Doping - auch beim VfB ein Thema? Foto: mh90photo - Fotolia

Perikles Simon (Mainz) ist einer der renommiertesten Anti-Doping-Experten in Deutschland. Für ihn  ist klar: Im Fußball ist nicht nur früher betrogen worden –  Doping gibt es weiterhin. Über das Doping-Risiko in den Topligen, Missbrauch von Anabolika und den VfB Stuttgart.

Stuttgart - Herr Simon, dürfen wir Sie beglückwünschen oder müssen wir Sie bedauern, dass Sie seit kurzem Mitglied der Kommission sind, welche die Freiburger Doping-Vergangenheit aufarbeitet?
Das weiß ich selbst noch nicht. Gute Freunde haben mir klar abgeraten.
Sie haben trotzdem zugesagt.
Ja. weil es eine wichtige Erfahrung für mich persönlich bedeutet. Ich kann doch nur dann für die Zukunft im Anti-Doping-Kampf gerüstet sein, wenn ich mich mit der Vergangenheit auseinandersetze.
Wie überrascht waren Sie, als Ihr Kollege Andreas Singler die Doping-Vorwürfe gegen den VfB Stuttgart und den SC Freiburg veröffentlicht hat?
Dazu gebe ich keinen Kommentar ab.
Angeblich soll Professor Armin Klümper Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre VfB-Profis umfangreich mit Anabolika behandelt haben. Wozu dient diese Art des Dopings?
Aus heutiger Sicht sind Anabolika sicher nicht mehr das erste Mittel der Wahl. Wirkungsvoll sind sie vor allem in der Rekonvaleszenz nach Verletzungen. Sie führen zu einem schnelleren Muskelaufbau, verkürzen die Regenerationszeit, und sie können auch eine Wirkung auf die Ausdauerleistung entfalten.
Spielen Anabolika im heutigen Doping auch noch eine Rolle?
Durchaus, allerdings nicht als anaboles Steroid, sondern in Varianten, die schon nach 48 Stunden nicht mehr nachweisbar sind.
Steht der VfB Stuttgart zurecht alleine im Fokus? Oder ist er ein Verein unter vielen, in denen es ähnliche Vorgänge gab?
Das muss man zeitgeschichtlich einordnen. Wir wissen, was in der Phase, um die es nun geht, in der damaligen DDR abgelaufen ist. Im Westen sehe ich eine gewisse Analogie. Der Sport war ähnlich verseucht, auch wenn die Vorgehensweise eine etwas andere war. Was Anabolika-Missbrauch im Fußball angeht, würde ich sagen: Das lässt sich nicht generalisieren, aber es wäre sicher zu kurzsichtig zu behaupten, dass der VfB ein Einzelfall ist.
Nun geht es in diesem Fall um die Vergangenheit. Hat der Fußball auch aktuell ein Doping-Problem?
Doping ist ein Thema, das der Fußball sehr ernst nehmen müsste. Das tut er aber nicht – und das ist meiner Meinung nach ein ganz klares Versäumnis.
Fußball gilt, im Gegensatz zum Radsport, der Leichtathletik oder Schwimmen nicht als klassische Doping-Sportart.
Erstmal ist der Fußball ein Millionen-Euro-Spiel, in dem der finanzielle Druck auf Vereine, Trainer und Spieler enorm hoch ist. Das macht ihn automatisch schon zu einer gefährdeten Sportart. Und dann ist es im Fußball ganz entscheidend, in der 90. Minute noch genau so schnell sprinten zu können wie in der ersten Minute. Das erfordert eine spezielle Schnelligkeitsausdauer – und es gibt natürlich genügend Substanzen, die man missbrauchen kann, um sich in diesem Bereich signifikant zu verbessern. Und dazu kommt noch ein Punkt.
Welcher?
Die Kontrolldichte. Wenn ich nicht gerade ein Nationalspieler auf höchstem Niveau bin, muss ich die Dopingfahnder nicht fürchten, weil ich im Training ohnehin kaum getestet werde. Und dann organisiert die Liga die Wettkampfkontrollen auch noch selbst. Es ist absolut notwendig, dass dies geändert wird.
Haben Sie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass im heutigen Fußball betrogen wird?
Das ergibt sich für mich aus den Skandalen der Geschichte. Diese reichen von den 54er-Weltmeistern über die Enthüllungen von Toni Schumacher bis zu Arsene Wenger, der sich darüber gewundert hat, dass einige seiner Neuzugänge beim FC Arsenal, die von anderen europäischen Topclubs kamen, erhöhte Blutwerte hatten. Dazu passt der Dopingskandal bei Juventus Turin, wo Epo sogar systematisch eingesetzt worden ist. Wäre Juve ein Radsport-Team gewesen, hätte das zu drakonischen Maßnahmen geführt. Weil sich der Fußball so gut wie gar nicht um die Doping-Problematik kümmert, bin ich überzeugt, dass Epo im Fußball auch heute noch eine große Rolle spielt.
Spielt der Fußball mit dem Feuer?
Die Geschichte des Dopings zeigt, dass es für Athleten oft erst dann eng wird, wenn Gerichts- oder andere Akten ins Spiel kommen. Der Fußball steht derart im Fokus, dass es logisch ist, wenn sich nun beim Thema Doping immer mehr Blicke von außen auf ihn richten. Bisher hat der Fußball es stets geschafft, wieder einigermaßen sauber herauszukommen. Aber es wird im heutigen Informationszeitalter immer schwieriger, Dinge zu vertuschen. Weitere Enthüllungen sind deshalb nur eine Frage der Zeit.
Was könnte der Fußball tun?
Sich an der Aufarbeitung seiner Doping-Geschichte beteiligen. Und nicht pokern und pokern und pokern. Denn dann ist das Risiko groß, dass die Stimmung irgendwann kippt. Auch in den Stadien.
Hätten Sie noch weitere Vorschläge?
Es ist teilweise erschreckend, wie die medizinische Versorgung bei Bundesligisten geregelt ist. Da ist alles vertreten – vom Allgemeinmediziner bis zum Uni-Professor, teilweise sind die Leute sogar ehrenamtlich tätig. Da kann eine Arbeit auf gleichbleibend hohem Niveau nicht gewährleistet werden. Es kann nicht sein, dass Vereine an dieser hochsensiblen Stelle sparen. Denn wenn im medizinischen Bereich irgendetwas schiefgeht, fliegt ihnen der ganze Laden um die Ohren. Und dann hätte ich noch einen Punkt.
Bitte.
Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl, wenn ich sehe, welchen Einfluss die persönlichen Berater auf die Spieler haben.
Warum?
Weil dies alles andere als professionell abläuft. Über die finanziellen Folgen für einzelne Spieler wird hin und wieder berichtet. Nicht aber darüber, dass alle Ärzte im Fußball Angst davor haben, dass ihre Profis von den Leuten, die direkt auf sie Einfluss nehmen, auch in medizinischen Dingen falsch beraten werden könnten.