Ein Moment der Ruhe. Alena Bacher sitzt auf einer Schiene und hängt ihren Gedanken nach. Der Fotograf Jochem Hüskes nennt dieses Bild „Entdecken – Der Tramp“. Foto: Malte Klein

Die Galerie Norbert Nieser in Degerloch zeigt die Fotoausstellung „Entschleunigung“. Jochem Hüskes hat dafür über drei Jahre immer wieder die Schauspielerin Alena Bacher fotografiert. Entstanden sind Bilder, die teils Hektik und teils Muße zeigen.

Degerloch - Alena Bacher schaut an diesem Abend die Gäste der Vernissage an. Sie tut das in der Galerie Norbert Nieser in Degerloch aber nicht nur einmal, sondern gleich 50-mal. Denn die 26-jährige Schauspielerin ist auf fast allen Fotos zu sehen, die seit Samstagabend Teil der Ausstellung „Entschleunigung“ sind. Auf vielen der 30 Exponate ist sie mehrfach abgebildet. „Es ist etwas unheimlich, mich so oft zu sehen, aber auch sehr schön“, sagt Bacher. Denn das ist das Ergebnis eines Arbeitsprozesses, der sie vor und den Fotoingenieur Jochem Hüskes hinter der Kamera drei Jahre beschäftigte.

Der Galerist Norbert Nieser hatte sie zusammen gebracht. „Jochem gibt hier Workshops und Alena hat für Porträtfotografie Modell gestanden“, sagt Nieser und ergänzt: „Ich war mir sicher, dass sie künstlerische Energie entwickeln.“

Der Brief der Großmutter entschleunigt

Nach einem ersten Projekt widmeten sie sich der Entschleunigung. Die Idee kam dem 52-jährigen Hüskes, als er nahe des Stuttgarter Hauptbahnhofs das Gegenteil beobachtete. „Ein Mann eilte die Straße entlang. Dabei telefonierte er mit dem Handy und trug einen Becher Coffee-to-go“, erinnert sich Hüskes. „Dann sagte er: Ich bin in fünf Minuten im Büro und dann trinken wir ganz gemütlich einen Kaffee.“ Den Fotografen irritierte die Hektik des Mannes und der Gegensatz zwischen dem Coffee-to-go im Gehen und der ruhigen Tasse Kaffee im Büro. Er begann, Leute wie den Mann darauf anzusprechen, was für sie Entschleunigung ist: „Manche haben gesagt, dass das für sie Joggen ist.“ Und wieder wunderte er sich über die Antworten. Doch je mehr er mit Menschen über Zeit sprach, desto mehr Geschichten erfuhr er, die er mit der Schauspielerin Alena Bacher fotografisch umsetzte. „Eine Frau, die Mitte 40 ist, liest immer wieder einen Brief, den ihr ihre Großmutter zur Geburt schrieb. Das entschleunigt sie“, erzählt Hüskes und zeigt das Foto dazu. Darauf ist der Brief in der Sütterlin-Schrift abgebildet, das Gesicht Alena Bachers und sie dann noch einmal, wie sie den Brief liest.

Ein anderes Foto zeigt sie gleich viermal auf der Rolltreppe der Stadtbahnstation Degerloch. Sie telefoniert, schaut auf das Handydisplay, macht ein Selfie und isst einen Apfel. Hüskes und Bacher wollen die Betrachter anregen, dass sie sich selbst Gedanken machen – zu den Bildern und über die Gesellschaft. „Wir pressen immer mehr in die Zeit und wollen alles auf einmal machen“, sagt Hüskes.

Alles muss schnell gehen

Diesen Eindruck hat auch der Galerist Norbert Nieser. Darum zeigt er die Ausstellung. „Wir leben das Gegenteil der Entschleunigung, stehen immer unter Strom und viele ernähren sich von Fast Food“, sagt er. Das Interesse daran, wie Hüskes und Bacher die rastlose Gesellschaft kritisieren, ist groß und die Vernissage sehr gut besucht. Bei den Aufnahmen einer mechanischen Taschenuhr, die Hüskes zu einem Foto zusammenfügte, haben sie selbst entschleunigt. „Wir konnten sie nur fotografieren, wenn sie steht. Darauf mussten wir immer wieder warten“, sagt Bacher. Mitunter vergingen zweieinhalb Tage.

Die Fotos sind bis zum 7. November in der Galerie Nieser, Große Falterstraße 31/3 in Degerloch, zu sehen. Mehr Informationen gibt es im Internet unter www.galerie-nieser.de