Heiß diskutiert mit Lesern unserer Zeitung: Der VfB Stuttgart und die Pläne für eine AG. Foto: Baumann

Der Plan ist klar – doch noch immer gibt es Fragen, Ängste und Sorgen rund um das Thema Ausgliederung. Neben allen Argumenten ist klar: Die Zustimmung ist eine Frage des Vertrauens.

Stuttgart - Es gibt Entscheidungen, die bestimmen schon die Diskussionen, lang bevor sie getroffen werden. Bei Wählern ist das so, die wochenlang diskutieren, wo sie ihr Kreuzchen machen könnten. Bei Sportfans ist das so, die tagelang darüber sinnieren, wer das nächste Match gewinnen möge. Und bei Mitgliedern des VfB Stuttgart ist das nicht viel anders. Zumindest nicht in diesen Tagen, an denen sich die Fragen türmen.

Gewinnen die Weiß-Roten am Sonntag gegen Erzgebirge Aue? Knackt der Verein den Zuschauerrekord? Wird Simon Terodde Torschützenkönig? Steigt die Mannschaft am Ende der Saison in die Bundesliga auf? Und was passiert danach? Wenn eine zukunftweisende Entscheidung ansteht.

Thema zu einseitig aufbereitet

Am 1. Juni stimmen die Mitglieder in der Mercedes-Benz-Arena darüber ab, ob der Club seine Profiabteilung (ab der U 16) in eine Aktiengesellschaft ausgliedert. „Bei jedem Heim- und Auswärtsspiel wird dieses Thema rauf und runter diskutiert“, sagt Magnus Missel – der einer ist, der viele Antworten geben muss. An diesem Nachmittag aber darf er auch Fragen stellen.

Acht Leser unserer Zeitung sind zu Gast in der Redaktion, dazu neben Missel, der Diplom-Wirtschaftsjurist ist, drei weitere Experten, die sich mit dem Thema schon länger intensiv auseinandergesetzt haben. Dazu: eine Abordnung des VfB Stuttgart mit Präsident Wolfgang Dietrich an der Spitze. Und der sieht sich recht schnell kritischen Fragen ausgesetzt.

„Ja zum Erfolg“, lautet das Motto, mit dem der Club für die Ausgliederung wirbt. Und Missel, seit Jahren Fan und Mitglied des VfB, entgegnet: „Mir wird das Thema vom Verein zu einseitig aufbereitet.“ Und er fragt: „Ist sich eigentlich jedes Mitglied über die Tragweite der Entscheidung bewusst?“ Beim VfB denken sie sich vermutlich: hoffentlich.

Denn Wolfgang Dietrich nutzt auch in diesem kritischen Kreis die Möglichkeit, mit Leidenschaft darzustellen, dass die Alternativen rar bis nicht vorhanden sind, will der VfB in den kommenden Jahren wieder Anschluss finden an die kickende Oberklasse. „In den vergangenen 16 Jahren hat sich der deutsche Fußball dreimal neu erfunden“, sagt er. Stefan Heim, der Finanzchef des Clubs, ergänzt: „Der Verein, der heute noch von Bier, roter Wurst und Eintrittskarten lebt, spielt längst nicht mehr in der ersten Liga.“ Also braucht es andere Einnahmequellen. Der VfB hat sie für sich identifiziert. Er will nach einer Ausgliederung maximal 24,9 Prozent seiner Anteile veräußern, die ersten 11,75 Prozent würde die Daimler AG übernehmen und dafür 41,5 Millionen Euro überweisen. „Wenn man sich einen strategischen Partner malen dürfte“, sagt Heim und tippt mit dem Zeigefinger auf das weiße Blatt vor ihm: „Das wäre er.“ Keine Rückzahlung, keine Zinsen, ein Rückkaufsrecht, keine Schulden – geht es besser? Das Misstrauen gegenüber den Plänen ist dennoch längst nicht verschwunden.

Alternative vermisst

Auch in der Diskussionsrunde am Donnerstagnachmittag. Wobei: Viele der Leser und Experten haben längst einen nüchternen Blick auf die Angelegenheit. „Ich sehe keinen Weg, wie erfolgreicher Profifußball langfristig ansonsten möglich ist“, sagt Steuerberater Roland Häussermann. Und Ulrich Cronmüller (Rechtsanwalt und Unternehmensberater) ergänzt in der Diskussion über die passende Form einer Kapitalgesellschaft: „Eine GmbH wäre von rechtlicher Seite nicht so ausgestattet wie eine AG. Diese bietet die schärfsten Haftungsregelungen.“ Eine Alternative? Vermisst auch der Präsident.

