Bald könnte der VfB schon eine AG sein. Foto: Getty

Am Montag (18 Uhr) tagt die weiß-rote Mitgliederversammlung. Es gibt viel zu bereden: die sportliche Situation, den strukturellen Umbau – und die geplante Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung. Die eine oder andere Überraschung ist dabei nicht auszuschließen.

Stuttgart - Zweimal in den vergangenen drei Jahren stand der VfB Stuttgart bedenklich nah am Abgrund. Zweimal ist es gerade noch mal gutgegangen. Das nährt üblicherweise weder die Zuversicht in die handelnden Personen noch in die gebräuchlichen Rezepte. Weshalb die Tagung der weiß-roten Fangemeinde in der Stuttgarter Porsche-Arena eher die Züge eines Tribunals tragen dürfte als die eines Kirchentags. Da kann es nicht schaden, wenn sich die Hauptdarsteller des Geschehens darauf verstehen, mit frohen Botschaften ein wenig Weihrauch über der aufgewühlten Menge zu schwenken. Eine könnte sein, dass die Häuptlinge des VfB Stuttgart nicht nur von einer Marke sprechen, künftig soll sie auch gelebt werden – am besten vom Platzwart bis zum jeweiligen Trainer. Heimat, Tradition, Regionalbewusstsein, Leidenschaft, Mut, Stolz, Jugend, Leistungsbereitschaft und unternehmerisches Geschick sind die wichtigsten Parameter des Streifens, der die Fans künftig mit auf die Reise in die Welt der großen Gefühle nehmen soll.

Hier geht's zum Liveticker von der Mitgliederversammlung

Noch milder könnte aber die Nachricht stimmen, dass im Hause Daimler noch mal gerechnet worden ist. Nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten führte dies zum Ergebnis, dass es sinnvoll sein könnte, als strategischer Partner beim Aushängeschild der württembergischen Fußballbewegung einzusteigen. Man darf auch Investor dazu sagen.

Angeblich warten beim großen Nachbarn 20 Millionen Euro auf ihren Abnehmer. Gewirkt haben offenbar die Überzeugungskünste des Präsidenten Bernd Wahler, ein schlüssiger Business-Plan und das Netzwerk von VfB-Aufsichtsratschef Joachim Schmidt, einem ehemaligen Mercedes-Manager. Vor allem aber die Furcht vor dem Einstieg interessierter Konkurrenten wie Volkswagen oder Porsche. Voraussetzung für Daimlers Millionenspritze: die Ausgründung der Lizenzspielerabteilung. Künftig soll ein AG hinter dem VfB erscheinen. Was offenbar nicht nur der Autobauer aus Untertürkheim reizvoller findet als das reine Sponsoring.

Ein Blick auf die Kandidaten des neu zu wählenden Aufsichtsrats eröffnet denn auch ungeahnte Perspektiven: Neben Joachim Schmidt, Hansi Müller und Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth stehen Kärcher-Chef Hartmut Jenner, Gazi-Patron Eduardo Garcia und Vertriebschef Martin Schäfer vom Montage- und Schraubenriesen Würth zur Wahl – allesamt Emissäre renommierter Unternehmen aus der Region. Reinhold Würth, Patriarch des Vertriebs- und Handelsriesen, saß gegen Ende vergangener Saison im Derby gegen den SC Freiburg nicht ohne Grund als sorgsam umhegter Ehrengast auf der Haupttribüne der Mercedes-Benz-Arena. Als weiterer Investor im Gespräch: Puma, Ausrüster der Mannschaft mit dem roten Brustring.

Am Ende, so die Rechnung der Experten, könnten für 20 bis 30 Prozent der VfB-Anteile rund 70 Millionen Euro in die Kasse des Fußball-Unternehmens fließen. Der aktuelle Vereinswert wird wohlwollend auf rund 250 Millionen Euro geschätzt. 10 bis 15 Millionen Euro stünden im besten Fall schon zur Saison 2015/16 für die Aufrüstung der Mannschaft zur Verfügung. Der Rest soll in branchennahe Geschäftsfelder gesteckt werden, die auf Sicht wieder Rendite versprechen.

Schon am Montag will Bernd Wahler den Seinen den Mund mit der Aktiengesellschaft wässrig machen. Darüber abgestimmt werden könnte dem Vernehmen nach aber frühstens im Frühjahr kommenden Jahres im Zuge einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. 75 Prozent müssten für die AG votieren. „Das ist eine hohe Hürde“, sagt Bernd Wahler, der den Weg zur AG für die Fans „maximal nachvollziehbar und transparent“ gestalten will. Die Fan-Lager sind naturgemäß misstrauisch, sie fürchten die Fremdsteuerung über Geldgeber, den Verlust an Tradition und die Entmachtung der Mitgliederversammlung.

Andererseits verlor der VfB Stuttgart seit der Meisterschaft 2007 in erschreckendem Tempo an Konkurrenzfähigkeit. Unbestritten ist deshalb die Notwendigkeit von zeitgemäßen Strukturen und einer Geschäftspolitik, die den Erfordernissen der Unterhaltungsbranche Fußball gewachsen ist.

Und ziemlich genau an diesem Punkt beginnen die Probleme. Denn das Vertrauen der Mitglieder in die sportliche Kompetenz der VfB-Granden schwindet mit jeder Saison, die im Stimmungstief endet. Als Hauptschuldiger der aktuellen Misere gilt der kantige Sportvorstand Fredi Bobic, weshalb ihm nun als Korrektiv ein Sportausschuss dienen soll, von dem noch niemand so richtig weiß, ob und wie er funktioniert. Namen möglicher Kandidaten werden seit Wochen gehandelt wie Panini-Bilder während der WM. Klar ist immerhin, dass Hansi Müller, Hermann Ohlicher und Guido Buchwald dem beratenden Gremium angehören sollen. Außerdem stehen die Chancen für Karl Allgöwer gut, nach etlichen Anläufen über die Rolle des Alibi-Kandidaten der VfB-Granden hinauszukommen. Präsident Wahler kümmert sich überdies fast schon rührend um Kontakte zu prominenten Ex-VfB-Kickern wie Jürgen Klinsmann oder Ottmar Hitzfeld. Sein Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Der Umbau beim VfB Stuttgart hat jedenfalls schon begonnen – zum Teil mit der Rückkehr bewährter Kräfte. Talentschmied Rainer Adrion kümmert sich wieder um die Schnittstelle zwischen Nachwuchs- und Profibereich. Im Herbst soll der frühere Pressechef Oliver Schraft die neu zu schaffende Unternehmenskommunikation übernehmen – und wenn alles klappt, wird Ende 2015 auch der beim 1. FC Köln als Finanzgenie gefeierte Alex Wehrle an den Neckar zurückkehren.

Der Weg in die Zukunft scheint fürs Erste gepflastert von einer alten Erkenntnis: Nachdenken ist gut, vordenken noch besser.