Bestehende Radwege gelten als nicht mehr zeitgemäß. Dieser kombinierte Fuß- und Radweg in Herrenberg ist nach aktueller Lesart unsicher und zu schmal. Foto: factum/Granville

Immer mehr Städte entdecken eine Liebe zum Radfahrer, aber Kommunen, die Gutes für Pedaleure tun wollen, stoßen auf Platzmangel und Vorschriftenvielfalt.

Böblingen - Gelegentlich verschleiert Überzeugung die Tatsachen. Die roten Streifen für Radfahrer an den Straßenrändern sind so ein Fall. Bei ihrem Aufkommen erklärte der Volksmund sie zu „Todesstreifen“. Tatsächlich ist für Radfahrer der gefährlichste Weg der eigens für sie von der Straße abgetrennte, weil die meisten Unfälle zwischen Auto und Rad sich an Kreuzungen und Einfahrten ereignen.

„Jemand schiebt sich mit der Motorhaube aus seiner Grundstücksausfahrt, und schon ist es passiert“, sagt Tobias Meigel, der Baubürgermeister Herrenbergs. Kundige radeln trotz Radwegen auf der Straße. Für sie hat der Allgemeine Deutsche Fahrradclub vor sechs Jahren in einem höchstrichterlichen Urteil die gesetzliche Benutzungspflicht von Radwegen zu Fall gebracht. Etliche Studien belegen, dass zumindest innerorts die Fortbewegung auf der Straße sicherer ist.

Ungeachtet dieser Erkenntnis scheint es, als habe ganz Deutschland die Liebe zum Radweg entdeckt. Die Bundesregierung hat einen „nationalen Radverkehrsplan“ verabschiedet, die Landesregierung genauso wie der Böblinger Kreistag ein Konzept zur Förderung des Radverkehrs. So gut wie jede Kommune tüftelt an Plänen für neue Radwege.

Herrenberg taugt als Beispiel für alle Bemühungen

Die Stadt Herrenberg taugt als Beispiel für all diese Bemühungen. Der Gemeinderat hat eine eigene Stelle für die Radverkehrsplanung genehmigt und jüngst eine Liste mit Um- und Neubauten für Radfahrer verabschiedet. Seit einer Woche ist eine Karte mit Radtouren zu Ausflugszielen im Handel. Der Oberbürgermeister Thomas Sprißler tourt mit seinen Bürgern, um fürs Radfahren zu werben.

Aber die Liste mit Verbesserungen für Pedaleure taugt wiederum als Beispiel dafür, wie schwierig es ist, Radfahrern Gutes zu tun. Um sämtliche Vorschriften für einen sicheren Radweg zu erfüllen, müssen auf einem 600 Meter langen Stück der Hildrizhauser Straße 19 Änderungen vorgenommen werden. Alte Verkehrszeichen müssen entfernt, neue gesetzt werden, Parkplätze am Straßenrand sind zu streichen, Furten an Kreuzungen zu markieren. Dies an einer Straße, die als „nicht unfallauffällig“ für Radfahrer eingestuft ist.

Bisher teilen die Zweiradler sich auf ihr einen abgetrennten Streifen auf dem Gehweg mit Fußgängern. Aber der ist nach aktueller Lesart eben zu gefährlich und ohnehin zu schmal. Insgesamt ist der Weg zum Radweg „manchmal steinig“, sagt Meigel, „aber das Schwarzbrot gehört leider dazu“. Und schließlich dienten alle Änderungen letztlich der Sicherheit.

Das Hauptproblem ist der Platzmangel

Mindestens 2,50, besser drei Meter soll ein Radweg breit sein, damit zwei Pedaleure im Gegenverkehr sicher aneinander vorbeikommen. Das ist das Hauptproblem für Kommunen, die optimale Bedingungen für Zweiradler schaffen wollen. Die Breite mag übertrieben anmuten angesichts dessen, dass ein Radlenker standardmäßig 60, höchstens 80 Zentimeter misst, aber für Radfahrer im Alltag gilt nichts anderes als für Autofahrer: Sie sind in der Regel in Eile, und überholen ist nicht verboten. Die Pedelecs verhelfen mühelos zu verletzungsträchtigen Geschwindigkeiten, und immer mehr Pedaleure befördern in Anhängern Lasten, nicht zuletzt Eltern ihre Kinder.

Allerdings ist der Platz für neue Radwege nur im Ausnahmefall vorhanden. Dass Enge herrscht, ist auf jeder Seite des Herrenberger Konzepts mehrfach vermerkt. Straßen, Gehwege müssen angeknabbert, Grünstreifen oder Parkplätze geopfert werden. Ist der Platz für die Radwege geschaffen, muss das Regierungspräsidium die Pläne und hernach noch das Land die Zuschussanträge genehmigen. Das dauert.

Bis 2025 will der Landkreis sich Zeit lassen, um sein Konzept zu verwirklichen. Im knapp 1000 Kilometer langen Radwegenetz sind 599 Um- oder Neubauten geplant. Auch deren Verwirklichung stößt auf Probleme. „Es gibt Fälle, wo Radwege ganz blöd verlaufen“, sagt Dusan Minic, der Pressesprecher des Landratsamts. Was daran liegt, dass Privatleute ihren Grund nicht verkaufen wollten. Wegen eines solchen Falls klafft im kreisübergreifenden Radweg zwischen Aidlingen und Gechingen eine 1,2 Kilometer lange Lücke. 300 000 Euro liegen bereit, um sie zu schließen. Das sind 250 Euro je Meter und damit eher die Untergrenze der Kosten für außerörtliche Radwege. Ist der Abstand zwischen Landstraße und Radweg zu klein, müssen Leitplanken Auto- und Radfahrer trennen. „Das macht es dann sehr teuer“, sagt Minic, aber ungeachtet der Vorschriften und unwilligen Grundeigentümer: „Im Großen und Ganzen kriegen wir es hin.“