Ilias Mountzidis, Amir Ghidy und Richie (von links) haben sich nach mehr als zehn Jahren wiedergetroffen. Foto: Sophia Wolf

Vor zehn Jahren ist Richie spurlos verschwunden – seine Freunde hatten nie wieder etwas von ihm gehört. Nun ist der Kongolese wieder in Stuttgart und absolviert ein soziales Jahr in Bad Cannstatt. Er und seine Freunde freuen sich riesig über seine Rückkehr.

Bad Cannstatt - Die alten Freunde haben oft über den Kongolesen Richie geredet, der vor mehr als zehn Jahren spurlos verschwand. „Es gab verschiedene Spekulationen, was mit ihm passiert sein könnte“, erinnert sich sein alter Freund Amir Ghidy. 1990 in Kongo geboren, war Richie mit seiner Tante im Alter von drei Jahren nach Deutschland gekommen. Elf Jahre lebte er im Stuttgarter Stadtbezirk Plieningen und besuchte dort zuletzt die siebte Klasse der Grund- und Hauptschule, die heutige Körschtalschule. Nach den Sommerferien tauchte er einfach nicht mehr auf

Ein Bild der drei aus alten Zeiten Foto: privat
Und nun ist Richie – der nur mit Vornamen in die Zeitung will – plötzlich wieder in der Stadt. Bei einem Fußballprobetraining traf ein ehemaliger Mitschüler Richie wieder – beide konnten es nicht fassen, sich nach so langer Zeit wiederzusehen. Der heute 24-Jährige absolviert seit Februar ein freiwilliges soziales Jahr als Altenpfleger in Bad Cannstatt, das er beim Internationalen Bund in Stuttgart beantragt hat.

Über ein Foto auf Facebook verbreitete sich die Nachricht, dass der 24-Jährige wieder in Stuttgart wohnt, wie ein Lauffeuer. Drei Tage nach dem Spiel traf Richie seine ehemalige Plieninger Jungsclique wieder – nach Jahren der Ungewissheit. „Wir haben uns erst einmal sehr gefreut, dass Richie überhaupt lebend und gesund hier ist. Das war das Allerwichtigste“, sagt Amir Ghidy, der mit Richie früher die Nachmittagsbetreuung besuchte. „Mit einem Wiedersehen hätte niemand gerechnet“, erinnert sich Ghidy. Auch Richie nicht, der Stuttgart vermisst hat. In den Sommerferien 2004 war er in den Kongo gereist. Aus familiären Gründen und aufgrund von Problemen mit seinem Pass habe er jedoch nicht nach Deutschland zurückkehren können, erzählt er. Seiner Mimik ist deutlich anzusehen, wie sehr ihn in die Erlebnisse bewegen. Insgesamt sieben Jahre lebte er in Kongo, sein Alltag sei geprägt gewesen vom Kampf ums Überleben, sagt er.

Das große Ziel: Zurück nach Europa

Das Einzige, was ihn von der Angst, auf der Straße zu landen, abgelenkt habe, sei das Fußballspielen gewesen. Dies war letztlich auch das Ticket raus aus dem Kongo: Als ihn ein Talentscout entdeckt habe, sei er im August 2011 nach Istanbul gereist, wo er an Testspielen für die dritte Liga teilgenommen habe. Doch wegen einer verschleppten Verletzung sei er nicht genommen worden. Um nicht wieder in die Hoffnungslosigkeit zurückkehren zu müssen, sei er in der Nacht über die Grenze nach Griechenland geflohen. „Zurück nach Europa, das war für mich das große Ziel“, sagt er.

Drei Jahre habe er illegal in Athen gelebt. „Ich habe versucht, legal nach Deutschland zurückzukommen“, berichtet der 24-Jährige. Sein Antrag auf ein Visum sei allerdings mehrmals abgelehnt worden. Außerdem habe er Konflikte mit der Polizei gehabt, da er keine Papiere besaß. Deshalb musste er sich zeitweise verstecken. Am Ende sei er inhaftiert worden, erzählt der junge Kongolese. „Ich weiß nicht wie, aber der Stempel ist dann doch irgendwie auf das Visum gekommen“, sagt er und lacht. Die Bedingung für das einjährige Visum sei das freiwillige soziale Jahr in Bad Cannstatt gewesen. Nebenbei holt Richie jetzt seinen Hauptschulabschluss nach. Damit möchte er sich aber nicht zufriedengeben. „Ein Realschulabschluss ist das Mindeste für mich“, sagt er.

In Deutschland geht jeder auf Abstand

Momentan fühlt sich der 24-Jährige sehr wohl in der Stadt, hier sei es sehr ruhig, sagt er. „Davor war alles ein verrücktes Chaos, man wusste nicht, was in den nächsten zehn Minuten passiert.“ Richie schätzt die Sicherheit hier, er sei auf eine gewisse Weise frei, erzählt er. Auch sein fester Tagesablauf aus Arbeit, Schule und Fußball helfe ihm, besser zurechtzukommen. Zu seinen Kollegen hat er mittlerweile ein gutes Verhältnis. Er wünscht sich, dass er auch außerhalb der Arbeit neue Kontakte knüpfen kann. Das sei nicht einfach, sagt er. Das liege jedoch nicht an den Cannstattern, es sei eher ein generelles Problem in Deutschland. „Jeder geht hier eher auf Abstand.“

Am Ende des Jahres muss die Behörde entscheiden, wie es für Richie weitergeht. Richie sieht besorgt aus. Er wolle endlich ankommen, nach seinem langem Weg zurück nach Deutschland, sagt er. Und auch seine alten Freunde wünschen sich, dass der junge Kongolese nicht plötzlich wieder verschwindet.