FC Augsburg (Callsen-Bracker/li.) hat VfB (Mohammed Abdellaoue) überflügelt Foto: dpa

Der FC Augsburg hat den VfB Stuttgart in der Tabelle abgehängt, weil er die eigenen Vorgaben konsequenter umsetzt. Das muss den VfB-Strategen zu denken geben.

Stuttgart - Der Angriff kam zum passenden Zeitpunkt und traf den VfB an einem empfindlichen Punkt – im direkten Vergleich. Am dritten Spieltag besiegte der FC Augsburg den VfB mit 2:1 und zog in der Tabelle vorbei, erstmals in der Geschichte beider Clubs waren die Rollen vertauscht: der übermächtige VfB hinter dem biederen Außenseiter. Seither hat sich die neue Rangfolge verfestigt: Mit neun Punkten Vorsprung reist Augsburg zum nächsten Duell an diesem Sonntag (15.30 Uhr/Sky) an.

Neun Punkte, die dem VfB arg wehtun. „Das ärgert mich maßlos“, sagt Kapitän Christian Gentner grimmig. Darauf kontert Augsburgs Mittelfeldspieler Daniel Baier mit unverstellter Vorfreude: „Stuttgart ist für uns das nächste Highlight.“

Er sagt das genauso angriffslustig, wie sich der FCA auf dem Rasen präsentiert. Nicht überheblich – eher wie ein Pfadfinder, der neue Abenteuer sucht und nicht abschätzen kann, was der Tag alles bringt. Der aber selbstbewusst genug ist zu glauben, dass alles schon gut ausgehen wird.

Damit spiegelt er die Mentalität der ganzen Truppe wider: gewitzt und wagemutig, aber auch realistisch. „Die Augsburger besinnen sich auf das, was sie können. Damit fahren sie zurzeit sehr gut“, sagt VfB-Sportdirektor Fredi Bobic. Geschlossenheit, Teamgeist, Leidenschaft, Kampfeswille und wilde Entschlossenheit, diese Tugenden zu jeder Sekunde auf den Platz zu bringen, sind die Trümpfe. „Bei uns wäre es besonders auffällig, wenn nicht alle an einem Strang ziehen würden“, sagt Trainer Markus Weinzierl, „unser System, unsere Vorstellung vom Fußball würde dann nicht mehr funktionieren.“

Es funktioniert aber über die Maßen gut. Im Kalenderjahr 2013 holte Augsburg 47 Punkte aus 33 Spielen – das sind Werte eines Europa-League-Teilnehmers, nicht einer Truppe, die mit neun Punkten ins Jahr gestartet war, was auf den nahezu sicheren Abstieg schließen ließ. Der FC Augsburg hatte keine Chance, aber er nutzte sie. Im Dezember 2012 kam Stefan Reuter als neuer Manager, nahm Weinzierl aus der Schusslinie und brachte neue Ideen ein, das wirkte. „Da haben wir Maßnahmen ergriffen“, sagt Reuter. Im Rückblick waren sie alle richtig. Disziplin und Teamgeist: Augsburg kann nur als Einheit bestehen. Das wissen alle. Wer es nicht wusste, wer sich nicht integrieren oder hängen ließ, musste gehen. „Wir haben den Kader umgestaltet“, sagt Reuter dazu emotionslos, „danach haben wir eine Spielidee entwickelt.“ Obenan steht das Offensivdenken, Grundlagen sind Wille und Leidenschaft. „Augsburg lebt das zu 150 Prozent“, sagt Bobic. „Mit jedem Erfolg wächst dann das Selbstvertrauen“, sagt Reuter. Der Kader: Spieler wie Andre Hahn, Ronny Philp, Kevin Vogts und Matthias Ostrzolek wollen sich in der Bundesliga bewähren, andere wie Torhüter Alex Manninger und Halil Altintop hoffen auf einen würdigen Abschluss ihrer Karriere, die nächsten wie Dani Baier, der mit dem VfL Wolfsburg ohne einen einzigen Einsatz deutscher Meister wurde, der Ex-Schalker und -Gladbacher Jan-Ingwer Callsen-Bracker sowie Jan Moravek (früher Schalke) kämpfen gegen ihr Image als vermeintlich Gescheiterte an. Der Mix passt. „Personell macht Augsburg viele kluge Dinge“, sagt Bobic. Er meint die Leihgeschäfte – vergangenen Sommer die Stürmer Arkadiusz Milik von Bayer Leverkusen und Raphael Holzhauser vom VfB, in der Winterpause Stürmer Dong-Won Ji, der im kommenden Sommer zu Borussia Dortmund wechseln wird. „Da profitiert Augsburg von seinem Image als vermeintlich kleiner Club“, sagt Bobic. Die Philosophie: Weinzierl ist ein Verfechter des Offensivfußballs – auch zu Zeiten, als es nicht lief, spielte Augsburg couragiert nach vorn. Nervös wurde der Trainer nicht einmal, als seine Mannschaft – analog zur jüngsten Negativserie des VfB – in fünf Spielen jeweils mit 1:0 führte, vier davon verlor und nur einen Punkt holte. „Markus ist immer souverän, das ist ein Schlüssel zum Erfolg“, sagt Reuter, „und jeder merkt, dass sich der Erfolg einstellt, wenn man nur nicht aufsteckt.“ Sinn für die Realität: Mit 17 Millionen Euro hat Augsburg den zweitkleinsten Etat der Liga (VfB: rund 40 Millionen). Spieler wie Hahn (23), Ostrzolek (23) oder Vogt (22) wecken bei anderen Vereinen Begehrlichkeiten und sind kaum zu halten. „Augsburg wird jedes Jahr gegen den Abstieg spielen, das wissen sie dort aber auch“, sagt Bobic, „zurzeit ist das eine schöne Situation, die sollen sie genießen.“ Reuter versichert: „Wir träumen nicht, weder im Club noch im Umfeld.“

Nun, da sich das Augsburger Mosaik zusammenfügt und der VfB in der Negativspirale steckt, spielt die Psychologie eine immer wichtigere Rolle, womöglich macht sie zurzeit den größten Unterschied aus. „Der Kopf ist brutal entscheidend“, sagt Weinzierl. Der VfB kommt von oben, der Verein und sein Umfeld wähnen ihn stets in der Nähe der Europa-League-Plätze. Augsburg kommt von unten, hat geringe Ansprüche und wenig zu verlieren. „Von uns wird erwartet, dass wir gewinnen und dabei schönen Fußball spielen“, sagt Bobic, „Augsburg hat über den Kampf zu spielerischer Leichtigkeit gefunden. Mit den Erfolgen ist das Selbstvertrauen gewachsen. Wenn sie jetzt zwei Spiele verlieren, ist ja nichts passiert.“

Wenn der VfB noch zweimal verliert, ist der Teufel los. Womöglich genügt dafür auch schon eine Niederlage, an diesem Sonntag gegen Augsburg. „Über uns soll jeder Gegner sagen: Augsburg ist ganz unangenehm, die lassen sich nur schwer abschütteln“, sagt Reuter und untertreibt: Was er als Zukunftsszenario beschreibt, ist längst Realität.