstärkung – und ein personeller Neubeginn. Und zwar in allen Bereichen. Und ohne Rücksicht auf Seilschaften und Verdienste von gestern.

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