Ein hungerndes Kind in Afrika. Derzeit gibt es weltweit etwa 840 Millionen Menschen, die unterernährt sind Foto: dpa

StN-Interview - „Er habe wenig Zeit“, sagt Josef Schmidhuber. Ein Interview zum Welthunger, führe er aber gern. Im Taxi zum Flughafen findet das Gespräch statt. An seinem Ende steht die Erkenntnis: Es gibt noch Hoffnung.

Stuttgart - Herr Schmidhuber, wie stark hungert die Welt?
Derzeit gibt es weltweit etwa 840 Millionen Menschen, die unterernährt sind. Darüber hinaus leiden aber noch weitere zwei Milliarden Menschen an unzureichendem Zugang zu Vitaminen und Mineralstoffen. Das führt zu einer höheren Krankheitsanfälligkeit oder zu Entwicklungsdefiziten, besonders bei Kindern. Aber auch handfeste volkswirtschaftliche Schäden sind die Folge. Würde ein Land wie Bangladesch beispielsweise den grassierenden Eisenmangel in den Griff bekommen, wäre das jährliche Wirtschaftswachstum etwa ein Prozent höher.
Wieso das?
Eisenmangel führt zu Müdigkeit und Apathie. Deswegen ist Bangladeschs Bevölkerung bei weitem nicht so produktiv, wie sie es sein könnte. Auch in anderen Teilen Asiens und in Afrika ist das ein Problem, das die wirtschaftliche Entwicklung erschwert.
Unterernährung ist also nicht ein menschliches, sondern auch ein ökonomisches Fiasko?
Absolut. Wir schätzten bereits vor 10 Jahren, dass die volkswirtschaftlichen Kosten des Hungers sich auf mindestens 500 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Seither sind die Kosten wahrscheinlich weiter gestiegen. Ihn zu bekämpfen, wäre viel günstiger, als seine Schäden im Nachhinein auszugleichen. Volkswirtschaftlich gesprochen haben wir es hier mit Marktversagen zu tun.
Wer ist dafür verantwortlich?
Man kann nicht auf einzelne zeigen. Sowohl die entwickelten Staaten als auch die Entwicklungsländer tragen Schuld. Beide Gruppen tun zu wenig, um das Problem der Unter- und Mangelernährung in den Griff zu bekommen.
Jahrzehnte haben die entwickelten Staaten die Entwicklungsländer wirtschaftlich ausgebeutet. Nun steht Europa vor einem massiven Flüchtlingsproblem, das aus Armut resultiert. Sehen Sie einen Zusammenhang?
Es wurde versäumt, nachhaltige bäuerliche Strukturen aufzubauen. Diese sind aber zentral für die Nahrungssicherung. Wir müssen einfach verstehen, dass 75 Prozent aller Armen weltweit in ländlichen Gebieten leben. 90 Prozent davon sind direkt von der Landwirtschaft abhängig. Entwicklung kann somit nur über eine Stärkung der Landwirtschaft und insbesondere der Kleinbauern stattfinden. Die Produktivität und die Einkommen der Landbevölkerung in den Entwicklungsländern zu steigern, ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Armut.
Wie kann es sein, dass Rohstoff-Nationen wie Sambia oder die Demokratische Republik Kongo ihre Bevölkerung nicht ernähren können?
Die Probleme sind immer dieselben. Mangelnde Investitionen in die Landwirtschaft, kombiniert mit Bad Governance, also schlechte Regierungsführung, fehlende Rechtssicherheit, und Korruption sind wiederkehrende Probleme in solchen Staaten. Dazu kommen oft jahrzehntelange Bürgerkriege, die nachhaltige Entwicklung unmöglich machen. Diese Staaten versagen darin, ihren Bürgern Sicherheit, funktionierende Institutionen und Rechtsysteme bereitzustellen.
Landgrabbing, also der großflächige Kauf von Land durch fremde Staaten, ist ein relativ neues Phänomen. Verschlimmert das die Lage in armen Ländern?
