Paris Plage: Neben der Seine wird die Straße gesperrt und Sand aufgeschüttet Foto:  

San Francisco macht Parkplätze zu Parks, New York den Times Square zur Fußgängerzone, Melbourne erfindet sich neu. Auch in Stuttgart gibt es viele kleine Schritte, doch der große Wurf wird erst kommen, wenn Stuttgart 21 fertig ist.

Stuttgart - San Francisco macht Parkplätze zu Parks, New York den Times Square zur Fußgängerzone, Melbourne erfindet sich neu. In Tallin fährt man umsonst Bahn, in London und Oslo zahlt man City-Maut, Kopenhagen radelt. Weltweit suchen Städte die Antwort auf die Frage: Wie wollen wir leben?

Die Guerilla zahlte brav. Sie fütterte die Parkuhr und kaufte sich ordnungsgemäß für zwei Stunden ein Stück Straße in San Francisco. Sie rollte Rasen aus, stellte eine Bank und eine Topfpflanze auf. Aus dem Parkplatz wurde ein Park. 2005 war das. Mittlerweile hat das einstige Kunstprojekt die USA erobert. Viele Städte fördern die sogenannten Parklets, in San Francisco gibt es alleine 40 Stück. Spielplätze finden sich darauf, Polstersessel, Kunst, Picknicktische – wo vorher Autos parkten, sitzen nun Menschen.

Getreu dem Credo des Stadtplaners Jan Gehl: „Ich denke und plane im Fünf-Kilometer-die-Stunde-Maßstab, das ist das menschliche Maß, so bewegt sich der Fußgänger. Menschen müssen sich eingeladen fühlen in Städten.“ Der Däne (79) ist der Guru der Szene. Seine Konzepte machten Kopenhagen zum Eldorado der Radfahrer, mehrmals wurde Kopenhagen zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt.

Gelernt hat er in einer Zeit, als man glaubte, der moderne Mensch brauche die neue Stadt, nicht mehr den engen alten Kruscht, weitläufig und gewaltig sollte die Stadt sein. Stadtplaner planten vor allem Verkehrswege. Gehl arbeitete als Erster mit Psychologen zusammen und fragte sich: „Was macht eine Stadt mit ihren Menschen? Und kam zum Schluss: Um das Leben in einer Stadt zu ersticken, gebe es keine effizienteren Mittel als Autos und Wolkenkratzer. Der Mensch müsse aber der Maßstab sein. Er knüpfte damit an die Ideen von Jane Jacobs an, die Anfang der 1960er Jahre verhinderte, dass eine Autobahn durchs Greenwich Village in New York geschlagen wurde. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, damals hatten sich schon die Bagger warmgelaufen.

Nur noch Fußgänger auf dem Times Square

Mittlerweile berät Gehl New York. Nach seinen Plänen gestaltete man den Times Square um. Er gehört nun den Fußgängern. Auf dem Broadway wurden ein durchgängiger Radstreifen und Plätze geschaffen, auf Kosten von mindestens zwei Fahrspuren. Binnen fünf Jahren entstanden 600 Kilometer neue Radwege. Das sind viermal so viele, wie es in Stuttgart gibt. Wo man viele Jahrzehnte brauchte, um den Radweg von Bad Cannstatt nach Vaihingen fertig zu bauen.

Kein Zufall. Wie sagt es doch der Politikwissenschaftler Claus Leggewie: „Die Deutschen sind eher Wärmedämmer als Verkehrshemmer.“ Dementsprechend tut man sich hierzulande schwer. In Hamburg immerhin versucht man den Lieferverkehr neu zu organisieren. UPS stellt seit 2012 am Neuen Wall einen mit Paketen beladenen Container ab. Von dort aus verteilen die Zusteller per pedes oder per Elektrorad die Pakete. Sie sammeln auch welche ein, bringen sie zum Container, der abends abgeholt wird. Nun kommen vier neue Standorte dazu. In Emsdetten gibt es die Radbastler der Kolpingfamilie. Sie möbeln alte Räder auf und verleihen sie kostenlos. In Andernach hat man die essbare Stadt erfunden. Dort pflanzt man entlang der Stadtmauer und auf Grünflächen Gemüse. Jeder darf mitmachen und gärtnern.

Anderswo ist man noch rigoroser. Melbourne hat sich neu erfunden. Man war den Spott leid, der Donut Australiens zu sein, innen hohl und leer. Also baute die Kommune zusammen mit Gehl die City um: Autos raus, Menschen rein. In São Paolo in Brasilien gestaltete man vier Plätze um, verband sie. Das Resultat: Zweieinhalbmal so viele Menschen wie zuvor hielten sich dort auf. Das Resultat: mehr Leben, weniger Verbrechen. Moskau und Mexico City bauen Radwege, Utrecht ein Parkhaus für 4200 Räder direkt am Bahnhof, in Tallinn in Estland ist der Nahverkehr umsonst, in Chongqing in China stellen sie die alten, überschaubaren Quartiere wieder her, in London, Oslo, Mailand, Stockholm und Singapur müssen Autofahrer zahlen, wenn sie in die Innenstadt fahren, Rom sperrt sein historisches Zentrum für Privatfahrzeuge.

Stuttgart will einen Radweg an der Weinsteige

Und in Stuttgart? „Wir bewegen uns in die richtige Richtung“, sagt Baubürgermeister Peter Pätzold. Den großen Wurf stellt er nicht in Aussicht, aber viele kleine Schritte. Ein Übergang über die B 14 an der Oper; eine Radstation unter der Paulinenbrücke, das Neuordnen der Verkehrsströme ums Dorotheenquartier; die Jugendverkehrsschule am Diakonissenplatz als Park gestalten; das Parkraummanagement zeige, dass öffentlicher Raum nicht kostenlos und auch anders nutzbar sei. Pätzold: „Man merkt auch an den vielen Urban-Gardening-Projekten, dass die Menschen die Idee Stadt anders verstehen als früher.“ Erst wenn Stuttgart 21 fertig ist, will man die Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof zurückbauen, nur noch Taxis und Busse fahren lassen. Schneller könnte es mit einem anderen Projekt gehen: einem Radweg bergauf entlang der Neuen Weinsteige. Dafür müssen die Parkplätze weg. Doch das ist nicht das größte Problem. 2,2 Millionen Euro kostet es, das Geländer zu erneuern. Es muss nämlich höher werden, wenn Radler daneben fahren.