Zerreißprobe im Fanlager - Aufsichtsrat dachte kurzzeitig an geschlossenen Rücktritt.

Stuttgart - Er hätte sich ein schönes Leben machen können. Jetzt ist er Präsident des VfB Stuttgart - und muss Gräben zuschütten, die so tief sind wie der Grand Canyon. Die zwiespältige Bilanz einer denkwürdigen Mitgliederversammlung.

Der neue VfB-Chef schrieb sich in aller Herrgottsfrühe gleich die Finger wund. Die meisten Glückwünsche erreichten Gerd Mäuser per SMS. "Die wollte ich schnell noch beantworten", sagt der Mann, der gestern Morgen, 9.15 Uhr, seinen neuen Job antrat. Erwin Staudt übergab seinem Nachfolger das Büro des Präsidenten. Danach bat Gerd Mäuser die Mitarbeiter der Geschäftstelle zu einer kurzen Begrüßungsansprache. Am Nachmittag standen Einzelgespräche auf dem Programm. Morgen früh leitet Mäuser die erste Vorstandssitzung. Was sicher zur Sprache kommen wird: die neuesten Spaltprodukte des Vereins.

Wie geht es weiter mit Hundt?

Dem Fanlager steht unter Umständen eine Zerreißprobe bevor. Und in der Führungscrew wird es zumindest Anlass zu intensiven Diskussionen geben: Wie geht es weiter mit dem ungeliebten Dieter Hundt? Seit Montag tobt der Streit im Internet: Soll die weiß-rote Gemeinde nun Ruhe geben oder weiter gegen Hundt und Mäuser holzen? Am Abend stand es unentschieden.

Eine der turbulentesten Mitgliederversammlungen in der Vereinsgeschichte ließ wenig Raum für Interpretationen: Die einen schoben Wut auf Hundt und wollten deshalb den vom Aufsichtsrat benannten Kandidaten Gerd Mäuser (53) als Präsidenten verhindern. Am Ende wurde der ehemalige Porsche-Manager aus Bietigheim-Bissingen trotzdem gewählt - mit 58,7 Prozent der Stimmen. Hansi Müller übernimmt seinen Platz im Aufsichtsrat.

Die anderen standen zwar auch nicht gerade auf den Aufsichtsratschef, wollten aber die Kirche im Dorf lassen. Und weil Fußballfans selten mit dem Knigge unterm Arm daherkommen, reichte mancher Redebeitrag für drei bis vier Beleidigungsklagen.

Fast wäre der Aufsichtsrat geschlossen zurückgetreten

Als dann sogar die Abwahl von Dieter Hundt drohte, überlegte der Aufsichtsrat nach Informationen unserer Zeitung, geschlossen zurückzutreten. Aus sechs Gesichtern war unzweideutig zu lesen: Warum um alles in der Welt tu ich mir das noch an? Joachim Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung bei Mercedes-Benz, wollte schon ans Mikrofon, als es Erwin Staudt gelang, die aufgeheizte Stimmung wieder auf Normaltemperatur herunterzufahren. "Überlegen Sie jetzt ganz genau, was Sie tun, das könnte für den Verein schlimme Folgen haben", rief der noch amtierende Präsident in den Saal. Auch Hans H. Pfeiffer, Stuttgarts Citymanager, appellierte "ganz spontan" an Anstand und Vernunft der Kritiker: "Weil ich spürte, dass Chaos zu befürchten war." Vermutlich haben sie damit den VfB vor einem Desaster bewahrt. Und Dieter Hundt vor einer Blamage. Am Ende stimmten 50,7 Prozent der 2657 stimmberechtigten Mitglieder für die Abwahl des Präsidenten der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeber (BDA), mindestens 75 Prozent wären aber nötig gewesen.

So macht man sich Feinde

Zwar schätzt Dieter Hundt das unnachgiebige Naturell von Altkanzler Helmut Kohl, aber in der bleihaltigen Luft der Schleyerhalle schien auch er nach Atem zu ringen. "Ich muss nun erst mal Abstand gewinnen", sagte er am Montag gegenüber unserer Zeitung, "dann müssen wir uns Gedanken machen. Ich habe die Geschehnisse sehr besorgt erlebt." Dieter Hundt (72) entstammt noch einer der Generation, die im Streben nach Macht kein unsittliches Verlangen sieht. Er strafft selbstbewusst den Rücken, hebt stolz das Kinn, redet laut und formuliert unversöhnlich. Dabei blickt er mit mildem Lächeln so unbeirrbar geradeaus, dass seine potenziellen Gegner gar nicht anders können, als ihn der Arroganz zu bezichtigen. So macht man sich Feinde. Aber er ist noch drei Jahre im Amt. Und eine Dauerfehde zwischen den roten Häuptlingen und den Fans ist so ziemlich das Letzte, was der Verein gebrauchen kann.

"Die Mitgliederversammlung ist Geschichte", sagt der VfB-Fanbeauftragte Christian Schmidt, "jetzt müssen wieder gemeinsam den Weg beschreiten." Wie das klappen könnte, zeigten Fans und Verein beim Umbau der Cannstatter Kurve. "Das ist das Muster, daran müssen wir uns messen lassen", sagt der Diplom-Sozialpädagoge, "die Frage ist: Wie können wir die Fans weiter in die Vereinsarbeit einbinden?"Der neue Präsident hat schon angefangen. Es soll ein Online-Forum für die 45 000 VfB-Mitglieder geben, Gerd Mäuser wird die Regionalversammlungen der Fanclubs regelmäßig besuchen und "darauf hören, was unsere Anhänger zu sagen haben".

Helmut Roleder wünscht ihm viel Glück dabei. Der ehemalige VfB-Torhüter gab sich am Montag als fairer Verlierer. "Ich hätte dem Verein gern geholfen, aber die Mitglieder haben anders entschieden", sagte er, "vielleicht kann ich in Zukunft einem anderen Verein helfen. Jetzt sollen sie die Meisterschale holen. Dann halt ohne mich."