Bei aller Kritik, die Dietrich zur Kenntnis nimmt und meist wortreich entkräftet, hat er in den vergangenen Wochen festgestellt: Auf die Frage nach anderen Möglichkeiten der seriösen Geldbeschaffung bekommt er im Grunde nie eine Antwort. Dafür gibt es andere drängende Fragen. Zum Beispiel: Was fängt der VfB mit dem frischen Geld an?

Fast gebetsmühlenartig wiederholen Dietrich und Heim dann, dass ausschließlich direkt und indirekt in den Sport investiert wird. In Spielerverträge und Ablösesummen, ja. Aber eben auch in Infrastruktur. Über fünf Millionen Euro kostet die dringend notwendige Modernisierung der Trainingsplätze für die Jugend. Nach einer Ausgliederung hätte der VfB das nötige Eigenkapital – um es direkt in die Baustelle zu stecken oder um bei Kreditanfragen wieder als vertrauenswürdiger Partner zu erscheinen. Fast noch einmal so viel muss in die Infrastruktur für die Profis gesteckt werden. „Man kann die Frage nach der Ausgliederung nicht trennen vom sportlichen Konzept“, entgegnet Dietrich Stimmen, die auf eine ebensolche Abgrenzung in der Argumentation setzen. Denn, das ergänzt VfB-Finanzchef Stefan Heim: „Es geht immer um Handlungsfähigkeit. Habe ich die, kann ich einen eingeschlagenen Weg auch viel einfacher weitergehen.“ Dass dieser mittlerweile wieder Hoffnung macht, bestreitet keiner in der Runde. Aber reichen diese Ansätze der noch relativ neuen Clubführung, um das Vertrauen der Mitglieder zu gewinnen?

Das ist die entscheidende Frage, die am 1. Juni darüber entscheidet, wie sich der VfB der Zukunft präsentieren wird. „Der mögliche Investor hat uns bereits viel Vertrauen entgegengebracht“, sagt Dietrich. Auf dieser Basis sollen bis 2019 weitere Anteile verkauft werden. An wen auch immer?

Das Ziel: 100 000 Mitglieder

Die Furcht, der VfB schaue nur aufs Geld und hole sich unliebsame Gäste ins Haus, schwingt immer wieder mit. Dietrich will sich und den Club nicht beschränken auf regionale Unternehmen als mögliche Partner. Er weiß aber: Auch bei derartigen Entscheidungen darf er das Vertrauen der Mitglieder nicht missbrauchen. „Wir wollen eine starke AG, aber auch einen starken e. V.“, sagt Dietrich, „den würden wir aufs Spiel setzen, wenn wir verrückte Sachen machen würden.“ Also gelte für weitere Schritte: sich Zeit lassen, genau hinschauen, im Sinne des Vereins Tradition und Kommerz bestmöglich verbinden. „Wenn wir das schaffen“, sagt Dietrich, „sind wir im Vorteil gegenüber den reinen Kommerzvereinen.“ Weiteres Merkmal dafür soll eine erneute Steigerung der Mitgliederzahl sein. 100 000 strebt der Präsident innerhalb seiner Amtszeit an.

Wie die Mitglieder am Ende in einem neuen Konstrukt eingebunden sind, hängt auch von einer Satzungsänderung ab – über diese wird ebenfalls am 1. Juni abgestimmt. Aber Wolfgang Dietrich macht klar: In diesem Fall ist das eine nicht vom anderen abhängig. Ausgliederung ja, Satzungsänderung nein – auch das sei möglich. Und ebenfalls wieder eine Frage des Vertrauens.

So geht die Runde am Donnerstag auseinander. Nicht selig vereint, aber mit viel neuem Wissen, klaren Meinungen, vielen Themen rund um die geplante Ausgliederung – und: mit einem Termin. Man hat sich erneut verabredet, Treffpunkt: in eineinhalb Jahren. Um zu sehen, wo der VfB dann steht.