Pestizide im Tiefkühlgemüse und Kakerlaken in der Küche des Lieblingsrestaurants: Eigentlich haben Verbraucher Anspruch darauf, darüber informiert zu werden. Doch einige Unternehmen haben erfolgreich interveniert. Das Gesetz ist seither ein zahnloser Tiger.

Stuttgart - Verstöße gegen das Lebensmittelrecht sind Alltag: Der baden-württembergische Verbraucherminister Alexander Bonde (Grüne) hat deshalb die Lebensmittelüberwachung personell aufgestockt. Und die Kontrolleure werden auch regelmäßig fündig.

Doch der Verbraucher hat nichts von den Erkenntnissen: Er erfährt lediglich, dass irgendein Betrieb im Landkreis X oder Y gegen die Vorschriften verstoßen hat. Jetzt darf er spekulieren? Ist das der Italiener hier bei mir um die Ecke oder vielleicht mein Lieblingbäcker?

Die Verbraucherzentrale (VZ) Baden-Württemberg macht jetzt mobil und fordert die von der Bundesregierung versprochene aktive Behördeninformation. Denn den Behörden sind ein Großteil der Verstöße bekannt – sie geben sie nur nicht weiter. Grund ist die Rechtsunsicherheit seit Anfang 2013: Weil Unternehmen gegen die Praxis geklagt hatten, stoppten Verwaltungsgerichte die Bundesländer, die bis dato seit ein paar Monaten die Verstöße im Internet veröffentlicht hatten.

Verbraucherzentrale entlarvte 278 erhebliche Verstöße

Das gilt auch für das Verbraucherschutzministerium in Baden-Württemberg. Minister Bonde hat allerdings mit Amtskollegen in der Verbraucherschutzkonferenz den Bund dazu aufgefordert, § 40 des Lebensmittelgesetzes rechtssicher zu machen, damit die Verbraucher künftig wieder konkret erfahren, bei welchem Betrieb welcher Verstoß festgestellt worden ist.

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat von September 2014 bis Februar 2015 untersucht, welche Informationen den Verbrauchern vorenthalten wurden. Und sie kam auf 278 sogar erhebliche Verstöße, die voraussichtlich mit einem Bußgeld von mindestens 350 Euro belegt werden und wiederholt festgestellt wurden.

Allerdings, so die Diplom-Ernährungswissenschaftlerin Christine Manthey, hätten auch nur 28 von 44 unteren Gesundheitsbehörden im Land überhaupt Verstöße gemeldet. „Für Verbraucher ist diese Situation nicht hinnehmbar“, sagt Cornelia Tausch vom Vorstand der Verbraucherzentrale.

Hygienemängel und Grenzwertüberschreitungen in Imbissbuden und Kantinen

Beanstandungen gab es vor allem, weil bei verschiedenen Substanzen Grenzwerte überschritten wurden und wegen Hygienemängeln. Letztere traten vor allem in Gastronomiebetrieben auf, zu denen die VZ etwa auch Imbissbuden und Kantinen zählt.

Von den 278 Verstößen fielen 97 in diese Kategorie, 15-mal wurden nicht zum Verzehr geeignete oder nicht sichere Lebensmittel abgegeben. In weniger Fällen war die Kennzeichnung nicht in Ordnung oder irreführend. Besser schnitten Metzger, Bäcker und Erzeuger ab, dort ging es vor allem um die Kennzeichnung.

Bei den Rückständen stellte die VZ allerdings Erstaunliches fest: So lag vor allem der Gehalt von Chlorat, dem Salz der Chlorsäure, häufig deutlich über dem Grenzwert. Dies, so Christiane Manthey, sei umso erstaunlicher, da Chlorat in der EU eigentlich gar nicht mehr eingesetzt werden darf.

Chlorat-Rückstände auf Chilischoten, Radieschen, TK-Möhren

Die Substanz kann allerdings beim industriellen Waschen oder über Beregnungsanlagen auf Gemüse gelangen: Chlorsäure wird als Desinfektionsmittel eingesetzt und sei – so Manthey, auch ein Ziel des bundesweiten Lebensmittelmonitorings.

Entdeckt wurde es nicht nur auf exotischen Früchten und Gemüsen, wie etwa Tiefkühl-Mangos und Chilischoten, sondern auch auf Radieschen mit einem Spitzenwert von 1,3 mg/kg – der Grenzwert liegt bei 0,01 mg/kg. Fatalerweise, so Manthey, seien erhebliche Chlorat-Rückstände etwa auch auf TK-Möhren gefunden worden, die häufig von Säuglingen und Kleinkindern verzehrt würden: „Säuglinge haben aber noch keine Entgiftungsmechanismen.“

Fungizide selbst in Obstzubereitungen für Säuglinge

Weit über dem Grenzwert lag Chlorat auch bei TK-grünen-Bohnen, Rosenkohl und Liebstöckel. Auffällig waren darüber hinaus hohe Konzentrationen des Fungizids Fosetyl – etwa in Reis, Bananen und Sellerie und selbst in Obstzubereitungen für Säuglinge und Kleinkinder.

Im gesamten Untersuchungszeitraum wurden der VZ nur vier Betriebsschließungen bekannt: Dabei habe Minister Bonde 2012 noch auf täglich im Schnitt sechs Betriebsschließungen verwiesen.

Die VZ fordert, die Veröffentlichung der Namen der beanstandenden Betriebe rechtssicher zu machen, und zwar „proaktiv“, also nicht erst auf Nachfrage. Bisher muss einer Veröffentlichung immer ein Anhörungsverfahren des beanstandeten Betriebes vorausgehen. „Die Bundesregierung ist gefordert, ihr Koalitionsversprechen umzusetzen“, so Cornelia Tausch.