CDU und FDP fordern Regierungschef Kretschmann auf, nicht zum Heuss-Preis-Festakt zu gehen. Grüne und SPD lehnen den Antrag dagegen ab. Foto: dpa

Regierungschef Winfried Kretschmann steht zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an Daniel Cohn-Bendit. Ein Antrag von CDU und FDP, der Ministerpräsident solle dem Festakt wegen alter, umstrittener Pädophilie-Äußerungen des Preisträgers fernbleiben, scheiterte am Mittwoch im Landtag an der Regierungsmehrheit.

Stuttgart - Darf Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am 20. April an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den EU-Politiker Daniel Cohn-Bendit (Grüne) teilnehmen? Diese Frage führte nun im Landtag zu einem harten, 50-minütigen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition. Der Antrag von CDU und FDP, die grün-rote Landesregierung solle dieses Jahr „keinen Vertreter“ zur Verleihung des Preises schicken, wurde von der Mehrheit der Abgeordneten von Grünen und SPD schließlich abgelehnt.

„Ich halte das Grußwort“, stellte Kretschmann klar. Allerdings sagte er das nur am Rande der Sitzung. Während der aktuellen öffentlichen Debatte äußerte sich Kretschmann hingegen nicht – obwohl er von der Opposition aufgefordert wurde. Dass sich der Regierungschef „nicht traut“, sich im Landtag zu äußern, dann aber anderweitig Stellung beziehe, sei „besonders empörend“, sagten die Fraktionschefs Peter Hauk (CDU) und Hans-Ulrich Rülke (FDP) nach der Sitzung.

Im Kern des Streits, den unsere Zeitung am 14. März 2013 erstmals öffentlich gemacht hatte, geht es um lange zurückliegende Äußerungen des heutigen EU-Parlamentariers Daniel Cohn-Bendit. Dieser hatte 1975 in einem autobiografischen Buch eine Bestandsaufnahme seines politischen Handelns als Studentenführer gezogen. In einem Kapitel, in dem es um seine Tätigkeit als Erzieher Anfang der 1970er Jahre in antiautoritären Kinderläden in Frankfurt geht, schildert Cohn-Bendit auch sexuelle Annäherungen zwischen fünfjährigen Mädchen und ihm. Damals ist er 28 Jahre alt.

„Wer schweigt, macht sich mitschuldig“

Die geplante Verleihung des renommierten Theodor-Heuss-Preises 2013 durch die gleichnamige Stuttgarter Stiftung hat eine neuerliche Debatte um Cohn-Bendit ausgelöst. Gegenüber unserer Zeitung erklärte der Politiker, bei den Äußerungen von 1975 habe es sich um eine „unangemessene Provokation“ gehandelt, die er heute bedauere, nicht aber um Tatsachenberichte. „Pädophilie-Vorwürfe sind unhaltbar“, beteuerte Cohn-Bendit im März. Doch dabei wollte es die Opposition jetzt aber nicht bewenden lassen.

„Wer schweigt, macht sich mitschuldig“, sagte der Abgeordnete Reinhard Löffler (CD) zu Kretschmann, der im Vorstand der Theodor-Heuss-Stiftung sitzt, und an die Adresse von OB Fritz Kuhn (Grüne), der für die Stadt Stuttgart ein Mitglied entsendet. „Machen Sie sich nicht durch Schweigen zum Wortführer der Verharmloser“, appellierte Löffler an Kretschmann. Er erinnerte dabei auch an die Anfänge der Grünen, als mancher in der Öko-Partei die Liberalisierung von Pädophilie gefordert hatte.

Derzeit wird Stuttgart in der Heuss-Stiftung durch Sozialbürgermeisterin Isabell Fezer (FDP) vertreten. Doch das Grußwort, das sie eigentlich für die Stadt am 20. April halten sollte, hat Fezer abgesagt. Das wurde am Mittwoch bestätigt: „Ich bin in einer besonderen Verantwortung für Kinder und Jugendliche. Ich will deshalb jeden Eindruck vermeiden, dass ich die Äußerungen von Daniel Cohn-Bendit – ob sie damals der Realität entsprachen oder nicht – auch nur im Ansatz billigen würde“, sagte Fezer. Das Grußwort wird jetzt Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) sprechen. „Ich halte den politischen Lebensweg Cohn-Bendits für mutig, geradlinig und vorbildlich“, sagte Wölfle den Stuttgarter Nachrichten. Die fraglichen Äußerungen von 1975 seien inhaltlich „in jeder Form zu verurteilen“, so Wölfle. Doch dazu habe Cohn-Bendit alles Nötige gesagt.

Sitzmann: Kritik „niveaulos“ und „unterirdisch“

Mit der Absage an die Heuss-Stiftung ist Fezer nicht alleine. Im Landtag erklärte auch der frühere Justizminister Ulrich Goll (FDP), dass er dem Festakt fernbleibe. Auch ein Ministerpräsident „gehört dort nicht hin“, sagte Goll. Dass dies nicht bei Kretschmann angekommen sei, finde er „traurig“. Die brisanteste Absage kommt aber aus Karlsruhe: Mitte März hatte Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, unserer Zeitung bestätigt, dass er seine längst geplante Festrede bei der Preisverleihung kurzfristig abgesagt habe, nachdem er den Namen des Preisträgers und von den Vorwürfen erfahren habe. Das höchste deutsche Gericht dürfe nicht nur den Anschein erwecken, dass es derart „problematische“ Äußerungen zur Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen billige, ließ Voßkuhle mitteilen. Die Stiftung hielt trotzdem an der Nominierung fest.

Die Fraktionschefs der Landesregierung, Edith Sitzmann (Grüne) und Claus Schmiedel (SPD), wiesen die Vorwürfe der Opposition zurück. Die Kritik sei „niveaulos“ und „unterirdisch“, sagte Sitzmann und warf der CDU „üble Nachrede“ und den „Griff in die unterste Schublade“ vor. Außerdem habe Kretschmann mit der Nominierung des Preisträgers inhaltlich gar nicht zu tun gehabt.

„Sie führen sich auf wie ein Elefant im Bahnhofsklo; Sie zertrampeln, was Ihnen im Weg ist“, warf Schmiedel Rülke vor, der die Heuss-Stiftung wegen der Preisvergabe hart kritisiert hatte. Was Cohn-Bendit 1975 geschrieben habe, sei nach eigenem Bekunden „totaler Blödsinn“ gewesen, sagte Schmiedel. Das nehme die SPD so zur Kenntnis.