Ein Polizist kontrolliert in der Innenstadt von Frankfurt am Main einen Radfahrer Foto: dpa

Fahrradclub, Verkehrswacht, Versicherungswirtschaft und Innenminister fordern eine 1,1-Promille-Grenze für Radfahrer. Juristen sind allerdings skeptisch.

Goslar - „Wir nehmen das Rad, da können wir wenigstens was trinken“, heißt es oft, wenn es zu einer Party geht. Der Heimweg ist auf dem Drahtesel weniger riskant als am Steuer eines Autos: Ab 0,5 Promille drohen Autofahrern Bußgelder, Punkte und Fahrverbot, ab 1,1 Promille Strafverfahren und längerer Führerscheinentzug. Radfahrer können mehr „tanken“, sie sind laut BGH in der Regel erst ab 1,6 Promille dran, dann freilich gerät auch  der Führerschein in Gefahr. Die für Autofahrer bei Unfällen oder groben Fahrfehlern relevante 0,3-Promille-Marke hat für Radfahrer wegen Beweisproblemen so gut wie keine Bedeutung.

  Der Preis für diese Promille-Lücke ist nach Ansicht des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC)  viel zu hoch. 2013 gab es in Deutschland rund 77 000 Unfälle mit Personenschaden, in die Fahrradfahrer verwickelt waren. 3432 dieser Radler waren betrunken. Das sind zwar nur 4,4 Prozent aller in schwere Unfälle verwickelten Radler; dieser Anteil aber ist doppelt so hoch wie bei Autofahrern. „Wenn wir unsere Zahl ebenfalls halbieren könnten, wäre schon viel gewonnen“, meint ADFC-Rechtsreferent Roland Huhn. Das Rezept seiner Organisation ist eine „zusätzliche Warnschwelle“ für den Drahtesel: Die Rad-Lobbyisten fordern eine gesetzlich festgeschriebene 1,1-Promille-Grenze. Diese soll – ähnlich wie die 0,5 Promille bei Autofahrern – ein Gefährdungstatbestand sein, also auch dann greifen, wenn sonst nichts passiert ist. Das Bußgeld könnte nach Huhns Vorstellung die Hälfte des Autofahrersatzes, also 250 Euro, ausmachen. Punkte und Fahrverbot gäbe es nicht.   Auf dem Verkehrsgerichtstag Ende Januar in Goslar will der ADFC dafür werben – und kann sich bereits jetzt großer Unterstützung sicher sein.

„Mit 1,6 Promille dürften viele Fahrradfahrer schon Probleme haben, überhaupt ihr Schloss zu öffnen“, meint etwa der Präsident der Deutschen Verkehrswacht, der frühere Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig. Die Innenminister der Länder sprechen sich ebenfalls für schärfere Sanktionen aus. „Mit dem derzeit gültigen Grenzwert kann niemand sicher auf zwei Rädern unterwegs sein“, findet Niedersachsens Ressortchef Boris Pistorius (SPD).   Auch Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung des Versicherungsverbandes GDV, fordert ein abgesenktes Limit. „Ab 1,1 Promille zeigen Radfahrer deutliche Ausfälle. Sie gefährden damit sich selbst und auch andere Verkehrsteilnehmer.“ 

Mancher Radfahrer hält sich auch mit 1,6 Promille noch wacker, ergaben Tests

Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Düsseldorf hatte im Auftrag des GDV jüngst rund 80 Testpersonen mehrmals mit steigenden Alkoholpegeln über einen Parcours geschickt und dabei Reaktionen, Ablenkung und Verhalten untersucht. Ergebnis: Bei den meisten Probanden  verschlechterte sich die Fahrleistung spätestens ab 0,8 Promille, einige aber hielten sich noch jenseits der 1,6 Promille so wacker auf dem Rad wie so mancher  Kollege im nüchternen Zustand. Ein Versuch an der Uni Mainz erbrachte ähnliche Erkenntnisse.  Für den Präsidenten des Verkehrsgerichtstages, Kay Nehm, sind niedrigere Promillewerte daher eine „heikle Geschichte“. Gerichtsverwertbare Grenzen ließen sich nicht definieren.  Im Übrigen gefährdeten Radfahrer in erster Linie nur sich selbst; und dies dürfe nach der deutschen Rechtsordnung  kein Fall für Sanktionen sein, argumentiert der ehemalige  Generalbundesanwalt. Außerdem komme die Polizei schon mit der Überwachung von motorisierten Alkoholsündern nicht hinterher, ein zusätzliches Auge auf betrunkene Radler würde dieses Problem nur verschärfen.  

Ähnliche Bedenken äußert der Strafrechtsprofessor Uwe Scheffler von der Universität Frankfurt/Oder. Ohne Unfall oder grobe Fehler sei die „Ahndungswürdigkeit“ eines alkoholisierten Radfahrers „sehr fragwürdig“. Und möglicherweise auch kontraproduktiv:  Wenn auch schon Radlern nach Alkoholkonsum Sanktionen drohten, könne man doch gleich das viel bequemere – aber viel gefährlichere – Auto zum Kneipenbummel oder Discobesuch nehmen.  

Neben betrunkenen Radlern beschäftigt sich das Gremiun in Goslar mit den erhöhten Unfallrisiken auf Landstraßen, der Ablenkung durch Handys und Navigationssysteme sowie dem europäischen Führerscheintourismus. Auch um die Fallstricke des vollautomatisierten Fahrens geht es in einem der acht Arbeitskreise. Wer haftet etwa, wenn ein Brems- oder Lenkassistent versagt; wer hat Zugriff auf all die anfallenden Daten, lauten zwei der Fragen. Frühere Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages haben immer wieder Eingang in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Behördenhandeln gefunden.