Schlagloch auf der Pragstraße Foto: Rosar

Oft nur geplant: Viele Gemeinden im Land warten seit Jahrzehnten auf ihre Umfahrung.

Stuttgart - 315 Straßenverkehrsprojekte sind im aktuellen Bundesverkehrswegeplan aufgelistet - allein in Baden-Württemberg. Ungefähr 98 Prozent davon werden sich auch im nächsten und übernächsten Programm wiederfinden. An Plänen für eine bessere Verkehrsinfrastruktur mangelt es nicht - dafür an vielem anderen.

Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hätte solche Plakate wohl lieber in Stuttgart gesehen: "Kein Baustopp!" Oder: "Für einen sofortigen Weiterbau!" Doch statt die Landeshauptstadt prägten diese Parolen im vergangenen Jahr den westlichen Hochrhein. Dort geht es nicht um einen neuen Bahnhof, sondern den Ausbau der A 98. Bei Rheinfelden soll ein 2,4 Kilometer langer Abschnitt von zwei auf vier Spuren erweitert und damit eines der größten Nadelöhre des Landes beseitigt werden. Mitte vergangenen Jahres verhängte der Bund aus Geldmangel einen Baustopp.

Die Bürger waren sauer und gingen auf die Straße. Wie auch in Lichtenstein am Albtrauf. Der dort geplante Albaufstieg am Ort vorbei ist wie der A-98-Ausbau fast schon ein Jahrhundertprojekt. Natürlich scheitert es auch hier in erster Linie am Geld - aber nicht nur. In Lichtenstein blockieren sich Anwohner, Naturschützer und Gemeinderäte seit vielen Jahren selbst. Bis heute konnten sie sich nicht auf eine Trasse einigen.

In Lichtenstein heißt es also weiter warten - warten womöglich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Das Projekt Albaufstieg Honauer Steige konkurriert mit 314 anderen Straßenbauvorhaben in Baden-Württemberg (nur Bundesstraßen). Nur ein Teil zählt zum sogenannten vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Der Rest läuft unter "weiterer Bedarf", was so viel heißt wie unter "ferner liefen". Die meisten Projekte tauchen dort seit Jahrzehnten auf und werden wohl noch mal so lange in der Schublade verstauben, stößt man in Deutschland nicht irgendwann auf Öl. Wegen ihrer zu schlechten Kosten-Nutzen-Relation schaffen sie es im Ranking nicht nach oben oder werden ständig von anderen überholt. Entweder, weil woanders noch mehr Verkehr fließt und so noch mehr Autofahrer bzw. Anwohner von einer neuen Straße profitieren würden. Oder aber, weil die Baumaßnahmen zum Beispiel für eine Umgehung zu kostspielig ausfielen.

Wegen seiner hügeligen Landschaft werden in Baden-Württemberg häufiger als anderswo Brücken oder Tunnel benötigt, so dass aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium immer mal wieder - halb im Spaß, halb im Ernst - die Forderung nach einem Topografie-Zuschlag Richtung Berlin laut wird. Alle Länder bekommen derzeit bezogen auf ihre Größe den gleichen Anteil. Doch Baden-Württemberg ist nicht die einzige unterfinanzierte Region: So hätte Nordrhein-Westfalen gerne einen Besiedlungs-Zuschlag, Schleswig-Holstein liebäugelt mit einem Sand-Zuschlag . . .

Fakt aber ist: Bei der tatsächlichen Umsetzungsquote ist nur Hessen noch schlechter dran als die Gegend zwischen Main und Bodensee. So wurden in Baden-Württemberg in den vergangenen zwölf Jahren gerade einmal 30 Prozent der geplanten Projekte angegangen. Zum Vergleich: Im Osten liegt die Realisierungsquote bei fast 70 Prozent. Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) veranschlagt die Summe für projektierte, aber nicht begonnene Vorhaben in Baden-Württemberg auf fünf Milliarden Euro.

"Straßenbau wird immer teurer"

"Straßenbau wird immer teurer", erklärt einer ihrer Sprecher. Hauptverantwortlich seien gestiegene Auflagen im Bereich Umweltschutz: Amphibienschutz, FFH-Gebiete, Ausgleichsmaßnahmen, Grünbrücken, um nur einige zu nennen. Vieles davon gab es vor 20 Jahren noch nicht. Gleiches gilt für die Tunnelsicherheit: Rettungswege, Löschwege und Entrauchungsanlagen erweisen sich als millionenschwere Preistreiber. Oder Lärmschutz: Die Menschen sind sensibler geworden - bzw. selbstbewusster, was ihre Rechte angeht. Wo in anderen Teilen der Erde oft das Lineal genommen wird, um eine Strecke von A nach B zu planen, wird hierzulande kein Kilometer Straße mehr gebaut ohne Einspruch wegen spielender Kinder oder einer seltenen Eule.

Planfeststellungsverfahren sind sehr demokratisch und dauern manchmal 30, 40 Jahre. In dieser Zeit kommen immer wieder neue Regierungen, neue Gesetze, neue Rahmenbedingungen. Ist nach langen Jahren das Baurecht endlich erkämpft und die Finanzierung gesichert, heißt das aber noch lange nicht, dass gleich die Schaufeln geschwungen werden. Seit Bauprojekte EU-weit ausgeschrieben werden müssen, herrscht harter Wettbewerb unter den Baufirmen. Die eine gönnt der anderen nichts - durch Einsprüche werden die Vergabeverfahren oft unnötig aufgehalten.

Doch auch die Politik ist nicht unschuldig: Der Verkehrswegeplan ist nicht mehr als ein Wunschzettel - vermittelt vor Ort aber gern den Eindruck, als rückten morgen die Bagger an. Es soll sogar Bürgermeister geben, die beim Bund darum gebeten haben, ihr Fata-Morgana-Projekt ein für alle Mal aus dem Plan zu streichen. Immerhin: Verkehrsministerin Gönner will künftig weniger versprechen: "Es bringt nichts, den Rucksack vollzupacken, den wir hinterher nicht tragen können."

An Ideen, wie sich der Straßenbau effizienter gestalten ließe, mangelt es nicht. Der Auto Club Europa (ACE) würde am liebsten die Hoheit über die Bundesstraßen auf die Länder übertragen. "Warum soll in Berlin über eine Ortsumfahrung im hintersten Schwarzwald entschieden werden, nur weil es eine Bundesstraße ist?", fragt Matthias Knobloch, Leiter der Verkehrspolitik beim ACE. Er glaubt, dass in den Ländern besser über Richtigkeit und Sinnhaftigkeit vor Ort entschieden werden könne.

Dem widerspricht Hans-Martin Haller von der SPD: "Der Bund bezahlt, also entscheidet er." Für Haller ist es schlicht eine Frage der politischen Prioritäten, und da sieht er den Straßenbau am meisten unterfinanziert. "Leider wird zu oft Krethi und Plethi gefördert, statt sich auf die Kernaufgaben zu besinnen", so seine Kritik.

Am Tag vor Weihnachten hat sich das Bundesverkehrsministerium besonnen - und eingefrorene Mittel für zwölf Bundesstraßen-Projekte im Land doch noch freigegeben. Darunter auch Geld für den Ausbau der A 98. Jetzt werden die weiteren Ausschreibungen vorbereitet, so dass es noch in diesem Jahr weitergeht. Die Zeitverzögerung ist allerdings nicht mehr aufzuholen.