Heidemarie Schwermer gründete einen der ersten Tauschringe - Verzicht auf Geld seit 15 Jahren.

Ein Leben ohne Geld, das hat sich Heidemarie Schwermer schon als Jugendliche ausgemalt. Aber auch das Tauschen als Währung hat sie nicht glücklich gemacht. Heute predigt sie das Teilen.

Frau Schwermer, wie kommt es, dass Sie ohne Geld leben - und ein Handy haben?
Das habe ich geschenkt bekommen, zusammen mit einer Prepaid-Karte. Und ich gebe ja viele Vorträge. Wenn mir die Leute dafür unbedingt etwas geben möchten, sage ich: Sie können meine Handykarte aufladen.

Warum leben Sie ohne Geld?
Ich habe bereits als Kind gespürt, dass da was nicht stimmt mit der Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Als Jugendliche habe ich mir vorgestellt, wie ein Leben ohne Geld wäre. Als ich 1994 einen der ersten Tauschringe in Deutschland gegründet habe, kam ich der Sache schon näher. Durch die Tauscherei merkte ich, dass ich immer weniger Geld brauchte, und dachte mir: Jetzt könnte ich doch mal das Experiment wagen.

Das jetzt schon 15 Jahre lang dauert.
Ich wollte eigentlich nur ein Jahr ohne Geld leben. Und ich wusste auch nicht gleich, wie ich das anfangen sollte - ich muss ja wenigstens meine Miete bezahlen. Da kamen Menschen vom Tauschring und haben mich gefragt, ob ich während ihrem Urlaub ihr Haus hüten würde. So haben sich Schritt für Schritt Gelegenheiten ergeben. Als ich zehn Häuser zum Hüten hatte, habe ich meine eigene Wohnung aufgelöst. Seit 15 Jahren habe ich keine eigene Wohnung mehr. Ich habe festgestellt, dass das Leben ohne Geld angenehmer und einfacher ist.

Was genau ist daran angenehmer?
Ich bin in ein ganz großes Vertrauen hineingewachsen, dass alles, was ich wirklich brauche, zur rechten Zeit bei mir ist. Und dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. Ich habe früher als Psychotherapeutin gearbeitet und auch gut verdient, aber da waren doch immer Geldsorgen. Die sind verschwunden. Viele Menschen haben große Ängste und können nicht mehr durchatmen, weil sie nicht wissen, wie sie den Strom bezahlen sollen. Sie können die kleinen Wunder im Alltag dadurch nicht wahrnehmen. Ihr Blick ist von anderen Dingen und Ängsten blockiert.

Wo sind Sie im Moment?
In Berlin. Ich wohne bei einem Freund, der gerade nicht da ist und mir seine Wohnung überlassen hat. Ich habe auch schon ein Ticket für die U- und S-Bahn hier in Berlin. Das hat mir eine Frau gestern geschenkt. Sie hatte eins für sieben Tage, war aber nur vier Tage in Berlin - und jetzt kann ich noch drei Tage damit herumfahren.

"Die Rente verschenke ich komplett"

 "Die Rente verschenke ich komplett"

Und wie sind Sie nach Berlin gekommen?
Vorher war ich in Dortmund und habe dort ein Haus gehütet. Nach Berlin bin ich mit dem Zug gefahren. Das Geld für das Ticket habe ich erst mal ausgelegt, bekomme es aber zurück von dem griechischen Fernsehsender, der mich nach Berlin eingeladen hat.

Also haben Sie doch Geld.
Nein, im Prinzip lebe ich noch immer ohne Geld. Aber vor vier Jahren hat sich in meinem Leben etwas verändert: Ich habe meine Rente angenommen und bin so auch krankenversichert. Die Rente verschenke ich komplett. Und weil ich schon jahrelang bewiesen habe, dass man ohne Geld reisen kann, bin ich heute manchmal etwas lockerer und lege das Geld für eine Fahrt auch mal vor. Meistens kriege es ja zurück und kann es dann verschenken.

Sind Sie mit Ihrer Lebensweise nicht auf das System, so wie es jetzt ist, angewiesen?
Klar, das streite ich nicht ab. Ich sage immer: Solange die Menschen um mich herum noch mit Geld leben, profitiere ich von deren Geld und von dem Überfluss, der da ist. Aber ich stelle mir eine Welt vor, in der alle so bewusst leben, dass keiner mehr haben will, als er wirklich braucht. Dann funktioniert es auch.

Hat sich Ihre Einstellung verändert?
Heute geht es mir nicht mehr um das Tauschen, sondern um das Teilen. Eine Tauschgesellschaft haben wir ja eigentlich schon. Sie gehen arbeiten und bekommen dafür Geld, welches Sie dann gegen Ware eintauschen und so weiter. Die Tauschkreise machen ja im Grunde das Gleiche nur mit Punkten. Da war ich aber eigentlich schon immer dagegen. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist nur ein Anfang und muss weitergehen. Denn beim Tauschen haben die Menschen immer eine Absicht. Und es soll nicht mehr darum gehen: Jetzt habe ich dir etwas gegeben, jetzt musst du mir auch etwas geben. Ich möchte nicht geben, nur um direkt etwas wiederzubekommen, sondern aus Prinzip. Wenn man von der Absicht dahinter wegkommt, nimmt man sich auch nur das, was man wirklich braucht.

Gibt es denn gar keine Probleme, mit denen Sie konfrontiert sind?
Nein. Hunger habe ich zum Beispiel nie. Das habe ich überwunden, wobei ich aber wirklich Todesangst hatte. Das liegt an meiner Geschichte: Als Kind war ich Flüchtling, und wir hatten kaum zu essen. Vor etwa zehn Jahren kam ich in ein Haus, in dem es nichts gab außer einem Salzstreuer. Da bin ich in Panik geraten. Aber ich musste in diese Angst aus der Kindheit noch einmal rein, um sie aufzulösen. Genau darum geht es: dass wir unsere Muster auflösen. Seitdem hatte ich nie wieder Hungersängste.

Was werden Sie heute essen?
Ich habe noch eine Möhre, drei Kartoffeln und eine Gemüsebrühe. Hier ist auch noch ein Stück Sellerie im Kühlschrank. Daraus koche ich mir eine leckere badische Suppe.