Winfried Hermann Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann fordert, über das Projekt Stuttgart 21 hinaus zu denken. Das war auch Zeit, kommentiert Jörg Hamann.

Stuttgart - Steht dieser Freitag für den Neubeginn der Partnerschaft für Stuttgart 21? Gelingt es endlich, dass einst erbitterte Gegner zum Wohl des Gesamtprojekts und vor allem der Bürger gemeinsam für die Filder doch noch eine zukunftsfähige Lösung zimmern? Vieles spricht dafür. Er habe dafür „eine Verantwortung, auch wenn ich das Projekt kritisch gesehen habe und sehe“, hat Landesverkehrsminister Winfried Hermann im Interview mit unserer Zeitung gesagt, bevor er heute zum S-21-Gipfel nach Berlin flog. Der Grüne fordert von Gegnern wie Befürwortern, den Blick über S 21 hinaus zu weiten: „Das Denkverbot muss jetzt mal verschwinden.“ Hermanns neue Töne, sie lassen auf einen neuen Geist hoffen.

In Berlin sitzen auch Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) mit am Tisch. Auch sie fordern Verbesserungen der Bahn-Pläne für die Filder, nachdem diese bei der Erörterung im vergangenen Herbst gravierende Mängel offenbart hatten: Sollten Fernbahn und S-Bahn die heutige Station am Flughafen gemeinsam nutzen, wären weitere Störungen im S-Bahn-Netz zu erwarten. Und das, da 2014 das S-Bahn-Jahr mit den meisten Verspätungen zu werden droht. Das Rückgrat des Nahverkehrs in der Region leidet unter chronischer Überlastung. S 21 als zusätzlicher Störfaktor? So war das nicht gedacht.

Deshalb hatte Gerhard Heimerl, der geistige Vater von S 21, in unserer Redaktion angerufen und sich seinen Frust von der Seele geredet: „So versündigen wir uns an unseren Kindern und Enkeln.“ Das saß. Erst Bopp, dann Kuhn und jetzt Hermann erinnerten sich, dass ihr hohes Amt auch ein hohes Maß an Verantwortung bedeutet. Und Weitsicht. Keinesfalls dürfe man sich auf den Fildern die Option auf eine Schienentangente südlich des Talkessels verbauen, fordert Bopp. Und auch Kuhn weiß: Sein anspruchsvolles Ziel, bis 2030 in Stuttgart 20 Prozent weniger Autoverkehr zu haben, ist allenfalls mit einem funktionierenden Nahverkehrsnetz zu schaffen.

Und die Bahn? Der Schienenkonzern darf es sich nicht leisten, eine auf Kante genähte Planung umzusetzen, Gleise auf Biegen und Brechen zu verlegen. Er steht in der Pflicht, auf den Fildern einen funktionierenden Bahnhof zu bauen. Und das dürfe das Land ja wohl erwarten, wenn es für S 21 und die Neubaustrecke nach Ulm insgesamt 2,2 Milliarden Euro ausgebe, mahnt Hermann. Recht hat er.

Vom guten Willen aller Beteiligten zeugt, dass heute nicht nur die Antragstrasse und die bekannte Alternative Flughafenbahnhof plus im Spiel sind, sondern zwei neue Varianten. Hermann favorisiert jene mit einem dritten Gleis für Fernzüge an der heutigen S-Bahn-Station. Seine Argumente: Dafür sei kein weiterer Flächenverbrauch notwendig, die Planfeststellung sei nicht so zeitaufwendig, die zusätzlichen Kosten seien mit rund 80 Millionen Euro von allen Alternativen zur Antragstrasse am geringsten. Klingt gut. Doch bleibt so die Schienentangente im Süden Stuttgarts möglich? Das will Bopp geprüft wissen. Auch er hat recht.

Eine Einigung ist folglich so schnell nicht zu erwarten. Schon gar nicht über die Verteilung der Mehrkosten. Dennoch: Allein schon die Tatsache, dass sich alle Projektpartner mit dem gemeinsamen Ziel treffen, Schienen-Murks auf den Fildern zu verhindern, ist ein großer Fortschritt. Bis spätestens April will man sich auf eine funktionierende Lösung einigen. Hermann versucht bei der Landtagswahl 2016 im Stuttgarter Filderwahlkreis das Direktmandat der Grünen zu verteidigen. Seine neuen Töne sind da für ihn nicht ohne Risiko. Doch für die Zukunftsfähigkeit des Schienenverkehrs in der Region sind sie vielleicht der entscheidende Impuls.

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