Das Team auf einem Damm im niederländischen Den Helder. Foto: Inventus

Bei der Weltmeisterschaft der Gegenwindfahrzeuge traten Studenten der Uni Stuttgart mit einem revolutionären Konzept an. Die Tücken der Technik holten das Team aber im Rennen ein.

Vaihingen - Das innovativste Ventomobil der Welt steht eingeklemmt zwischen einer Drehbank, einem Werktisch, grünen Schaumstoffplatten und metallenen Stützböcken. Rechts im Eck des Verfügungsgebäudes am Allmandring 5b haben sich die Studenten etwas Platz freigeschaufelt für den Renner, der vor drei Wochen die Konkurrenz und die Jury im niederländischen Den Helder arg beeindruckt hat. So sehr, dass sie höchstoffiziell den Titel des innovativsten Flitzers 2015 bei der Weltmeisterschaft der Gegenwindfahrzeuge bekamen. Denn was das Team Inventus im vergangenen Jahr auf die fingerdünnen Räder gestellt hat, bezieht seine Kraft nicht nur aus der Luft. Es setzt diese auch per Hybridantrieb in Vorschub um.

Einen Stock weiter oben, in einem schmalen Büro, sitzen Marc Wankenmüller und Max Steller. In diesem Raum ist der Rekordrenner in Gedanken entstanden, inmitten eines Sammelsuriums aus geborgten Tischen, Stühlen, Regalen und Computern. Der Innovationspreis „ist eine Bestätigung dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Steller. „Nur leider konnten wir nicht zeigen, wie überlegen das Konzept wirklich ist.“ Denn beim eigentlichen Rennen reichte es nur für Platz drei. Aber dazu später mehr.

Die Studenten setzen auf Revolution statt Evolution

Einmal im Jahr verwandelt sich Den Helder, ein kleines Städtchen nördlich von Amsterdam, in das Mekka der Ventomobilisten. Vereinfacht gesagt geht es dann darum, mit einem Segel auf einem asphaltierten Damm zu fahren, über dessen Krone konstant der Nordseewind streicht. Nur ist das Segel ein Propeller, weil der aerodynamisch weit ausgefeilter ist. Vom Prinzip her ist ein Ventomobil also ein geschrumpftes Windkraftrad auf vier Rädern. Die Blätter stellen sich zudem in den Wind, je nachdem, woher er bläst. Das führt zu der Kuriosität, dass die Vaihinger Studenten gegen den Wind fahren können. Die besten Teams der Welt treten beim Aeolus Race gegeneinander an. Dafür pilgern sie aus aller Herren Länder in der letzten Augustwoche eines jeden Jahres nach Holland.

Die Vaihinger setzten in den vergangenen Jahren auf Evolution statt Revolution. Sie vertrauten immer dem gleichen Wagen, verbesserten ihn aber im Detail, um ihn auf Effizienz zu trimmen. Das reichte 2013 und 2014 für den Vizeweltmeistertitel. Keine schlechte Strategie also. Aber vor einem Jahr „haben wir schon auf der Fahrt nach Hause gewusst, dass wir etwas machen müssen. Das alte Auto war ausgereift“, sagt Steller.

Im Rennen gibt die Elektronik den Geist auf

Als weltweit erstes Team entwickelten sie also einen Hybridantrieb. Sie pflanzten dem Renner einen zweiten, kleineren Rotor auf die Haube. Die großen Blätter hinter dem Fahrer sollten wie gehabt über eine mechanische Welle die Drehbewegung auf die Hinterräder übertragen, was an sich schon eine recht ausgeklügelte Konstruktion voraussetzt, samt eines stufenlosen Automatikgetriebes. Die vorderen Blätter sollten derweil Strom erzeugen. Ein Teil sollte benutzt werden, um die Drehzahl des hinteren Rotors konstant zu halten. Denn bei einer vorher berechneten Geschwindigkeit besitzt das Teil den höchsten Wirkungsgrad. Der Rest würde über einen Elektromotor in der Nabe vorne rechts zusätzlich Schub generieren.

