Pokale werden in Vereinen oft verliehen. Foto: dpa

Der Verein hat in Deutschland noch immer Konjunktur, aber die Anforderungen sind größer denn je.

Es war schon immer ein innerer Drang des Menschen, einen Verein zu gründen. Wer sich vorstellt, wie es war, ein Mammut mit der Steinschleuder zu erlegen, ahnt warum. Am besten gelang der Nahrungserwerb vermutlich klug organisiert und unter Einbeziehung fester Grundsätze. Wenn dann dank eindeutiger Regeln kein Streit darüber entbrennen konnte, wer die Schleuder zu tragen hatte und wer den Stein, dann war das Tier so gut wie erledigt.

Das nährt zwar den Verdacht, schon Rulaman, der steinzeitliche Held des gleichnamigen Romans, könnte Vorsitzender der Jugendabteilung im Schwäbischen Albverein gewesen sein, führt aber nicht unmittelbar zur Klärung des urgermanischen Phänomens. Die Neigung des Deutschen, einen Verein zu gründen, so heißt es, erwacht immer dann, wenn er sich in Gesellschaft von mindestens zwei Gleichgesinnten befindet.

Eintreten, bitte!

Diese Annahme ist zwar nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz korrekt. Denn als eingetragener Verein, kurz e.V., darf sich ein Bündnis zum Zweck der Verfolgung gemeinsamer Ziele nur bezeichnen, wenn es über mindestens sieben Mitglieder verfügt. Was ebenso wichtig ist: eine Satzung mit Paragrafen, Abschnitten und sinnstiftenden Präambeln. Erst dann erlaubt das Gesetz den amtlichen Eintrag ins Vereinsregister. Was bedeutet: Die Freunde zur „Pflege der Bergziege im Flachland“ gelten als gemeinnützig und deshalb als steuerlich privilegiert.

Kommt es im Anschluss an die Gründung des bürgerlichen Kartells nicht zu zwischenmenschlichen Störungen, entwickelt sich für gewöhnlich eine Gruppendynamik, die nicht selten in opulenten Feierlichkeiten gipfelt. Gelegentlich auch in Mitgliederversammlungen, deren oberstes Ziel es ist, länger zu dauern als jede Bundestagssitzung. Was auch damit zu tun hat, dass die Mitglieder zu solchen Anlässen in langatmigen Reden dafür eintreten, wofür sie einstmals eingetreten sind. Oder aber über den Mitgliedsbeitrag streiten. Oder stocksteif zum Gruppenfoto für die Lokalpresse posieren. 50 Jahre Mitglied in der Narrenzunft Schneuzelreuth . . .

Aber das ist eine andere Geschichte.

Unter diesen Aspekten betrachtet, gehört es zu den ungelösten Rätseln unserer Zeit, dass es zwischen Cottbus und Konstanz – gemessen an der Einwohnerzahl – noch immer mehr Vereine gibt als sonst wo auf der Welt. In Zahlen: rund 600 000. Und es werden immer noch mehr. Was auch damit zusammenhängt, dass sich Bürgerinitiativen offenbar leichtertun, wenn sie als e.V. etwa für den Schutz von Lurchi kämpfen. Die Mitgliederzahlen dagegen schrumpfen. 44 Prozent der Deutschen gaben zuletzt an, in einem Verein zu sein. Mal mehr, mal weniger engagiert. Jeder fünfte in einem Sportverein. 1990 bekannten sich noch 62 Prozent zur Vereinsmeierei. Und das bisweilen in solch exotischen Gebilden wie dem Verein „Furz dich frei“ des Neuwieder Lokalpolitikers Werner Keßler, der damit zur Jahrtausendwende eine Debatte darüber lostrat, womit Volksvertreter einen guten Riecher beweisen können und womit eher nicht. Seine Kreistagskollegen jedenfalls rümpften die Nase und forderten ihn zum Rücktritt auf. Was Kessler unter dem Hinweis ablehnte, dass hochmögende Zeitgenossen Geschmack am Vereinszweck gefunden hätten. Überdies sei der medizinische Nutzen erwiesen.

Uneigennützig, sozial ausgewogen, basisdemokratisch

Bei den nicht minder vereinsverliebten Briten sorgten vor Jahren die bekennenden Nudisten eines Nackt-Mini-Golf-Clubs in Essex für Aufsehen, weil dreißig von ihnen innerhalb einer Stunde einen tückischen Parcours in Southend-on-Sea bewältigten. So wie Gott sie geschaffen hatte. Ein in soziologischer Hinsicht spannendes Projekt, das eine nackte Tatsache des Vereinslebens gut verdeutlichte: Der Unternehmer war von seinem Mitarbeiter in keinerlei Hinsicht zu unterscheiden. Am Ende kamen immerhin 3000 Pfund (rund 4000 Euro) für die Prostata-Krebsforschung zusammen. Besser kann man die Vereinskultur nicht beschreiben: uneigennützig, sozial ausgewogen, basisdemokratisch – immer den gesellschaftlichen Mehrwert im Blick.

Typisch deutsch daran ist, dass derart staatsferne Umtriebe einer gewissen Ordnung bedürfen. Deshalb haben die Formalisten dem Vereinsleben von Geburt an eine Satzung gegeben, die das freundschaftliche Miteinander bis ins Detail regelt. Man ist nicht einfach dabei, man tritt ein. Es werden Beiträge erhoben. Das Mitglied bekommt Rechte und übernimmt Pflichten. Und alles hat seinen Zweck.

