Günter H. mit seinem Verteidiger Stefan Holoch (links) Foto: dpa

Im sogenannten Koffermord-Prozess hat das Landgericht bei der Urteilsverkündung mit einer Überraschung aufgewartet. Die Strafkammer sieht den Tathergang anders als der Ankläger.

Stuttgart - Günter H. bleibt äußerlich völlig ungerührt. Gerade hat Vorsitzende Richterin Regina Rieker-Müller verkündet, der 48-Jährige sei des Totschlags an Sylvie C. und des Mordes an Peter G. schuldig. Das zwingend zu verhängende Urteil: lebenslang. „Ich plädiere auf unschuldig“, hatte der gelernte Maurer zuvor noch gesagt.

Das Strafmaß überrascht nicht. Auch der Staatsanwalt hatte lebenslang beantragt – allerdings nicht wegen Mordes, sondern wegen zweifachen Totschlags. Den Paukenschlag setzt die 1. Strafkammer mit einer neuen Version des Tathergangs, die von der des Anklägers abweicht.

Es ist die Nacht auf den 30. Mai 2014. Günter H. hat Sylvie C. (47) und ihren Freund Peter G. (50), die er aus der Trinkerszene vom Ostendplatz her kennt, zu sich in seine Wohnung in Gablenberg zum Zechen mitgenommen. Seine Gäste sind alkoholisiert und haben verschiedene Medikamente intus. Peter G., in der Szene Schwarzer Peter genannt, legt sich irgendwann auf den Boden und schläft ein. Der Angeklagte und die alkoholkranke Mutter eines Sohnes gehen in ein Lokal im Stuttgarter Osten, wo sie als verliebtes Paar wahrgenommen werden. Sie essen, sie trinken, sie turteln. Gegen 2.30 Uhr kommen sie in die Wohnung zurück. Nach Überzeugung der Strafkammer will Günter H. Sex. Warum es nicht dazu kommt, bleibt unklar. Jedenfalls ist der 48-jährige Hüne wütend. Er rammt der Frau ein Messer tief in den Hals. Die 47-Jährige verblutet.

„Er beschloss, den Peter als einzigen möglichen Zeugen auszuschalten“, so die Richterin. Staatsanwalt Wolfgang Friedrich ging in seinem Plädoyer dagegen davon aus, Günter H. habe erst den Mann getötet. Nicht so die Strafkammer. Als Sylvie C. im Sterben lag, habe der Angeklagte den 50-Jährigen „schnell und effizient“ ermordet – heimtückisch, weil er schlief, und um den Totschlag an Sylvie C. zu verdecken.

Mit einem zehn Kilogramm schweren Feuerlöscher habe der 48-Jährige den Schädel des Mannes zertrümmert. „Der Kopf war auf einer Seite total zerstört“, so die Richterin. Günter H. habe dann seine Aggressionen an den Leichen ausgelebt – mit einem Messer, einem Küchenbeil, womöglich auch noch mit einem Bohrer.

An der Leiche des Mannes stellten die Rechtsmediziner rund ein Dutzend Stiche und Schnitte fest. Ein Schnitt am Hals war so tief und lang, dass man annehmen könne, Günter H. habe den Kopf abtrennen wollen. Er verstümmelte die Genitalien des Peter G. und pumpte der Leiche Pulver aus dem Feuerlöscher in den Mund. Auch die Leiche der gelernten Verkäuferin Sylvie C. wies mehrere Stiche und Schnitte auf, die ihr der Angeklagte post mortem zugefügt hat. So sehen es die Richterinnen und Richter der 1. Strafkammer. Danach habe Günter H. die nackten Leichen in zwei Rollkoffer gepresst, die Wohnung geputzt und die Kleidung der Opfer sowie den Feuerlöscher entsorgt. Die Koffer schaffte er mit seinem Fahrradanhänger mit zwei Touren in den Schlossgarten, wo sie am 1. Juni entdeckt worden waren. Am 16. Juni nahm die Polizei den 48-Jährigen bei einem Kumpel in Stuttgart fest.

Die Version des Angeklagten, Sylvie C. habe ihren Freund aus Hass getötet und sich dann selbst mit einem Spanngurt stranguliert, hat bei der Strafkammer keine Chance. „Die Frau hatte überhaupt kein Motiv“, so Richterin Rieker-Müller. Auch der Vorwurf des Angeklagten, Polizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizin hätten ein Komplott gegen ihn geschmiedet, um ihn als „Volksschädling“ eliminieren zu können, sei widerlegt, so die Richterin.

Günter H. sagt, man habe den Leichen die schlimmen Verletzungen nachträglich zugefügt, um die Strangulationsspuren zu vertuschen und ihm so den Mord anhängen zu können. „Die Kammer ist sicher, dass es keine Manipulationen an den Leichen gegeben hat“, sagt die Richterin. Schließlich stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. „Wir haben zwei tote Menschen, beim männlichen Opfer zwei Mordmerkmale und die Verstümmelung“, so die Richterin. Zudem sei Günter H. mehrfach vorbestraft, auch wegen Gewaltdelikten. Zu allem Übel stehe er derzeit auch noch unter Bewährung. Nach diesem Urteil kann Günter H. nicht nach 15 Jahren entlassen werden. Von der Verhängung der Sicherungsverwahrung sieht die Strafkammer ab.

Noch aber ist das Urteil nicht rechtskräftig. Verteidiger Stefan Holoch, der auf einfachen Totschlag und auf sieben Jahre plädiert hatte, wird zusammen mit seinem Mandanten Revision einlegen. Selbst der erfahrene Strafverteidiger zeigt sich überrascht. „Die Kammer geht von einem sexuellen Motiv aus – das ist neu“, so Holoch. Man habe eine Schlacht verloren, nicht den Krieg. Es liege immer noch zu viel in dichtem Nebel. Es sei nicht nachgewiesen, dass Günter H. den Peter G. getötet habe. Jetzt müsse sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall beschäftigen.

Am Ende wird Günter H., einst in der Finanzbranche tätig, dann abgestürzt, abgeführt – wie immer in Fußfesseln und mit einer Jacke über dem Kopf.