Sollte. Würde. Tatsächlich gab die Elektronik den Geist auf.

Steller und Wankenmüller kreisen um das zwischen Drehbank und Schaumstoff eingeklemmte Ventomobil und erklären die Details. Hier ein Monocoque aus schwarzer Kohlefaser, dort eine Armada an Sensoren, die den Zustand des Fahrzeugs in Echtzeit per Funk auf einen tragbaren Computer übertragen können. Und vorne der zweite Rotor. Wieder. Beim Rennen in Holland war der nämlich abgebaut. „Wir hatten mit der Elektronik ein Riesenproblem“, sagt Wankenmüller. „Und wir konnten den Fehler nicht rechtzeitig finden.“ Die Komponenten waren in Vaihingen zwar einzeln getestet worden. Aber wegen Zeitmangels war das gesamte System erst beim Rennen zusammengebaut worden. Und das Zusammenspiel klappte nicht. Also wurde ohne Hybrid gefahren. „In zwei Nachtschichten haben wir das wieder ausgebaut“, sagt Wankenmüller.

Ein Jahr Zeit, um aus den Fehlern zu lernen

Beim Aeolus Race zählt nicht Geschwindigkeit, sondern Effizienz. Die bemisst sich in Prozent. Über Sieg und Niederlage entscheidet, wie viel der luftigen Energie in Vortrieb umgesetzt wird. Und weil am 23. August an der Nordseeküste fast Windstille herrschte, die Flügelprofile der Gefährte dafür aber nicht ausgelegt sind, fiel die Effizienz in ungeahnte Tiefen. Den Studenten der Technischen Universität Dänemark reichten 62,5 Prozent zum Sieg. Auf den Plätzen folgten das kanadische Team Chinook und die Stuttgarter, bei denen es sich vorerst ausgestromert hatte. Zum Vergleich: In Den Helder hatten die Kanadier 2014 den Weltrekord mit 96,9 Prozent geknackt.

Die Leute von Inventus verfolgen drei Ziele. Erstens wollen sie Weltmeister werden. Wenn schon nicht in diesem Jahr, dann eben im nächsten. „Ich glaube, unser Konzept hat mehr Potenzial, als wir derzeit wissen“, sagt Steller. Die Vermutung liegt jedenfalls nahe, dass sie der Konkurrenz keine Chance gelassen hätten, wenn sie mehr Zeit zum Testen gehabt hätten. „Wir können jetzt ein Jahr lang die Fehler ausmerzen“, sagt Wankenmüller. Selbst wenn die anderen Teams das Konzept kopieren, dürfte es deshalb unwahrscheinlich sein, dass sie die Vaihinger überholen.

Inventus will mehr als Weltmeister werden

Zweitens ist da diese magische Marke von 100 Prozent. Die Kanadier waren schon nah dran, und die Stuttgarter wollen sie knacken. Was sich für den Laien nach Perpetuum mobile anhört, ist theoretisch tatsächlich machbar. Weht der Wind also mit zehn Stundenkilometern, fahren ihm die Studenten mit elf entgegen.

Und drittens gibt es die Konkurrenz im eigenen Haus. Zu ihr soll aufgeschlossen werden. Rennteam und Greenteam treten in der Formula Student an und bauen Rennwagen, die aussehen, als seien sie geschrumpfte Formel-1-Boliden. Die einen verwenden einen Benziner, die anderen Elektromotoren, und beide sind sehr erfolgreich. Studenten, die dem Rennfieber erliegen und während ihrer Zeit an der Uni Teil eines solchen Abenteuers sein wollen, melden sich dort – und üblicherweise eben nicht bei den Ventomobilisten von Inventus. „Wir sind jetzt aber den Ruf losgeworden, eine Seifenkiste mit Windrad zu bauen“, sagt Wankenmüller. „Wir machen das nicht mehr nur zum Spaß. Das ist richtig professionell.“ Das haben inzwischen auch die Sponsoren erkannt und unterstützen die Studenten um einiges großzügiger als früher.