Klicken Sie sich durch die Impressionen aus Betlehem. Foto: Welzhofer

Ich sitze mal wieder in einem der grünen Egge-Überlandbusse. Eigentlich ist Bethlehem mein Ziel, aber dazu muss ich erst einmal nach Jerusalem fahren.

Betlehem - Ich sitze mal wieder in einem der grünen Egge-Überlandbusse. Eigentlich ist Bethlehem mein Ziel, aber dazu muss ich erst einmal nach Jerusalem fahren. Um mich herum im Bus Nummer 480 sitzen vor allem junge Soldaten, die Maschinenpistolen neben sich, und Pendler auf dem Weg zur Arbeit. Vorn in der Scheibe hängt eine kleine israelische Flagge mit dem blauen Stern auf weißem Grund.

In Jerusalem komme ich an der Zentralen Busstation am Ende der Jaffa-Road an, die Busse nach Bethlehem aber fahren in der Nähe des Damaskustors ab, einem der großen Tore zur Altstadt, und eben dieses liegt in Ostjerusalem. Man kann nur mit arabischen Bussen nach Bethlehem fahren, es grenzt zwar im Norden direkt an die Heilige Stadt, aber es liegt im Westjordanland. Ich will dort für einen Zeitungsartikel Vera Baboun treffen, die seit kurzem die erste Bürgermeisterin in der 3000-jährigen Geschichte der Stadt ist. Außerdem wollte ich mal das Christkind besuchen, bevor sein Zuhause an Weihnachten von Pilgern überflutet wird.

Warm ist es in dem weißen Bus Nummer 21, um mich herum sitzen ältere Männer mit Kufiya auf dem Kopf und Jugendliche mit i-Pod-Stöpseln im Ohr. Direkt neben mir lernt eine verhüllte junge Frau flüsternd Englischvokabeln zur arabischen Musik aus dem Radio - und in der Scheibe hängt diesmal eine Fahne mit Halbmond und Stern.

Kurz hinter Jerusalem sehe ich schon die Mauer, die Israel vom Westjordanland trennt, bis zu acht Meter hoch. Und dann kommt bald der Checkpoint, hinter dem Bethlehem nicht weit ist. Das Westjordanland ist in drei Zonen unterteilt: Zone A (etwa 18 Prozent des Gebiets) untersteht der palästinensischen Zivil- und Sicherheitsverwaltung. Zone B (20 Prozent des Gebietes) untersteht der palästinensischen Zivilverwaltung, Israel entscheidet aber über Sicherheitsfragen. 40 Prozent der palästinensischen Bevölkerung lebt hier. Zone C macht mit 62 Prozent den größten Teil des Westjordanlandes aus und untersteht ganz der israelischen Zivil- und Militärverwaltung.Bethlehem gehört zu Zone A und ist eine Kleinstadt mit etwa 30 000 Bewohnern, vor allem christliche Araber. Mit europäischem Pass ist es kein Problem in die autonomen Palästinensergebiete zu fahren, mit israelischem schon - und Reisegruppen müssen am Checkpoint den Fahrer wechseln, von jüdisch zu arabisch.

Der Bus hält ein bisschen außerhalb des Zentrums und ich muss den weitläufigen Markt durchqueren, um in die Altstadt zu gelangen. Die Stadt bereitet sich auf die tausenden Pilger vor, die an Weihnachten in die Stadt kommen, um in der Geburtskirche jene Stelle zu berühren, wo der Überlieferung zufolge Jesus geboren wurde. Bislang hält sich die Dekoration noch in Grenzen, man muss die beleuchteten Sterne und Glocken schon sehen wollen zwischen den Marktständen und kleinen Geschäften, die den Weg von der Bushaltestelle bis zum zentralen Platz mit der Geburtskirche flankieren. Wie in Jerusalem werfen auch hier die Händler ihr ständiges „Where-are-you-from?“ aus wie Fischernetze für Touristen.

Vor der Kirche allerdings wird an diesem Tag der große Weihnachtsbaum aufgestellt und um ihn herum blinken in den Bars und Restaurants schon ein paar Rentiere und Weihnachtsmänner. „Wir sind erst am Anfang, wir haben noch viel mehr Dekoration“, verspricht mir einer der Barbesitzer, als ich seinen Plastikbaum lobe.

