Der Crash mit dem Lkw ist die häufigste Ursache bei tödlichen Fahrradunfällen. Foto: dpa

Obwohl immer mehr Rad gefahren wird, passieren immer weniger Unfälle. Nach Ansicht von Experten gerade deswegen: Je mehr Radfahrer auf der Straße, umso aufmerksamer die Autofahrer.

Obwohl immer mehr Rad gefahren wird, passieren immer weniger Unfälle. Nach Ansicht von Experten gerade deswegen: Je mehr Radfahrer auf der Straße, umso aufmerksamer die Autofahrer.

Stuttgart - Die neuesten Unfallzahlen

2013 verunglückten 8872 Radfahrer in Baden-Württemberg – 2,9 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2012. Schon damals gab es einen Rückgang um 5,7 Punkte gegenüber dem Vorjahr. Auch über einen längeren Zeitraum betrachtet gehen die Zahlen zurück. Allerdings ist die Dunkelziffer recht hoch. Das Verkehrsministerium in Stuttgart geht davon aus, dass nur etwa 40 Prozent aller Unfälle mit Fahrradfahrern polizeilich erfasst werden. Jeder zweite getötete Radfahrer ist älter als 65.

Gründe für den Rückgang

Die Zahlen stehen in einem scheinbaren Widerspruch zum allgemeinen Trend, dass immer mehr Rad gefahren wird. Folglich müsste auch mehr passieren – oder etwa nicht? Gudrun Zühlke, die Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), hat folgende Erklärung: „Je mehr Radfahrer unterwegs sind, umso besser werden sie von Autofahrern wahrgenommen.“ Es sei ein Unterschied, ob man alle 200 Meter einen Radfahrer überholt oder nur alle fünf Kilometer. „Die Autofahrer sind aufmerksamer und mehr sensibilisiert als früher“, ist Zühlke überzeugt.

Offizielle Stellen halten sich mit Interpretationen zurück. Im Innenministerium geht man von einer „gestiegenen gegenseitigen Rücksichtnahme“ aus, zu der auch die Präventionsarbeit der Polizei beigetragen habe.

Kampf um mehr Sicherheit

Grün-Rot ist sehr bemüht darin, Radfahren sicherer zu machen – unter anderem mit Helm-Kampagnen und kostenlosen Rad-Checks. Etwas widersinnig erscheint das Vorhaben, statt gesonderter Radwege künftig vermehrt Schutzstreifen auch auf schmalen Fahrbahnen anzubringen. Fahrradexperten wie die Initiative Cycleride sind hingegen überzeugt, dass Radfahrer am Straßenrand sicherer als auf dem Radweg. unterwegs sind. Hauptgrund: Sie werden beim Rechtsabbiegen seltener übersehen.

Auch die Kommunen und Schulen verstärken ihre Anstrengungen für einen sicheren Schulweg. Die Schulen sind seit kurzem dazu verpflichtet, sogenannte Radschulwegpläne zu erstellen. Sie weisen auf die besonderen Gefahrenstellen auf dem Weg zur Schule hin. Ab dem kommenden Schuljahr will die Landesregierung allen Schulen im Land ein Tool zur Verfügung stellen, das auf Basis von Geodaten die Erstellung der Pläne vereinfacht.

Der Helm

Helm oder nicht Helm – für viele Radler eine Glaubensfrage. In der grün-roten Landesregierung tendiert man zur Helmpflicht, weiß aber, dass sie kaum durchsetzbar wäre und hält sich deshalb zurück. Aber auch ohne Helmpflicht sind immer mehr Radfahrer mit Kopfschutz unterwegs. Laut neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) gaben 2012 13 Prozent aller Radfahrer an, regelmäßig mit Helm zu fahren. 2011 waren es noch elf Prozent. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist die Tragequote auf einen Höchststand gestiegen: bei den Sechs- bis Zehnjährigen von 56 auf 66 Prozent; bei den Elf- bis 16-Jährigen von 19 auf 29 Prozent.

Der rechtsabbiegende Lkw

Trotz der insgesamt positiven Entwicklung darf nicht vergessen werden, dass im vergangenen Jahr 53 Radfahrer in Baden-Württemberg ihr Leben auf der Straße ließen. 1927 wurden schwer verletzt. Zu den häufigsten Unfallursachen zählt noch immer der rechtsabbiegende Lkw, der den geradeausfahrenden Radler rammt. Nach Schätzungen der Unfallanalyse Berlin ist er für fast jeden zweiten tödlichen Unfall verantwortlich.

Die Sachverständigen kommen in einer aktuellen Untersuchung zu dem Schluss, dass die bei Nutzfahrzeugen über 3,5 Tonnen vorgeschriebene Schutzvorrichtung, die ein Unter-die-Räder-Kommen verhindern soll, sich bei 70 Prozent aller Zusammenstöße als wirkungslos erweist.

Entscheidend ist nach Ansicht der Unfallgutachter vielmehr, die aktive Sicherheit zu erhöhen. Etwa durch zusätzliche Außenspiegel oder Videokameras, die vor einem Zusammenstoß ein Warnsignal senden. Andererseits zeigen forensische Unfallanalysen, dass Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen kognitiv häufig überfordert sind. Aus Sicht der Berliner Unfallanalyse lassen sich Unfälle noch immer am besten durch einen Beifahrer verhindern.