VDA-Präsident Matthias Wissmann warnt davor, die gesamte Autobranche wegen des Abgasskandals unter Generalverdacht zu stellen Foto: dpa

Im Interview warnt Autoverbandspräsident Matthias Wissmann, nach der VW-Affäre die Dieseltechnologie abzuschreiben. Nur mit dem Diesel seien die Klimaschutzziele zu erreichen.

Berlin - Herr Wissmann, finden Sie eigentlich seit Ausbruch der VW-Affäre schwerer Gehör auf dem politischen Parkett in Berlin und Brüssel?
Als Verband haben wir im Laufe der Jahre durch seriöse Arbeit und handfeste Argumente bei unseren Gesprächspartnern in der Politik viel Vertrauen aufgebaut. Das geht nicht so leicht verloren. Klar ist aber auch, dass es Gegner der Automobilindustrie gibt und dass sie in dieser schwierigen Phase besonders mobilmachen.
Wird der Verband, werden Sie persönlich in Mithaftung genommen?
Nein, die Verantwortlichen in der Politik differenzieren. Sie wissen: Es handelt sich um eine nicht zu entschuldigende Software-Manipulation bei einem großen Mitgliedsunternehmen, aber es besteht kein Anlass, die ganze Branche unter Generalverdacht zu stellen. Diese Grenze wird sehr deutlich gezogen.
Die deutschen Hersteller sind Marktführer beim Diesel. Die Anti-Diesel-Lobby hat Aufwind bekommen in den letzten Monaten. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und anderswo. Wie gefährlich ist das für die Industrie und die Arbeitsplätze im Land?
Der moderne Dieselantrieb ist für die Reduktion von Schadstoffen und für die weitere CO2-Einsparung überaus wichtig. Der heutige Euro-6-Diesel reduziert den Stickoxid-Ausstoß gegenüber seinen Vorgängern sowohl im Labor als auch auf der Straße um etwa zwei Drittel. Zudem emittiert er 15 Prozent CO2 weniger als ein Benziner. Bis wir das Zeitalter der Null-Emission-Antriebe erreicht haben, also etwa mit dem Elektroauto oder der Brennstoffzelle, brauchen wir den Diesel. Nur so werden die ehrgeizigen Klimaschutzziele der EU erfüllt.
Das war die Seite des Klimaschutzes. Wie verwundbar ist die deutsche Industrie, wenn die Dieseltechnologie einen Rückschlag erleidet?
Der Marktanteil des Diesels liegt in Europa gegenwärtig bei über 50 Prozent. Und auch in Deutschland ist jedes zweite verkaufte Auto ein Diesel. Das zeigt: Der Diesel ist zentral für hiesige Wertschöpfung und Beschäftigung. Ich denke aber nicht, dass das große Vertrauen zum Diesel, das die Autofahrer haben, mittelfristig leiden wird. Die aktuellen Verkaufszahlen deuten bisher auch nicht darauf hin. Aber klar ist: Die Verantwortlichen von VW müssen jetzt ihre Aufgaben erledigen, den Skandal schonungslos aufklären und für vollständige Transparenz sorgen. Nur so wird verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen.
Was erwarten Sie von der Politik im kommenden Jahr?
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sollte verstärkt wieder ins Blickfeld der politischen Arbeit rücken. Angesichts hoher Energiepreise und steigender Lohnstückkosten brauchen wir eine Wirtschaftspolitik, die weitere Belastungen für die Industrie vermeidet und die Standortattraktivität erhöht. Dazu gehört etwa, die notwendige Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Zudem sollten die Rahmenbedingungen für die Elektromobilität verbessert werden, etwa bei der Ladeinfrastruktur. Wir fordern ein 10 000-Ladesäulen-Programm, das zur Hälfte von der Wirtschaft und zur Hälfte von der öffentlichen Hand finanziert wird. Derzeit sind wir gerade einmal bei etwa 5600 öffentlichen Ladesäulen. Mindestens genauso wichtig ist eine Beschaffungsoffensive der öffentlichen Hand in Sachen E-Auto: Keineswegs alle Länder, Städte und Gemeinden gehen hier vorbildlich voran. Da erhoffe ich mir einen deutlich größeren Schub in den nächsten Monaten. Außerdem benötigt der Verbraucher Vorteile, wenn er sich für den Kauf eines Elektroautos entscheidet. In allen Ländern, wo der Staat den Kauf fördert, wächst diese Zukunftstechnologie schneller als bei uns. Das zeigen Länder wie Norwegen, die Niederlande, die USA und Großbritannien. Dieser Rückstand muss dringend aufgeholt werden. Schließlich ist das Angebot an E-Fahrzeugen nirgends so groß wie in Deutschland.
Sie fordern eine stärkere steuerliche Förderung?
Ob steuerliche oder direkte Kaufanreize, entscheidend ist, dass der Markthochlauf unterstützt wird. Wichtig ist, dass die Politik jetzt rasch entscheidet, damit die Elektromobilität in Deutschland mehr Fahrt aufnimmt. Es geht ja nicht um Dauersubventionen, sondern um zeitlich begrenzte Startimpulse.
Wie lange dauert es noch, bis Hersteller mit Elektroautos auch Geld verdienen?
Bis es so weit ist, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Aber wir haben einen langen Atem, denn die Elektromobilität ist eine Zukunftstechnologie. Unsere Hersteller setzen darauf, dass im Laufe des nächsten Jahrzehntes dann die hohen Investitionskosten erste Gewinne abwerfen.
Die Klimaschutzdebatte dreht sich vor allem um Autos. Wie steht es um die Nutzfahrzeuge?
Am Standort Baden-Württemberg gibt es da schöne Beispiele, die die enormen Fortschritte dokumentieren. Die Daimler AG etwa hat kürzlich gezeigt, dass man durch die technische Optimierung eines Lastwagens in vielen Details eine Reduktion des Verbrauchs um zwölf oder 14 Prozent erreichen kann. Wir wissen aus dem bundesweiten Feldversuch, dass mit dem Lang-Lkw sogar bis zu 25 Prozent Sprit eingespart werden können. Das heißt: Auch das Nutzfahrzeug wird immer effizienter. Spediteure arbeiten oftmals mit geringen Margen. Deswegen erwarten sie von der Industrie kraftstoffeffiziente Lastwagen, mit denen sie ihre Betriebskosten senken können.
Im Südwesten will der Verkehrsminister auf zwei Autobahnabschnitten ein Tempolimit testen. Was halten Sie davon?
Tests sind immer dann interessant, wenn sie Forschungszwecken dienen. Aber ein vierjähriger Feldversuch auf langen Autobahnabschnitten lässt den Verdacht aufkommen, dass es weniger um neue Erkenntnisse geht als um den Versuch, auf dem Schleichweg der von Herrn Hermann lange verfolgten Idee eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen näher zu kommen. Zahlreiche Studien haben schon gezeigt, dass ein Tempolimit so gut wie keine Effekte auf Lärm und Emissionen hat. Und was die Verkehrssicherheit angeht: Die Autobahnen sind die sichersten Straßen Deutschlands. Es gibt daher keinen Anlass für eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung. Sinnvoller ist es, gezielt an Unfallschwerpunkten oder bei widrigen Witterungsverhältnissen temporär ein Tempolimit zu erlassen.