Das Land hat in den vergangenen Jahren Millionen in den Ausbau neuer Strecken investiert. Jetzt sind viele Projekte abgeschlossen, aber womöglich ein Muster ohne Wert. Das Geld für Züge fehlt. Foto: dpa

Verbindungen im Nahverkehr für viele Millionen ausgebaut und elektrifiziert – jetzt fehlt das Geld für Züge.

Stuttgart - Die Freude war groß entlang des Rheins, als sich Frankreich und Deutschland nach Jahren des Stillstands endlich bereit erklärten, die Zugverbindungen zwischen dem elsässischen Mulhouse und Müllheim im Markgräflerland wieder aufzunehmen.

Zwar besteht die 22 Kilometer lange Trasse über den Rhein schon seit 1878, aus Kostengründen wurde sie für den Personenverkehr jedoch 1980 eingestellt. Nachdem 2006 in einem ersten Schritt französische Züge vom Typ Baleine (Blauwal) an Sommer- und Adventssonntagen wieder zum Einsatz kamen, sollte zum nächsten Fahrplanwechsel im Dezember der Regelbetrieb mit täglich sieben Verbindungen aufgenommen werden.

Die Vorarbeit war geleistet. Neue Gleise wurden verlegt und Signalanlagen, die bis vor kurzem noch per Seilzug bedient wurden, elektrisiert. Sogar der Fahrplan war ausgearbeitet. 9,1 Millionen Euro hatte der Bund – auf Drängen des Landes – in die Strecke investiert, Frankreich gar 23 Millionen. Dann kam die Kunde aus Stuttgart. Aus Geldmangel hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Pläne mit der Reaktivierung des Blauwals vorerst gestoppt.

Vor Ort kaum zu vermitteln

Um die Hintergründe zu verstehen, muss man etwas ausholen. Der Bund stellt den Ländern sogenannte Regionalisierungsmittel zur Verfügung. Mit diesem Geld – 2012 erhält Baden-Württemberg 740 Millionen Euro – bestellt das Land bei der Bahn und bei anderen Verkehrsgesellschaften wie der Hohenzollerischen Landesbahn Nahverkehrszüge. Ein Kilometer Zugverbindung kostet zwischen sieben und zehn Euro.

Die Regionalisierungsmittel aus Berlin fließen konstant. Allerdings hat die Bahn die Kosten für die Nutzung von Schienen und Bahnhöfen in diesem Jahr um 50 Millionen Euro erhöht, unter anderem wegen gestiegener Energiekosten und einer Umverteilung unter den Ländern. Was Baden-Württemberg jetzt in arge Nöte stürzt – besonders den Verkehrsminister. Hat der Grünen-Politiker doch stets in Aussicht gestellt, den Nahverkehr auszubauen.

Jetzt geht es bis 2016 – so lange läuft der bestehende Verkehrsvertrag mit der DB – nur noch darum, Streichungen zu verhindern. Das wird schwer genug. Denn Einsparpotenzial in dieser Größenordnung gibt der Verkehrsetat nicht her, und weder Finanzminister Nils Schmid (SPD) noch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) haben bislang signalisiert, das Loch mit Geld aus dem Landeshaushalt stopfen zu wollen. Für beide steht Sparen an oberster Stelle.

Eine mittelprächtig nachgefragte Verbindung wie Mulhouse–Müllheim erscheint vor diesem Hintergrund als Luxus. Etwa 550.000 Euro jährlich müsste Baden-Württemberg für die 51.000 Zugkilometer des Blauwals auf deutscher Seite berappen. Doch wie rechtfertigt man andererseits die bereits geleisteten Investitionskosten in Millionenhöhe? Es ist, um im Bild zu bleiben, als hätte ein Zoo ein neues Aquarium angelegt und plötzlich kein Geld mehr für die Tiere.

Auch S-Bahn Stuttgart betroffen

Im Verkehrsministerium spricht man von einem Treppenwitz, sollte der Blauwal auf der (nagelneuen) Strecke bleiben. Ihn nicht fahren zu lassen sei vor Ort kaum zu vermitteln, heißt es. Doch was ist die Alternative? An anderer Stelle kürzen? Dies hätte politisch dieselbe verheerende Wirkung. Zumal Zugabbestellungen bei bestehenden Verträgen zwar einen kleinen Sparbeitrag leisten, unterm Strich aber ein Verlustgeschäft bedeuten.

Und der Blauwal ist beileibe nicht das einzige Sorgenprojekt. Nach Angaben des Verkehrsministeriums sind in jüngster Vergangenheit fünf weitere Verbindungen für viel Geld mit dem Ziel ausgebaut worden, künftig mehr Züge verkehren zu lassen.

Etwa die Münstertalbahn im Südschwarzwald. Sie wurde erst für 17,5 Millionen Euro elektrifiziert, dann bestellte das Land Züge im Wert von 8,6 Millionen Euro. Oder die S-Bahn in der Region Stuttgart: 161 Millionen Euro wurden in den Bau der S 40 und S 60 gesteckt. Für das Jahr 2013 sind drei Millionen für Züge eingeplant, die sich das Land und der Verband Region Stuttgart teilen. Hier kommt als Problem hinzu, dass man die vorbestellten S-Bahnen nicht einfach so auf Eis legen kann. Verträge.

„Die Kürzungen der Bahn waren damals nicht absehbar“

Auch der Ausbau der Stadtbahn Heilbronn-Nord sowie die Linie Ulm–Weißenhorn wurden geplant, als das Land noch reichlich Regionalisierungsmittel übrig hatte. Für besagte Projekte zusammen wurden Zugkilometer im Wert von fünf bis sechs Millionen Euro im Jahr bestellt. „Die Kürzungen der Bahn waren damals nicht absehbar“, heißt es im Verkehrsministerium. Doch nun weiß man nicht so recht ein noch aus. Eine Möglichkeit sieht Hermann in der Umschichtung von Stuttgart-21-Mitteln. Doch das ist politisch mindestens genauso heikel wie Zugstreichungen.

Letzte Hoffnung ist ausgerechnet die SPD. Der sonst dem Verkehrsminister so kritisch gesonnene Koalitionspartner ist dem Grünen-Politiker zur Seite gesprungen und hat an SPD-Finanzminister Schmid appelliert, nach anderen Einsparmöglichkeiten zu suchen. Andernfalls, ist man sich in der Koalition einig, „wird das Ganze für Grün-Rot zu einer Katastrophe“.