Die Pilger aus aller Welt sind offenbar noch zu Hause, ohne Anstehen und Gedränge kann ich die archaische Geburtskirche besuchen, ein steinernes Gebirge mit einer winzigen Eingangstür, durch die selbst ich gebückt gehen muss. Das Kirchenschiff ist wohltuend nüchtern und nur durch die typischen orthodoxen bunten Lämpchen geschmückt, die von der Decke baumeln. Die Stelle, wo Maria das Kind zur Welt gebracht haben soll, liegt unter der Kirche und ist mit einem silbernen Stern markiert. Auch hier bin ich fast allein, nur eine russische Reisegruppe drängt ebenfalls an den Stern und lässt viele Dollarnoten in das Körbchen des Geistlichen fallen, der daneben steht.

Religiös oder nicht, es ist schon ein besonderes Gefühl an dem Ort zu stehen, der einem vom Religionsunterricht so vertraut und fremd zugleich ist. Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum die Geschichte „meiner“ Religion eigentlich in einem so fernen, fremden Land spielt. Und dass ich mal dorthin reisen würde, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Bethlehem ist irgendwie wie eine alte Bekannte, die man schon ewig nicht mehr gesehen hat und die jetzt plötzlich vor einem steht. Und man ist so überrumpelt, dass man erst einmal gar nicht weiß, was man sagen oder machen soll. Zum Abschied frage ich den Stern, was er eigentlich von dem ewigen Kampf um das Stückchen Land hält, in dem er geboren wurde. Aber er gibt keine Antwort.

Etwas hektischer als in der Kirche geht es hingegen in Vera Babouns Büro zu, das im Rathaus liegt, der Geburtskirche gleich gegenüber. Hinter ihrem Schreibtisch grüßen der amtierende (Mahmud Abbas) und der ehemalige (Jassir Arafat) Präsident der Palästinenser von großen Fotos. Vera Baboun, arabische Christin, verwitwete Mutter von fünf Kindern, ehemalige Schuldirektorin und Geschlechterforscherin, ist seit Anfang November im Amt. Als erste Frau in der Geschichte der Stadt überhaupt, als einzige derzeit amtierende Bürgermeisterin einer palästinensischen Stadt.

Ich versuche, mit der eleganten Frau im dunkelblauen Hosenanzug und mit dem goldenen Kreuz um den Hals ein Gespräch über ihren Weg hierher und ihre Erfahrungen in einer von Männern dominierten Welt zu führen. Aber immerzu ruft jemand an, kommt ihr Stellvertreter mit ein paar Akten herein, muss sie kurz raus auf den Platz vor dem Rathaus, um eine ökumenische Kinderparade zu begrüßen, die mit Luftballons über den Platz zieht, wartet ein Saal voller religiöser und politischer Würdenträger auf ihre Rede. „Es sind sehr anstrengende Zeiten für mich. Das neue Amt. Dann hat die UN Palästina als Staat anerkannt. Und jetzt auch noch die Weihnachtsvorbereitungen....“, sagt Vera Baboun. „Aber ich kann ihnen sagen: Als Frau muss man einfach machen, seine Chance ergreifen, sich trauen. So funktioniert Emanzipation“, sagt sie und blickt mir mit ihren blauen Augen fest ins Gesicht. Dass wir beide überhaupt hier gemeinsam sitzen können, ist vielleicht schon ein kleines Weihnachten.

Auf dem Rückweg hält der Bus Nummer 21 am Checkpoint. Alle Reisenden müssen aussteigen, dann gehen israelische Soldaten durch den Bus und prüfen die Gepäckfächer. Bevor wir wieder einsteigen dürfen, werden Pässe und Taschen kontrolliert. Dann darf der Bus weiter nach Jerusalem, wo die Juden derzeit jeden Tag eine Kerze für Chanukka entzünden, jenes Fest, mit dem sie an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels erinnern. Ein Lichterfest – auch das.

StN-Redakteurin Lisa Welzhofer lebt und arbeitet zwei Monate lang in Tel Aviv und berichtet für unsere Zeitung von dort. Sie ist Stipendiatin des „Ernst-Cramer & Teddy Kollek-Fellowship“, das deutschen Journalisten einen Aufenthalt im Nahen Osten ermöglicht.