Die Prototypen des kommunalen Netzwerks, die Sprach-, Lese- und Museumsgesellschaften, verschrieben sich noch der Erziehung, Bildung oder Wohltätigkeit. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts widmeten sich die Gemeinschaften sportlicher Ertüchtigung oder gehobener Sangeskunst. Chöre dienten zu Zeiten der Reichsgründung (1871) der Veredelung des Volksgesangs, Sportvereine der Volksgesundheit und gymnastischen Übungen. Weil der Mensch unfallfrei mit der Eisenbahn fuhr und bald schon das Auto erfand, begannen die Clubs, ihre Fertigkeiten ortsübergreifend zu messen. Patriotisch umwehte Turn- und Sängerfeste elektrisierten die Massen. Sozialhistoriker ziehen den Hut und sprechen vom Jahrhundert der Vereine.

Verein als Kitt der Gesellschaft

Weshalb es kein Zufall war, dass Max Weber dem Deutschen Soziologentag 1910 ein „ungeheures Thema“ vorzuschlagen wagte: das Vereinswesen, das den deutschen Michel epidemisch befallen hatte – „in einem fürchterlichen, nie geahnten Maße“. Die Schuld gab Weber der Blüte des deutschen Gesangvereins. „Singen sublimiert“, schrieb Weber, hebt den Mensch also auf eine höhere Stufe. Wem täglich „gewaltige Empfindungen durch Brust und Kehlkopf“ strömten, fehle schlicht der Antrieb für andere Gewalten.

Womit er schon vor 105 Jahren den Verein als Instrument einer Sozialisation definierte, das seine Gültigkeit bis heute behält. Statt ihre Freizeit zu vergeuden, übt die naturgemäß aufmüpfige Jugend im Verein schon mal für die Rolle als selbstbewusstes Mitglied einer werteorientierten Erwachsenenwelt. Wer derart gereift als Ehrenamtlicher uneigennützig Verantwortung übernimmt, erfährt als Vorsitzender, Kassenwart, Schriftführer, Trainer oder Betreuer eine gesellschaftliche Aufwertung, die ihm das berufliche Leben womöglich nicht bietet. Oder wie es Kurt Tucholsky formulierte: „Da draußen bin ich nur ein armes Luder/Hier bin ich ich – und Mann und Bundesbruder.“

An dieser Sinnstiftung hat sich bis heute wenig geändert. Der Wert des Vereins als Kitt der Gesellschaft, als soziale Heimat und Beitrag zur Gesundheitsvorsorge ist unbestritten. Seine integrative Kraft kann helfen, soziale, ethnische, kulturelle und religiöse Schranken zu überwinden. Für den Torjäger einer Fußballmannschaft ist es von begrenztem Interesse, ob ein Akademiker oder Arbeiter die Flanke in den Strafraum tritt. Ob seine Mitspieler dünn, dick, schön, hässlich, arm oder reich sind.

Heikel wird es dagegen, wenn sich die beharrenden Kräfte gegen den Spagat wehren, der nötig ist, um Tradition und Fortschritt zu versöhnen. Wie gut es gelingen kann, belegen die Erfolge der schon so oft totgesagten Vereinsarbeit. Gesang- oder Musikvereine locken den Nachwuchs mit Rock, Pop und Rap. Sportclubs entwickeln sich zu modernen Dienstleistungs-Einrichtungen, die sich mit ihren Angeboten flexibel auf die Bedürfnisse ihrer anspruchsvollen Klientel einstellen. Jugendliche als Mitglieder zu werben gelingt noch einigermaßen, sie langfristig zu binden und für Ehrenämter zu begeistern wird zwar schwieriger, ist aber in der Welt der Schönen und Schlanken noch immer möglich.

Schritt halten mit den Verlockungen des Internets

Früher schwitzte der Mensch die Mühen des Arbeitstages mit einer Runde Zirkel-Training in der Turnhalle durch die Rippen. Danach zischte er im Clubheim ein Bierchen. Was wehtat, rieb er mit Schnaps ein.

Heute begegnet der Global Player dem drohenden Burn-out mit einem Work-out im Fitnesscenter. Spinning, Pilates, Yoga, Thai Bo, Bodypump, Bodyshape, Fat Burner. Wenn gewünscht, mit ausgebildetem Fitnesscoach und ärztlicher Betreuung. Zum Abschluss stürzt er an der Bar einen Protein-Shake. Schnell ein Blick in den Spiegel. Kurz noch ein Selfie für die Facebook-Community. So ein Waschbrettbauch weckt die erhofften Neidgefühle.

Die Vereinskultur muss eben Schritt halten mit den Verlockungen des Internets, einem wachsenden Freizeitangebot und kommerziellen Anbietern. Ganztagsschulen und G 8 knabbern am Zeitbudget junger Menschen. Immer mehr Clubs stellen sich mit großem Aufwand auf die neuen Zeiten ein – professionelle Kräfte ersetzen vielerorts ehrenamtliche Helfer. Geschäftsstellen managen komplizierte Tagesabläufe, sie kämpfen mit den Folgen des Mindestlohns, sie pflegen Web-Seiten und Themen-Blogs. Das Dreigestirn aus Sport, Fitness und Gesundheit ist zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Und die alternde Gesellschaft bietet dem Markt neue Perspektiven. Jung gebliebene Senioren fluten die Kursangebote in den Vereinen.

Seit das preußische Landrecht vor 220 Jahren die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gewährte, wurde die Liebe der Deutschen zum Verein immer wieder auf die Probe gestellt. Sie hat alles überstanden – trotz des spöttischen Rats von Ernst Jünger: „Man muss spätestens dann aus einem Verein austreten, wenn man Vorsitzender wird.“