Bleiben oder gehen? An Sportvorstand Robin Dutt scheiden sich die Geister Foto: Baumann

Robin Dutt klammert sich verbissen an seinen Job als Sportvorstand. Der Aufsichtsrat steckt in der Klemme: Eigentlich müsste er ihn für den Totalschaden in Haftung nehmen. Eine Trennung wäre aber mit einem hohen Risiko verbunden.

Stuttgart - Schnell muss es gehen. Jede Entscheidung muss sitzen. Und dazu bedarf es möglichst hoher sportlicher Kompetenz. Doch daran mangelt es, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, in der oberen Führungsebene des VfB seit Jahren. Wenn dann noch die Person fehlt, der qua Amtes eine nicht ganz unbedeutende Rolle zukommt, erschwert das die Entscheidungsfindung ungemein.

Nach dem Totalschaden, den die Mannschaft auf dem Rasen angerichtet hat, muss der Aufsichtsrat als gewichtigstes Vereinsgremium Antworten finden auf allerlei drängende Fragen. Wer beerbt den zurückgetretenen Präsidenten Bernd Wahler? Wer folgt auf Jürgen Kramny, dessen Auftrag als Cheftrainer mit dem Abstieg abgelaufen ist? Wie stellt der Verein eine Mannschaft zusammen, die schlagkräftig genug ist, um in der neuen Saison ein gewichtiges Wort im Kampf um den Aufstieg mitzureden? Und weil alles mit allem zusammenhängt, schwebt über den Diskussionen die Frage nach dem künftigen Sportchef. Darf Robin Dutt im Amt bleiben, obwohl ihm der Absturz zwar nicht alleinverantwortlich, doch in den entscheidenden Bereichen anzulasten ist? Was spricht für ein Weiter-so, was für eine mögliche Trennung?

Es gibt also Redebedarf ohne Ende, weshalb es ein wenig ungeschickt wirkt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Martin Schäfer sich just am Tag des sportlichen Totalschadens in den Urlaub nach Mallorca aufmachte. Kein Problem, sagen sie beim VfB, in Zeiten der modernen Telekommunikationsmittel falle das nicht ins Gewicht. Und so glühen die Drähte zwischen Schäfer und seinen Kollegen Hartmut Jenner und Wilfried Porth, stets unter der Prämisse: Was ist das Beste für den Verein? Das ist zuweilen gar nicht so einfach zu beantworten – speziell bei der Personalie Robin Dutt.

Der Sportvorstand selbst dringt in dieser Causa auf eine rasche Entscheidung. „Bei aller Trauer über den Abstieg kann ich in sportlichen Fragen keine Zeit verlieren“, sagt er, „in vier Wochen beginnt die Saisonvorbereitung.“ Dann muss ein neuer Trainer im Amt sein, dann muss die Mannschaft weitestgehend stehen. Doch wer baut sie zusammen? Dutt (51), der mit einigen haarsträubenden Fehlgriffen und Fehleinschätzungen die Notlage erst mit herbeigeführt hat?

„Ich glaube eher, dass ich nicht zurücktrete“

An einen freiwilligen Rückzug denkt der Eltinger jedenfalls nicht, stattdessen tritt er mit großem Selbstvertrauen vor die Kameras und spielt seine Rolle wie einen Trumpf aus, von dem er weiß, dass er auch stechen wird. Er sei im operativen Geschäft der Einzige beim VfB, der über Bundesligaerfahrung verfügt, betont er, was frei übersetzt so viel heißt wie: Ohne ihn kann der Verein gleich einpacken – was so falsch ja gar nicht ist und den Schluss zulässt: Was seine Strukturen angeht, ist der VfB nicht weiter als vor ein, drei oder 15 Jahren – allen Sonntagsreden der langjährigen Strategen zum Trotz.

„Ich glaube eher, dass ich nicht zurücktrete“, sagt Robin Dutt, „wir müssen aber erst einmal einige Fragen im Vorstand klären.“

„Die Gremien des VfB werden zeitnah über kurzfristig erforderliche Maßnahmen, aber auch über mittel- und langfristig notwendige Veränderungen beraten“, teilte der Aufsichtsrat über eine Presseerklärung mit.

Robin Dutt räumt zwar den einen oder anderen Fehler ein, hauptsächlich sieht er sich jedoch als Opfer der Umstände. „In Sachen Trainer muss ich komplett die Verantwortung übernehmen“, sagt er über die Fehlgriffe Alexander Zorniger und Jürgen Kramny, den er am Ende zu lange gewähren ließ. Dass er nach dem Abgang von Antonio Rüdiger zu AS Rom die Schwachstelle Abwehr unterschätzt und sich in Toni Sunjic einen angesichts von 75 Gegentreffern weiteren Kardinalfehler geleistet hat, führt er auf das mangelhafte Scouting zurück, das er schon immer angeprangert habe: „Es ist kein Zufall, dass die Spieler, die ich nicht persönlich kannte, nicht eingeschlagen haben.“ Ansonsten fühle es sich für ihn an, „als ob alles bei mir abgeladen wird“. Dabei sei der Verein „vier, fünf Jahre kontinuierlich an den Abgrund“ gelenkt worden, „zielgerichtet“ habe er in dieser Zeit auf den Abstieg hingearbeitet, er selbst sei aber seit Januar 2015 im Amt. Aber ist er deshalb der Richtige, um die Zukunft aktiv mitzugestalten?

Um diese Frage geht es verstärkt in den Gesprächen zwischen Mallorca und Stuttgart. Im Januar hatte Dutt dem Aufsichtsrat ein Konzept vorgestellt, das Wege für ein verbessertes Scouting, für einen Schub in der Nachwuchsförderung und für Neuerungen bei der Kaderplanung aufzeigte. Das Gremium stimmte diesem Konzept zu, das vom 1. Juli an greifen soll. Ist das nun hinfällig? Eher nicht. Wenn alle davon überzeugt waren – warum sollten sie nun davon abrücken? Und was wäre die Alternative?

Diese Frage stellt sich erst recht, sollte das Gremium Dutt die Rote Karte zeigen. Viele Dinge sind angeschoben, drei Kaderplaner sind verpflichtet, der eine oder andere Spieler mehr oder weniger auch. Wenn Dutt gehen muss – welcher Nachfolger ist sofort verfügbar, der überdies bereit ist, dieses Konzept zumindest zu großen Teilen mitzutragen, statt seine eigenen Ideen umzusetzen? Schon geistert der Name Horst Heldt durch den Strafraum der Mercedes-Benz-Arena – nur weil Dutts Vorvorgänger, in dessen Ära nach der Meisterschaft 2007 der sportliche Niedergang begonnen hat, gerade bei Schalke 04 frei geworden ist. Ernst zu nehmende Vorschläge für eine Neubesetzung des Postens sind rar, was nur zeigt: So vehement (vor allem) die Fans die Entlassung von Dutt fordern, so hohes Risiko birgt der Wunsch.

Womöglich liegt der Königsweg wie so häufig in der Mitte. Weil obige Zwänge nicht von der Hand zu weisen sind, könnte Dutt eine Bewährungschance haben. Dann müsste er sich zu einem späteren Zeitpunkt einer Neubewertung seiner Arbeit stellen – in ruhigeren Zeiten, sollte es irgendwann beim VfB mal so weit kommen. „Unser Ziel“, sagt Robin Dutt, „ist der Wiederaufstieg. Ein Selbstläufer wird das aber nicht.“