800 Ehrenamtliche helfen von 17. Januar bis zum 5. März bei der Vesperkirche mit. Darunter sind auch die Fußball-Profis des VfB Stuttgart. Sie wollen im Februar 2016 mit den Ärmsten der Armen auf Tuchfühlung gehen.

Stuttgart - Die Vesperkirche öffnet in fünf Wochen zum 22. Mal ihre Pforten. „Das ist toll“, sagt Vesperkirchen-Pfarrerin Karin Ott, „aber es darf nicht darüber hinweg täuschen, dass Vesperkirchen mitten im Reichtum dieser Gesellschaft ein Skandal bleiben.“ Auf diesem ungleich verteilten Reichtum gründet auch das Motto der Vesperkirche: „Es ist genug für alle da.“

Aus christlicher Überzeugung ist das Teilen und die Teilhabe eine Selbstverständlichkeit. Aber in diesem Jahr bekommt diese Haltung eine neue Note. Die Flüchtlingskrise und ihre Weiterungen streifen jetzt auch die Vesperkirche. Einerseits gilt das christliche Leitmotiv, für Fremde und Benachteiligte einzutreten. Andererseits weiß Dekan Klaus Käpplinger, „dass Kraft und Energie begrenzt sind“. Daher hat Käpplinger einen frommen Wunsch: „Es darf zwischen der Hilfe für gesellschaftlich Benachteiligte und der für Flüchtlingen zu keiner Konkurrenzsituation kommen.“

VfB-Profis helfen in der Vesperkirche

Was das Engagement der Stuttgarter betrifft, scheint diese Sorge unberechtigt. „Wir haben mehr Anfragen für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Stellen“, sagt Karin Ott und bestätigt den besonderen Geist, der in dieser Stadtgesellschaft herrscht. Derzeit engagieren sich alleine 3000 Stuttgarter in der Flüchtlingsarbeit. Und 800 Menschen im Alter zwischen 16 und 80 Jahren packen vom 17. Januar bis 5. März 2016 in der Leonhardskirche mit an. Sogar ein paar Profis des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart wollen am 24. Februar mit den Ärmsten der Stadt auf Tuchfühlung gehen. Die Vesperkirche muss also keine Konkurrenz fürchten. Sie ist inzwischen fest verankert im Bewusstsein der Bürger. Selbst der durch Spenden finanzierte Etat in Höhe von 260 000 Euro wird voraussichtlich wieder mühelos erreicht.

Die Armen fürchten die Konkurrenz der Flüchtlinge

Dennoch gibt es angesichts der rund 6000 Flüchtlingen in der Stadt Bedenken. Sie kommen von Gästen der Vesperkirche. Also von denen, die gezwungen sind ihr Leben am Rande oder unterhalb des Existenzminimums zu führen. Von jenen, die laut Karin Ott „täglich einen Kampf gegen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit führen“. Sie fürchten die Konkurrenz der Flüchtlinge. So fragt beispielsweise eine Frau, die seit Jahren in der Notfallkartei steht: „Habe ich jetzt gar keine Chance mehr auf bezahlbaren Wohnraum?“ Ähnlich klingt die Stimme eines Menschen, der sich im Niedriglohnsektor verdingt: „Wird es für mich jetzt total aussichtslos, ein richtigen Job zu bekommen?“

Karin Ott, die auch eine gewisse Empathie ihrer Gästen für die mittellosen Flüchtlinge spürt, ahnt daher schon Böses: „Es darf nicht sein, dass Pegida und die AfD hier nach Unterstützung fischen. Diese Gruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ Denn selbst wenn in dieser Kampagne auch einige Flüchtlinge an der Mittagstafel in der Vesperkirche Platz nehmen, sei das kein Problem. Es sei schließlich genug für alle da. Aber Ott rechnet ohnedies mit keinem großen Ansturm: „Wir bieten deutsche Hausmannskost, die ist für Flüchtlinge nicht sehr attraktiv.“ Am Ende kann Dekan Käpplinger der Flüchtlingsdebatte sogar eine positive Begleiterscheinung abgewinnen: „Ich hoffe auf Katalysator-Effekt. Durch den erhöhten Bedarf könnte der soziale Wohnungsbau wieder angekurbelt werden.“