Heiner Geißler (Mi.)im Stuttgarter Rathaus vor seinem Gespräch mit den Projektgegnern Gangolf Stocker (li) und Werner Wölfle Foto: dpa

Nach Gespräch mit S21-Gegnern sieht Geißler weiter Chancen für Vermittlungsgespräche.

Stuttgart - Frühestens am Freitag werden sich Befürworter und Gegner des Bahnprojekts Stuttgart21 an einen Tisch setzen. Damit es so weit kommt, muss Vermittler Heiner Geißler in Verhandlungen mit Land und Bahn versuchen, eine "Bauunterbrechung" zu erreichen.

Fünfeinhalb Stunden war der 80-jährige frühere CDU-Generalsekretär am Dienstag in den verschiedenen Lagern unterwegs. Am Abend bei der Pressekonferenz im Rathaus unmittelbar nach dem Gespräch mit dem Aktionsbündnis der Gegner merkte man ihm das nicht an. "Ich glaube, dass wir auf gutem Weg sind", sagte das Attac-Mitglied. Das Ziel einer "Faktenschlichtung" halte er für erreichbar.

 Grube für Einflüsterungen der Bundeskanzlerin empfänglich

Das inzwischen zehn Gruppierungen vertretende Aktionsbündnis gegen Stuttgart21, womit Tiefbahnhof samt Flughafenanbindung und die Strecke bis Wendlingen gemeint sind, hält die Latte für Bahn-Chef Rüdiger Grube und Ministerpräsident Stefan Mappus weiter hoch: "Wir wollen einen offenen, für die Bürger durchschaubaren Prozess", sagte der SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch. Zuvor müsse die Bahn einen Bau- und Vergabestopp zusagen.

Konkret dürften weder die Anlage zur Grundwasser-reinigung im Schlossgarten aufgebaut noch Bäume vor dem Nordeingang gefällt oder dort Brunnen gebohrt werden. Auch die Ausräumarbeiten am Südflügel, mit denen dessen Abbruch vorbereitet werde, müssten gestoppt werden. Die Bahn steht aktuell vor der Vergabe von Tunnelbauarbeiten im Wert von rund 800 Millionen Euro an die österreichische Alpine GmbH.

Geißler, der in diesen Tagen im Landtag auf einer Pritsche übernachtet hat, will die Forderungen Mittwoch oder Donnerstag im Staatsministerium bereden. "Das Aktionsbündnis vertritt Zehntausende Menschen", sagte er, diese dürften "nicht abgeschoben werden". Politik und Bahn trügen Verantwortung und könnten sich in ihrem Handeln nicht allein auf Beschlüsse berufen.

Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte am Montagabend vor 800 von der IHK in die Liederhalle eingeladenen Unternehmern einen Bau- und Vergabestopp kategorisch abgelehnt. Beides sei ihm angesichts der Vertragslage mit beauftragten Firmen nicht möglich. Weil im Winter bei Minustemperaturen nicht betoniert werden könne, müssten die Fundamente für die Grundwasseranlage jetzt gegossen werden, beharrte er auf den Fortgang der Arbeiten.

Grube allerdings handelt nicht völlig frei. So wie die Grünen als ein Mitglied des Aktionsbündnisses sich am Dienstag mit dem Parteivorsitzenden Cem Özdemir abstimmten, dürfte der Bahn-Chef für Einflüsterungen der Bundeskanzlerin empfänglich sein. Für Ministerpräsident Stefan Mappus, der heute von seiner Reise durch Saudi-Arabien und Katar nach Stuttgart zurückkehrte, sei "Dialog das Gebot der Stunde", teilte das Staatsministerium mit.

Für den Fall der weiteren Ablehnung kündigte Hannes Rockenbauch weitere Großdemonstrationen an. Die nächste ist bereits am kommenden Samstag.

Geißler bemüht sich, die Schärfe aus dem Konflikt zu nehmen. Er habe zwar noch nicht den Eindruck, dass die jeweiligen Vorschläge "total kompatibel sind, aber Gespräche dürften an den jetzigen Differenzen nicht scheitern", so die Prognose des in einigen Tarifrunden erprobten Schlichters.

S21-Läufer wollen am Bauzaun mit Gegnern sprechen

Unstrittig sei, dass über Kosten und Nutzen des 4,1 Milliarden Euro teuren Projekts Stuttgart 21 und der in Wendlingen anschließenden Neubaustrecke nach Ulm (2,9 Milliarden) gesprochen werden solle. Daneben müssten die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur, der auf den frei werdenden Gleisen mögliche Städtebau und Ausstiegskosten bei einer Beendigung des Projekts besprochen werden, sagte Rockenbauch.

Den Begriff Baustopp, den Geißler zu Anfang seiner Vermittlung verwandt hatte, will er aus seinem Repertoire streichen. "Ich verwende diesen psychopathologisch aufgeladenen Begriff nicht mehr. Bauunterbrechung ist absolut korrekt und lässt offen, ob es nach der Schlichtung einen Baustopp geben wird", so Geißler. Bereits am 23. September hatte es einen ersten Gesprächsversuch mit Bahn-Vorstand Volker Kefer, OB Wolfgang Schuster sowie dem Grünen-MdL Werner Wölfle und SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker mit dem katholischen Stadtdekan Michael Brock gegeben. Er war gescheitert.

Ins Gespräch kommen wollen die Stuttgart-21-Befürworter nach ihrem Lauf fürs Projekt am Donnerstag (Start um 18.30 Uhr an den Mineralbädern, Kundgebung um 19.30 Uhr auf dem Marktplatz). Um 20.30 Uhr wollen sie am Bauzaun vor dem Nordausgang mit Gegnern sprechen.