Richard Jung lässt es nun etwas ruhiger angehen. Wobei das relativ ist. Foto: privat

Seit Richard Jung den Wochenmarktmarkt verließ, ist sein Platz verwaist. Die Stadt sucht einen Nachfolger, doch den zu finden dürfte schwierig sein.

Ludwigsburg - Das hat es lange nicht gegeben, dass Richard Jung raus ist aus seinem Häuschen und hinten in seinen Garten gegangen ist, um der Sonne beim Untergehen zuzugucken. Einfach so, mitten unter der Woche. Schwer zu sagen, was bewegender anzusehen war: die mattrote Sonne, die einen Hauch von Frühling ausstrahlte – oder der kleine Mann, der geduldig verfolgte, wie sie langsam verschwand. Fast entspannt, wenn man das sagen kann über einen Mann, der 82 Jahre alt ist und dem man ansieht, dass er ein Leben lang körperlich hart gearbeitet hat.

Erst Freude, dann Enttäuschung

Richard Jung hat auf seinem Bauernhof Kühe gehalten, auf seinen Feldern Gelbe Rüben angebaut, Zwiebeln, Lauch und was sonst noch auf einen guten Acker gehört. Als er die Produktion im großen Stil einstellte, verkaufte er auf dem Ludwigsburger Wochenmarkt weiterhin Kartoffeln. Die besten, wie seine Kunden schworen. Im Dezember hat Richard Jung sein Ständchen für immer abgebaut. Es ging nicht mehr, er kann ja kaum noch laufen. Der Platz, der fast sieben Jahrzehnte seiner war, ist bis jetzt nicht wieder besetzt.

Ein Interessent, der ihn übernehmen wollte, um in Jung’scher Tradition Kartoffeln zu verkaufen, hat vor wenigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen. „Das wäre toll gewesen, wenn das geklappt hätte“, sagt David Frommer vom Ludwigsburger Marktamt.

Aber: kann das überhaupt klappen?

Es ist nicht einfach, Kontakt mit Richard Jung aufzunehmen, nun da er nicht mehr auf dem Markt zu finden ist. Er hat kein Telefon, seine Adresse ist deshalb auch nicht nachzuschlagen. Und die Nummer seines Notfallhandys hat nicht einmal das Ludwigsburger Marktamt. Allerdings kann man auch auf der Suche nach Richard Jung ziemlich viel über ihn erfahren.

Bodenständig und behutsam

„Er hat immer die leeren Säcke zurückgebracht“, schwärmt Werner Escher, bei dem Richard Jung drei Mal pro Woche volle Kartoffelsäcke für den Markt abholte. Solch eine Behutsamkeit – Werner Escher kann es noch immer nicht fassen. „Er ist so bodenständig“, sagt Karl-Heinz Bräckle voller Bewunderung. Bräckle ist Landwirt in Neckargröningen und mit Richard Jung gewissermaßen kollegial verbunden. Das Allerschönste, weiß er, ist für Richard Jung, wenn er sonntags zum Schnitzel essen gehen kann. Und David Frommer vom Marktamt bekennt: „Wir wissen gar nicht, wie Herr Jung das geschafft hat.“

Seine Markttage begannen nachts um halb fünf, und bis er nach getaner Arbeit wieder daheim angekommen ist, war schon wieder Nacht, zumindest im Winter. Richard Jung hat ja alles von Hand gemacht. Er hatte keinen modernen Wagen mit hohem Tresen und schützenden Wänden. Er hatte Bierbänke, auf denen er Kisten aus Plastik platzierte, in die er zentnerweise Kartoffeln füllte, die er aus seinem Mercedes gehievt hatte. Eine Kasse, die – piep-piep-piep – alles genau berechnete, gab es bei ihm nicht. Was es gab, war eine Waage mit steinalten Gewichten und ein Gasheizstrahler, wenn es im Winter allzu kalt war – der empfindlichen Annabelle, Melody und den anderen Knollen natürlich. Für einen Einkauf bei Richard Jung musste man Zeit mitbringen, aber die Kunden standen gerne in der Schlange zu seinen Kartoffeln.

Kartoffelmann für immer

„Der Markt fehlt schon“, sagt der alte Marktmann, als er sich nach einigem Suchen schließlich doch hat finden lassen. „Aber wenn es so schlecht wird . . .“, spricht er weiter und klopft auf seine Knie. Richard Jung lässt es nun ein bisschen ruhiger angehen. Wobei das sehr relativ ist. Seine Tage beginnen erst gegen sieben. Und statt Kartoffelsäcke zu schleppen, erledigt er leichtere Arbeiten. Scheune aufräumen, Holz machen, Reben schneiden. „So lange man noch schaffen und denken kann, muss man zufrieden sein“, sagt der Mann, der immer der „Kartoffelmann“ bleiben wird.

Geschenke zum Abschied

Das verfallende Häuschen am Rand von Neckargröningen, in dem Richard Jung lebt, hat sein Vater 1932 gebaut. Er starb jung an Krebs, die Schwester noch jünger. Seit dem Tod der Mutter, die immerhin 80 wurde, lebt er allein. Richard Jungs Nichten kümmern sich um seinen Haushalt und die schriftlichen Angelegenheiten. Einkaufen und Kochen geht alleine, der Frühschoppen am Sonntag steht fest im Kalender, und würde die diesjährige Ausfahrt des Maschinenrings nicht ausgerechnet nach Island führen, wer weiß, vielleicht wäre Richard Jung wieder mitgereist. „Aber“, sagt er, „dort sollte man gute Füße haben.“

Auf Richard Jungs Kopf sitzt die Mütze, die er auf dem Markt trug, im Flur steht die alte Waage, und in der Stube stehen viele Weinflaschen. Wenn man erfährt, dass sie Geschenke von Kunden zum Abschied waren, weiß man sicher, dass Richard Jung mehr als eine Lücke hinterlassen hat, in der man Kartoffeln verkaufen kann.