Zwei, die sich im Wahlkampf vertragen müssen: Angela Merkel und Horst Seehofer Foto: AFP

Die Unionsparteien haben sich offiziell in München versöhnt. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz gibt sich die CDU-Chefin Angela Merkel allerdings deutlich weniger euphorisch als ihr CSU-Kollege Horst Seehofer. Die heikelste Frage ist nicht geklärt

München - München kann so grau sein im Winter, und dort am Mittleren Ring, wo die CSU ihren Sitz hat, da ist die Stadt an diesem Montag ganz besonders grau: Grau die weite Asphaltfläche der Stadtautobahn, grau die Hochhäuser von Hotels, Banken und Internetfirmen, kahl die Bäume, braungrau die Rabatten, grau die vorerst letzten Schneehaufen, und der Himmel macht keine Ausnahme.

Eigentlich leuchtet nur das blaue, meterhohe CSU-Logo vor der Kantine der Parteizentrale; es lässt sich drehen, immer dahin, wo die Fernsehkameras stehen. Die Kameraleute sollen ja mitkriegen, dass da ein Frühling inszeniert wird, eine Zukunft, ein Aufbruch. Und als CSU-Chef Horst Seehofer am Montagvormittag vor dem Haus erscheint, da knetet er die Hände vor lauter Kälte.

Erst kurz nach halb eins in der Nacht soll der Gastgeber Seehofer die Parteizentrale verlassen haben, fünf Minuten nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). So streut es der Pressesprecher, um zu illustrieren, wie harmonisch und gemütlich es zugegangen sein soll beim gemeinsamen Grillabend der Unionsparteien am Abend zuvor, nachdem die über Monate zerstrittenen Schwestern mehr als fünf Stunden lang – wie wiederum Merkel festhält – über politische Zukunftsthemen gesprochen und „ein sehr, sehr hohes Maß an Übereinstimmung“ festgestellt haben. Das letzte Zitat stammt nicht von Merkel, sondern von demjenigen, von dem man es nach den fortgesetzten Dissens-Feststellungen der vergangenen eineinhalb Jahre am wenigsten erwartet hätte: von Horst Seehofer.

Seehofer macht Witze, Merkel lächelt nicht einmal

So euphorisch wie er drückt Merkel sich die ganze Pressekonferenz über nicht aus. Ihre Wortwahl klingt zunächst eher wie ein Appell: „Gemeinsamkeit ist schon ein hohes Gut in den Augen der Menschen, deswegen haben wir dran gearbeitet, und das sehr ehrlich.“ Und während Seehofer grinsend seine Witzchen macht, etwa vom Typ: „Bayern gehört zu Deutschland, das bestätige ich gerne – für den Augenblick“, sieht man Angela Merkel nicht einmal lächeln.

Ihr ist es wichtig festzuhalten – fast drei Monate nach ihrer Kanzlerkandidatur –, „dass wir nun in zwei Punkten Klarheit haben: dass es Unterstützung vonseiten der CSU gibt und dass wir an einem gemeinsamen Wahlprogramm arbeiten“. Die beiden Parteien, sagt die Kanzlerin, „haben es nicht leicht gehabt miteinander“. Und auf die Frage, ob denn die Verletzungen verheilt seien, die Seehofer provoziert hat – unter anderem, indem er Merkels Flüchtlingspolitik eine „Herrschaft des Unrechts nannte“ –, antwortet sie: „Vor meiner Entscheidung über eine Kandidatur habe ich die Monate zuvor Revue passieren lassen. Dann habe ich ‚Ja‘ gesagt, das schließt ein, dass ein Weg in die Zukunft da war und dass es sich lohnt, sich nun in den Wahlkampf zu stürzen.“ Als Horst Seehofer sagt, man habe in der Union „die Diskussionen immer in persönlichem Respekt und ohne Herabsetzung geführt“, regt sich in Angela Merkels Gesicht nicht der kleinste Muskel.

Warum er dem CSU-Vorstand am Ende doch empfohlen hat, Merkels Kandidatur zu unterstützen, begründet Seehofer so: „Wir haben eine vorzügliche Kanzlerin, Deutschland steht nach innen und in den internationalen Beziehungen blendend da, und was Europa betrifft, so genießt sie von uns und der Bevölkerung sehr hohes Vertrauen, dass deutsche Interessen zur Geltung gebracht werden.“ Und es brauche Stabilität in einer „Welt im Umbruch“.

Der Dissens beim Flüchtlingsthema bleibt

Der Gipfel des neuen Seehofer’schen Kompliment-Kurses besteht darin, dass ausgerechnet er, der Merkel noch im November beim CSU-Parteitag nicht sehen wollte und dessen Partei sich immer noch dagegen sperrt, im Wahlkampf Merkel-Plakate aufzuhängen, die Spitzenkandidatin zu gemeinsamen Wahlkampfauftritten in Bayern einlädt. „Eine Wende wie diese“, knurrt ein hochrangiger CDU-Politiker vor dem Gebäude, „muss er den Bayern erst mal erklären. Mal sehen, wie er das hinkriegt.“

Natürlich bleibt der Dissens beim Flüchtlingsthema. Merkel sagt, in der Frage der von Seehofer verlangten und von ihr ausgeschlossenen Obergrenze „habe ich nicht die Absicht, meine Position zu ändern. Ich befasse mich damit, wie wir die Wahl gewinnen, damit bin ich voll ausgefüllt.“ Und Seehofer sagt: „Ich bin froh, dass wir unsere Positionen gegenseitig respektieren.“

Der bayerische Ministerpräsident bleibt dabei: Wenn keine Obergrenze – 200 000 Flüchtlinge pro Jahr – im nächsten Koalitionsvertrag steht, dann werde sich die CSU nicht an der Regierung beteiligen, „das wiederhole ich aber nicht jeden Tag“, und außerdem, mit aktuell 12 000 Ankünften pro Monat, bleibe Deutschland sowieso unter der Obergrenze. Er wolle nur, sagt Seehofer, ein Signal an die bayerische Bevölkerung senden, „dass wir unsere politischen Ziele weiterverfolgen“. Im Blick hat er natürlich die Landtagswahl 2018, die hat er sowieso schon für wichtiger ausgegeben als die Bundestagswahl: Da geht’s um das höchste Gut der CSU, die absolute Mehrheit in Bayern. Und da geht’s um eine Abstimmung über Seehofers persönliches Lebenswerk.Ein gemeinsames Wahlprogramm wollen die Unionsschwestern nun erst erarbeiten; es müsse „zeitnah“ zu den Wahlen am 24. September vorgestellt werden, sagt Seehofer, „im Februar hat das noch keinen Sinn“. Und so gibt’s zum Abschluss des Münchner Zukunftstreffens nur ein vierseitiges Papier, worin der Wille festgehalten ist, gemeinsam als Union „stärkste politische Kraft zu werden und die Bundesregierung zu bilden“, mit allem, was in den Punkten innere Sicherheit, wirtschaftliche Innovation, Stärkung der Familien, gestaltete Globalisierung und Einwanderung dazugehört (siehe auch „Markiger Titel, luftiger Inhalt“).

Und der Wirbelwind Martin Schulz, der auf sozialdemokratischer Seite die politische Szenerie rasanter verändert hat, als die Unionsparteien das für möglich gehalten hätten? „Hat keine Rolle gespielt“, beteuern die einen, die in München dabei waren. Angela Merkel sagt: „Ich habe noch bei jedem Wahlkampf meine Herausforderer ernst genommen. Das gilt auch diesmal.“