Versicherungen sammeln immer mehr Daten über das Verhalten der Kunden Foto: Fotolia

Werden Kunden künftig mit ihren detaillierten Daten zahlen, um günstige Versicherungstarife zu bekommen? Das befürchten die Verbraucherzentralen. Denn die Branche experimentiert mit individuelleren Tarifen.

Stuttgart - Wenige Unternehmen sind so scharf auf Kundendaten wie Versicherungskonzerne. Schließlich müssen sie Risiken möglichst genau bewerten. Sei es für ein Gebäude, den Hausrat, das Auto, die Gesundheit oder gar das eigene Leben. Je stärker die Informationen fließen, desto sicherer ist der Versicherer selbst – vor allem, was die Finanzen angeht. Für dieses Ziel gehen derzeit diverse Versicherer auf Entdeckungsreise – so auch der deutsche Branchengigant Generali Deutschland: In Südafrika hat man mit dem Branchenkollegen Discovery ein Modell gesichtet, das bis Ende 2015 auch für deutsche Kunden gelten soll: Wer seine Fitness dokumentiert, sich gesund ernährt und vorsorgt, soll belohnt werden. Das könnten Gutscheine fürs Fitnessstudio sein. Oder Prämienrabatte. „Vitality“ (Lebensfreude) soll das Programm heißen.

Ob die Daten über eine eigene Kunden-App fließen, steht laut Generali noch nicht fest. Dass die Kunden aber bereitwillig über ihre Gesundheit detailliert Auskunft geben – davon ist Arbeitsdirektor Christoph Schmallenbach überzeugt. Schließlich könnten sie dafür mit einer Gegenleistung rechnen oder, wie Schmallenbach es nennt: „Mit den geplanten Vitality-Produkten wollen wir den Erwartungen derjenigen Kunden Rechnung tragen, die gesundheitsbewusst leben oder leben wollen und die eine risikogerechte Einordnung ihrer Lebensweise für ihre Versicherung berücksichtigt wissen möchten.“ „Jeden fünften Deutschen“ zähle er dazu.

Dass der Vorstoß bei den Krankenversicherungen ankommt, verwundert nicht. Fitness-Apps stehen bei den Verbrauchern hoch im Kurs. Mit Smartphones und speziellen Armbändern messen sie Schritte und Herzschlag oder zählen verbrauchte Kalorien – und das freiwillig. Eine kleine Bewegung von sogenannten Selbstvermessern wertet die Fort- oder Rückschritte gar penibel in aufwendigen Grafiken aus. Dass ihre persönlichsten Daten dabei oft auch für andere sichtbar sind, scheinen sie zu vergessen. Diese Stimmungslage will offenbar auch die Generali für sich nutzen. Mit dem Vitality-Programm animiert sie nicht nur zu einem gesünderen und für die Versicherung günstigeren Leben. Sie könnte damit auch besser ihre Kunden klassifizieren. Und an der Tarifschraube drehen.

Das vermutet man zumindest beim Verbraucherzentrale-Bundesverband. „Wer das Programm nutzt, könnte einen günstigeren Versicherungstarif erhalten als ein Nichtnutzer. Dadurch könnten sich andere genötigt sehen, ebenfalls mit ihren Daten zu zahlen“, sagt Ilona Köster-Steinebach. Die Gesundheitsexpertin geht noch einen Schritt weiter. „Die Gefahr ist längst da, dass Personengruppen, die nicht nur bei einer privaten Krankenversicherung negative Deckungsbeiträge produzieren, von den Versicherungen unter Druck gesetzt werden. Oder es wird gezielt nach Menschen gesucht, die länger krank waren. Die Versicherungen würden das natürlich nicht offen zugeben. Damit würde aber das Versichertenkollektiv entmischt.“ Was sie meint: Weniger gesunde oder auskunftsfreudige Kunden könnten von einer privaten Krankenversicherung abgelehnt oder in einen teuren Tarif abgeschoben werden.

Die Generali nennt dies „absurd“ – und betont: „Druck wurde und wird zu keiner Zeit auf Kunden ausgeübt.“

Die meisten Experten sind sich aber zumindest einig, dass es künftig viel mehr maßgeschneiderte Versicherungstarife geben wird, die aus immer detaillierteren Kundendaten berechnet werden – der Verbraucher wird immer stärker vermessen und klassifiziert. Analog zur Schufa, die manchen Kredit vereitelt, könnte es dann schlimmstenfalls heißen: „Für Sie ist der Tarif leider nicht erhältlich. Nutzen Sie doch bitte unseren teureren Tarif für risikoreiche Kunden.“

Technisch ist alles bereits möglich. IT-Konzerne werben damit, welche Faktoren man untersuchen könne. Für die Lebensversicherung könnte neben dem Lebensstil auch Ahneninformationen oder eine Genanalyse einfließen. Softwareprogramme werten sekundenschnell auch den Datenwulst des Internets aus, zum Beispiel was über Sport, Zigaretten oder Unfälle auf Facebook gepostet wird. Natürlich stehen dem Datenschutzgesetze entgegen. Wer aber will, kann sich auf freiwilliger Basis durchleuchten lassen.

Etliche Verbraucher scheinen dafür bereit. So hat die Sparkassen-Direktversicherung – ein Spezialist für Autoversicherungen – mit einer Art Datentarif Erfolg. Wer eine Telematik-Box für das Auto nutzt, erhält unter anderem bei Unfällen eine automatische Verbindung zum Notarzt, aber auch detailliertes Feedback zum eigenen Fahrverhalten. Wer nachweisbar vorausschauend fährt, kann den Versicherungsbeitrag drücken. Die Versicherung erhalte nur die ausgewertete Punktzahl über das Fahrverhalten und die Zahl der zurückgelegten Kilometer, betont Vorstandsmitglied Jürgen Cramer. 1000 Telematik-Boxen habe man zum Test bereits eingebaut. „Die Kundenzufriedenheit ist so groß, dass man es weitermachen müsste.“ Leider seien die Einbaukosten hoch. Jetzt hoffe man darauf, dass zum Beispiel Väter dafür zahlen, das Fahrverhalten des Sohns überprüfen zu können – „Teen Watching“, wie Cramer es nennt.

In anderen Ländern sind solche Modelle schon üblich. In den USA wirken sich in der „Pay how you drive“-Variante („Zahl wie du fährst“) Fahrzeug- und Fahrerdaten auf die Versicherungsprämie aus. Mit den Nutzerdaten ließen sich auch andere Versicherungen individuell anpassen. Wer beispielsweise in einem Smarthome wohnt, bei dem unter anderem Herd, Rollläden und Sicherheitstechnik mit dem Internet vernetzt sind, könnte die Daten für die Hausrat- oder die Gebäudeversicherung auswerten lassen. Die Analyse der eigenen Fitnessdaten könnte nicht nur für die Kranken-, sondern auch für die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung von Bedeutung sein. Auf die zuletzt genannten Bereiche will auch die Generali das Vitality-Programm ausweiten.

Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis weitere Versuche, auch von anderen Versicherungsunternehmen, folgen. Zu groß ist das Interesse, jegliches Risiko zu erfassen. Die Vermessung der Versicherten hat erst begonnen.