Der VfB besiegt Schalke mit 3:1: Die Mannschaft bedankt sich bei den Fans Foto: Pressefoto Baumann

3:1 gegen den FC Schalke 04. Es fühlte sich an, als sei der VfB schon vor dem Niedergang gerettet. Weil das aber ein Irrtum ist, fordert der Chef weiter höchste Konzentration. Denn jeder Fehler kann verhängnisvoll sein.

Stuttgart - Es ist nicht ungewöhnlich, dass Trainer im Kampf gegen den Abstieg zu einer Form von Autismus neigen. Es gibt in solchen Phasen der existenziellen Bedrängnis ja auch wenig, was sie der Öffentlichkeit mitteilen könnten. Ihre Aufgabe beschreibt exakt der Blick auf die Tabelle. Und das mit jedem Spieltag deutlicher.

Vielleicht streckte Huub Stevens (60) am Ende eines mitreißenden Abends deshalb nur beide Hände in die Luft, um die Frage zu beantworten, die so brennend interessierte: „Wie groß war denn nun dieser Schritt auf dem Weg zur Rettung?“ Der Holländer machte aus seinen zehn Fingern langsam drei und seufzte so angestrengt wie der Lehrer, der seine Schüler für ein wenig begriffsstutzig hält: „Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir zehn Endspiele haben, jetzt sind es noch drei.“

Damit beantwortete der Niederländer zwar nicht die Frage, er lieferte aber einen Hinweis darauf, wie er sich in seiner Rolle als Dirigent im Stuttgarter Huub-Konzert versteht. Sachlich, nüchtern, konzentriert, und dabei ungemein zielstrebig, gibt er Spielweise und Rhythmus eines Orchesters vor, dem mit dem 3:1(1:0)-Erfolg gegen den FC Schalke 04 zumindest ein Paukenschlag gelang. Mehr aber nicht. Denn die Ouvertüre der großen Fußball-Oper hatte aus Sicht der Hausherren wenig Anlass gegeben, in Beifallstürme auszubrechen. „Ich hatte in den ersten zwanzig Minuten nicht das Gefühl, dass wir hier verlieren können“, sagte Schalkes Trainer Jens Keller. Erst ein Fehler in der Abwehr des Tabellendritten hatte den VfB ins Spiel gebracht. Einen Freistoß von Daniel Didavi köpfte Martin Harnik an Schalkes Schlussmann Ralf Fährmann vorbei ins Netz. „Bis dahin“, bestätigte Huub Stevens, „war Schalke die bessere Mannschaft.“ Immerhin gab er zu, dass „wir dann unsere Chancen genutzt haben und auch noch ein bisschen Glück hatten“.

Mögen die Geschehnisse auf dem Rasen die Stimmung auf den Rängen bis in himmlische Höhen treiben, der VfB-Coach verfolgt scheinbar unberührt von all dem Rummel das irdische Ziel – den Abstieg zu vermeiden. Erfahren genug weiß der Sohn eines Grubenarbeiters aus Sittard, dass sich mit großen Gefühlen noch keine harte Arbeit von selbst erledigt hat. Euphorie zum falschen Zeitpunkt ist ein schleichendes Gift. Und das könnte schon an diesem Freitag beim Auftritt in Hannover seine lähmende Wirkung entfalten.

Das ist die Innensicht der Dinge. Die andere ist die von außen, die neuerdings eine Atmosphäre widerspiegelt, die mit dem gedachten „zwölften Mann“ ganz gut beschrieben ist. Schon vor dem Spiel hatte ein weiß-rotes Spalier aus Tausenden Fans den Mannschaftsbus vors Stadion geleitet. Und nicht nur der zweifache Torschütze Martin Harnik (23./59.) erzählte ob dieser Eindrücke von „Gänsehaut-Gefühlen“.

In der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena empfing ein Meer aus 60 000 VfB-Fahnen die Spieler. Und als der Schlusspfiff die Bestätigung dafür lieferte, dass der Erfolg nicht schon wieder im Nirwana verunsicherter Geister versunken war, musste niemand mehr erklären, warum der Fußball Geschichten erzählt, die den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern können. Cacau, der lange verletzt war und eigentlich schon abgeschrieben, kehrte in die Stammelf zurück und traf zum 2:0. Und die Begründung, die Huub Stevens für die überraschende Personalie gab, war so schlicht und uneitel wie er selbst: „Er hat gut trainiert.“

Das reichte immerhin, um den achten Sieg in dieser Saison zu feiern. Er verschaffte dem VfB Stuttgart fünf Punkte Vorsprung auf den Rang des direkten Absteigers. Weil bis zum Saisonschluss aber noch neun Punkte zu vergeben sind, gab Chefdirigent Stevens den Taktstock erst gar nicht aus der Hand. Er baute sich in seinem wie immer viel zu großen Trainingsanzug in der Kabine auf, gratulierte seiner Mannschaft zu Leidenschaft und Einsatzwille und sagte: „Heute Abend dürft ihr genießen. Morgen früh treffen wir uns zum Frühstück, danach ist Training.“

Weil er nicht nur so redet, sondern auch lebt, kennt er von Stuttgart kaum mehr als den Weg vom Hotel ins Stadion. „Was früher dreißig Minuten dauerte“, lobt VfB-Sportvorstand Fredi Bobic seine Arbeitsweise, „klappt jetzt in drei.“ Die Mission Klassenverbleib braucht zwar ein bisschen länger, könnte aber in ein furioses Finale münden – mit Huub-Konzert in Stadt und Region.