Immer mehr Väter wollen Zeit mit ihren neu geborenen Kindern verbringen. Foto: dpa

Am Klinikum Stuttgart will man Ärzten und Pflegern ein besseres Miteinander von Familie und Beruf ermöglichen. Auch weil man fürchtet, als Arbeitgeber nicht mehr attraktiv zu sein.

Stuttgart - Die Geschichte von Volker Baisch ist durchaus typisch. Als er vor 14 Jahren eine Tochter bekam, ging er zu seinem Chef und sagte diesem, er möchte ein Jahr Elternzeit nehmen. Die Antwort: „Schön für Sie, aber sie wollen nicht wirklich wieder zurückkommen?“ Er nahm Elternzeit, gründete eine Internetplattform aus der der Lobbyverein Väter gGmbh hervorging. Als deren Geschäftsführer erforscht er seine Schicksalsgenossen, die Väter, und berät immer häufiger Unternehmen, wie man die jungen Männer erst gewinnen und dann halten kann. So war er denn am Montagabend auch in Stuttgart beim ersten Väterabend des Stuttgarter Klinikums. Krankenhausbürgermeister Werner Wölfe war gekommen, Sofie Geisel, Leiterin des Netzwerkbüros „Erfolgsfaktor Familie“ beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, sowie gut 25 Ärzte und Pfleger.

Und die bekamen Erstaunliches von ihrem Chef zu hören: Ein Plädoyer für Teilzeit. Klinikdirektor Jürgen Graf sagte der „Vollzeitmentalität“ den Kampf an. Man müsse die Vorteile der Teilzeit deutlicher machen, den Chef- und Oberärzten zeigen, dass ihre Teams so flexibler werden. „Auf Vollzeit können sie nichts draufpacken“, sagte Graf, aber gerade kurzfristige Schwankungen könne man mit Teilzeit leichter ausgleichen. „Da kann man aufstocken oder in Stoßzeiten auch mal fragen: Kannst Du nicht mal für kurze Zeit mehr machen?“

Da werden vielen anderen Arbeitnehmern die Ohren klingeln, hören sie doch von ihren Chefs, dass Teilzeit nicht gehe, zu kompliziert und zu teuer sei, dass man hernach keineswegs aufstocken könne, und dass die Kinder bei den Frauen doch ohnehin am besten aufgehoben seien.

Nun weiß auch Graf, dass auch am Klinikum noch genügend Chefärzte gibt, die ihre Leute „am liebsten in Vollzeit, und jederzeit, gerne auch noch nachts und am Wochenende, verfügbar haben“. Überhaupt ist trotz vielfältiger Arbeitszeitmodelle noch nicht alles Gold was glänzt. 7000 Beschäftigte hat das Klinikum, 1575 davon sind Männer. 994 sind Väter, doch nur zehn Prozent arbeiten in Teilzeit. In Elternzeit sind momentan 55 Männer.

Zum einen hat diese geringe Quote mit einem selbst zu tun, gestanden die Ärzte. Man wolle Kollegen und Patienten nicht „im Stich lassen“. Natürlich auch mit einer gewissen Eitelkeit, man glaubt sich unverzichtbar. Aber eben auch mit Strukturen, fehlendem Bewusstsein und mangelhafter Organisation. Das muss sich ändern, wissen Wölfle und Graf, will man ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Es gibt Untersuchungen der Branchenverbände, die besagen, dass 2020 jeden zehnte Ärztestelle und jede vierte Pflegestelle unbesetzt bleiben wird. Schlicht, weil die Arbeitskräfte fehlen. Und jene, die sie besetzen sollen, haben ganz andere Vorstellungen von ihrem Leben als noch ihre Eltern. Bei einer Umfrage des Hartmannbundes unter Medizinstunden sagten 85 Prozent, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf das wichtigste Anliegen ist. Gefolgt von dem Wunsch nach geregelter Arbeitszeit. Wölfle: „Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Und uns natürlich auch den Vätern annehmen.“ Das tat man an diesem Abend und lernte: Deren Wünsche unterscheiden sich kaum von denen der Mütter: Mehr Flexibilität im Berufsleben, damit man Zeit für die Kinder hat.