Ratko Mladic vor Gericht in Den Haag Foto: AP

Das Urteil gegen den Serbengeneral Ratko Mladic ist ein Sieg für die Gerechtigkeit – er hätte das Morden, Vergewaltigen und Foltern in Bosnien an vielen Stellen stoppen können. Seine ideologische Saat auszureißen, ist ungleich schwerer, schreibt Christoph Reisinger.

Stuttgart - Mit Ratko Mladic verschwindet ein Gesicht des Terrors. Jener maximal verheerenden Variante von Terrorismus, die von Staatsführungen und ihren Männern fürs ganz besonders Grobe ausgeht. Das ist die Variante, die zu einem prägenden Merkmal der europäischen Geschichte im vergangenen Jahrhundert geworden ist. Nach 1945 allerdings nur noch im berstenden Jugoslawien.

Insofern steht das Lebenslänglich-Urteil über den ehemaligen jugoslawischen General, der während des Kriegs von 1992 bis 1995 alle Streitkräfte der Serben in Bosnien befehligte, hoffentlich endgültig für einen Schlusspunkt. Zumindest unter dieses besonders blutige Kapitel des Terrorismus in Europa.

Auch vor Gericht blieb er rassistisch und ultranationalistisch

Es sind seine Taten in Kombination mit seiner noch am Tag der Verurteilung zur Schau getragenen rassistischen, ultranationalistischen und geschichtsklitternden Weltanschauung, die zur historischen Gewissheit machen: Der Krieg des Ratko Mladic und der ihn tragenden politischen Kräfte war ein Vernichtungskrieg. Darin gehören Terror sowie Ausrottung oder Vertreibung aller Missliebigen nicht nur zu den Mitteln, sondern nachgerade zu den Zielen. Insofern steht das juristische Urteil über Mladic in Einklang mit der historischen Rolle dieses Mannes. Nur noch ein paar ewiggestrige Nationalisten wollen in ihm etwas anderes erkennen als einen brutalen Menschenschinder.

Der Mord an rund 8000 männlichen Bosniaken in der – welch menschenverachtende Ironie – von den UN zur „Schutzzone“ erklärten, aber nicht geschützten bosnischen Stadt Srebrenica im Juli 1995 steht stellvertretend für die Taten Mladics. Zugegeben, die hat er nicht alleine ausgeführt. Aber sie sind in seinem Kommandobereich geschehen, Mörder und Sadisten erfreuten sich der Gunst des Generals. Und seine Stellung in der Serbenrepublik innerhalb Bosniens war so stark, dass er das Morden, Brennen, Vergewaltigen und Foltern an vielen Stellen hätte stoppen können. Wenn er nur gewollt hätte. Dass es Verbrechen dieser Art auch aufseiten der kroatischen oder bosniakischen Feinde der Serben gab, entlastet Mladic nicht. Gräuel lassen sich nicht miteinander verrechnen.

Die ideologische Saat ist noch da

Das Urteil macht nichts ungeschehen. Aber Opfern und Hinterbliebenen wird doch insoweit Genugtuung zuteil, als die Fragen von Schuld geklärt, die Verbrechen als solche benannt sind. Für die Normalisierung einer hochgradig traumatisierten Gesellschaft wie der bosnischen, in der vor 25 Jahren Nachbarn über Nachbarn, Mannschaftskameraden übereinander, Kollegen über Kolleginnen hergefallen sind, spielt das eine große Rolle.

Der Abschluss des letzten großen Verfahrens wegen Kriegsverbrechen aus jener Zeit öffnet auch politisch Wege nach vorn. Die Bearbeitung der schwer belasteten gemeinsamen Vergangenheit erleichtert es Serbien und seinen ehemaligen Kriegsgegnern, den Weg Richtung EU weiterzugehen. Weil das Urteil gegen Mladic wie auch die früheren des Internationalen Tribunals unterstreicht, dass die terroristischen Kräfte von gestern auf ganzer Linie gescheitert sind.

Bosnien allerdings ist in dem politischen System erstarrt, das mit dem Friedensvertrag von Dayton 1995, als Übergangslösung gedacht, gekommen ist. Viele Kräfte von gestern machen sich darin breit. In allen Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens gibt es starke nationalistische Strömungen, in der Nachbarschaft nehmen sie erschreckend zu. Einen Staatsterroristen wie Mladic wegsperren ist das eine. Die ideologische Saat auszureißen, aus der seine Verbrechen erwachsen sind, bleibt eine ungleich größere Aufgabe.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de