Aufsichtsräte Eduardo Garcia (li.), Joachim Schmidt, Präsident Bernd Wahler (Mi.): Deutliche Worte bei der Mitgliederversammlung Foto: Baumann

Mitgliederversammlungen sind häufig der Tag der Abrechnung. Erst recht bei einem Tabellenletzten, könnte man meinen. Doch es kam anders: Die Clubführung des VfB Stuttgart traf am Sonntag auf einen geduldigen Anhang.

Stuttgart - Wie ein riesiger roter Teppich legt sich die Bühne durch den Innenraum der Porsche-Arena. Irgendwie wirkt der Aufbau überdimensioniert für eine Veranstaltung mit 1500 Besuchern. Zwischen den Reihen, auf denen Vorstand und Aufsichtsrat des VfB Platz nehmen, und dem Rednerpult liegen sicher 30 Meter. Die Verantwortlichen wollen Nähe zu ihren Mitgliedern herstellen – und erreichen doch das Gegenteil.

So schnappt sich Silvia Kaufmann in der Aussprache das Mikrofon, macht einige Schritte und baut sich direkt vor der sportlichen Führung auf. Was folgt, ist eine Generalabrechnung quer durch den Gemüsegarten: Der Präsident Bernd Wahler – redet nur! Sportvorstand Robin Dutt: Kauft die falschen Spieler! Und überhaupt: der Aufsichtsrat! Richtig zünden kann ihr Angriff allerdings nicht, weder im Publikum noch bei den Gescholtenen selbst. Wahler, Dutt und Co. parieren die Attacken souveräner als der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga die Vorstöße seine Gegner.

Was eines zeigt: Selbst dem Anhang der Roten fällt es schwer, die Krise an bestimmten Punkten oder Personen festzumachen. Anders als in den Vorjahren, als sich stets ein Sündenbock finden ließ, herrscht dieses Mal weitgehend Konsens. Darüber, dass es schwer fällt, den miesen Saisonstart zu erklären. Und darüber, dass der Kurswechsel, den der Verein nach dem Fast-Abstieg im Sommer eingeschlagen hat, ohne Alternative ist. Um das Fan-Original Reinhold Weiß zu zitieren: „Sie sind die Richtigen.“

Grundsätzlich stehen die Fans hinter Zorniger.

Gemeint sind Dutt, Wahler – und auch Trainer Alexander Zorniger. An dessen Außendarstellung beziehungsweise Wortwahl wird zwar vereinzelt Kritik laut, aber grundsätzlich weiß auch der Coach den weiß-roten Anhang hinter sich. „Es tut gut, wenn man auch mal motiviert wird“, sagt Dutt und bringt die allgemeine Stimmungslage auf den Punkt: Viel Wohl und niemandem wehe – höchstens ein bisschen.

Dutt bittet in seiner mit viel Applaus bedachten Rede zur aktuellen sportlichen Situation um Geduld. „Wir haben nicht ein neues Auto gekauft, sondern entwickeln ein neues.“ Dass der Motor noch erheblich stottert – nun, dies gelte es angesichts des schwierigen Weges in Kauf zu nehmen. Der Sportvorstand betont noch einmal: „Wir stehen total hinter Alexander Zorniger.“

Der verlässt die Versammlung mit seiner Mannschaft wenig später und bekommt von der Aussprache nichts mit. Und auch nichts von der Frage, ob sich Joachim Schmidt vor seiner Verpflichtung tatsächlich mit Thomas Tuchel beschäftigt hat. Darauf erwartet VfB-Mitglied Christian Prechtl eine Antwort des Aufsichtsratschefs, der ein angebliches Treffen mit Tuchel und Daimlerchef Dieter Zetsche nicht kommentieren, also auch nicht dementieren will. Das bringt ihm wütende Pfiffe ein. Später, bei der Entlastung, kassiert der gesamte Aufsichtsrat ein blaues Auge: Die Mitglieder verweigern dem Gremium mit 71,3 Prozent Nein-Stimmen die Gefolgschaft. Der Vorstand wird mit 51,4 Prozent ebenfalls nicht entlastet, was auch als Abrechnung mit Ex-Sportvorstand Fredi Bobic zu werten ist. Doch auch Präsident Wahler darf sich angesprochen fühlen. Er spricht von einem „großen Denkzettel, den wir sehr ernst nehmen werden“.

Noch gibt es kein konkretes Modell für die Ausgliederung.

Mit Spannung warten die Mitglieder auf Einzelheiten zur geplanten Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung. Vergebens. „Wir haben kein fertiges Modell, das wir ihnen heute verkaufen möchten“, sagt Wahler. Der Begriff Ausgliederung steht noch unter Vorbehalt. Stattdessen läuft das Thema unter „Vereinsentwicklung“. Der VfB möchte erst in Einzelinterviews und in elf Regionalversammlungen die Stimmung an der Basis einfangen, um dann gemeinsam ein Modell zu erarbeiten. Darüber soll dann bei der nächsten Mitgliederversammlung am 26. Juni 2016 entschieden werden.

Die Umwandlung der Profiabteilung in eine Aktiengesellschaft sei nur eine von mehreren Möglichkeiten, sagt der für das Projekt verantwortliche Rainer Mutschler. „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß“, sprich: AG oder eingetragener Verein, „sondern auch viele Graustufen“. Mutschler fordert die weiß-rote Basis auf, das Vorhaben ohne Vorbehalte aktiv mitzugestalten: „Bitte maulen sie nicht, sondern machen sie auch mit!“ Damit ist Mutschler der letzte Applaus des Tages sicher.