Zunächst einmal sind es nicht nur fremde Staaten, die sich Flächen in Entwicklungsländern aneignen. In Sambia beispielsweise sichern sich lokale Kräfte in großem Stil Ackerland, das bislang von der einheimischen Bevölkerung bewirtschaftet wurde. Das dient oft spekulativen Zwecken. Das gleiche trifft oft auf ausländische Investoren zu, allerdings nicht immer und nicht überall. China und die nordafrikanischen Staaten zum Beispiel sichern sich oft auch Flächen, um ihre eigene Bevölkerung ernähren zu können. Dadurch stimulieren sie aber auch technischen Fortschritt. 40 Prozent der neueren Straßen in Afrika südlich der Sahara wurden von Chinesen gebaut. Ausländische Investoren sorgen zudem für effizientere landwirtschaftliche Produktionsweisen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass in vielen Fällen lokale Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. An diesem Punkt muss die Entwicklungspolitik ansetzen.
Wie sicher ist die Welternährung in den kommenden Jahrzehnten überhaupt?
In absoluten Zahlen kommt die Bekämpfung der Armut nur schleppend voran. Anfang der 1990er Jahre litten etwa eine Milliarde Menschen an Hunger. Heute sind es wie gesagt 840 Millionen. Allerdings gab es gleichzeitig weiteres Bevölkerungswachstum und gemessen an der gewachsenen Bevölkerung ist dieser Fortschritt beachtlich. Wir sind derzeit auf gutem Weg, den Hunger zwischen 1990 und 2015 prozentual zu halbieren. Damit hätten wir auch die Millenniumziele der Vereinten Nationen in diesem Punkt erreicht.
Wird diese positive Entwicklung nach 2015 weitergehen?
Ja, die Frage ist nur wie schnell wir Verbesserungen erreichen können. Ich empfehle den reichen Staaten, die Anstrengungen zu intensivieren. Die Lösung der Armutsfrage, vor allem in ländlichen Gebieten, ist zentral für andere drängende Probleme wie Migration und Konfliktintensität. 50 Milliarden Dollar an zusätzlichen öffentlichen Investitionen jährlich würden reichen, um substanzielle Fortschritte zu machen. So könnte die Zahl der Unterernährten bis 2025 auf unter 200 Millionen Menschen sinken.
Um Felder zu bewirtschaften, braucht man Wasser. Wird es in Zukunft knapp werden?
Wasser ist das wichtigste Produktionsmittel in der Landwirtschaft überhaupt. Bewässerte Anbauflächen produzieren weltweit 44 Prozent aller Nahrungsmittel und über 60 Prozent allen Getreides. Und Bewässerung wird immer wichtiger. Dennoch wird uns das Wasser nicht ausgehen.
Wenn der Klimawandel die Prognosen nicht durchkreuzt…
In der Tat wird Wasserknappheit in Zukunft die größte Herausforderung für die Nahrungssicherung sein, allerdings auf regionaler Ebene, nicht auf globaler. Die meisten Studien gehen derzeit davon aus, dass sich ein moderater Klimawandel von bis zu 1,5 Grad Temperaturanstieg positiv auf die Landwirtschaft auswirken wird. Landwirtschaft in gemäßigten Klimaten wird in diesem Szenario begünstigt und große Flächen Russlands und Kanadas könnten dann zusätzlich in die Produktion genommen werden. Dieser Effekt überkompensiert Ernteausfälle wegen Dürren in anderen Gebieten. Eine Temperaturerwärmung über zwei Grad Celsius wäre dagegen fatal für die Landwirtschaft, zumindest global gesehen.
Preissprünge bei Nahrungsmitteln sind ein Phänomen, das vor allem das Leben der Ärmsten bedroht. Manche geben 80 Prozent ihres Monatseinkommens nur für Nahrung aus. Was begründet das Auf und Ab der Preise?
Preisschwankungen und -rallyes bei Lebensmitteln hängen eng mit den weltweiten Vorräten zusammen. Sie sind die Puffer, die über Jahrzehnte hinweg Preisausschläge zuverlässig eingeebnet haben. In den vergangenen Jahren sind die Lager zusehends zusammengeschmolzen. 2007, 2008, 2010 und 2012 hatten wir Situationen, in denen die Vorräte auf sehr niedrigem Niveau waren. Das hat bei gleichzeitig schlechten oder oft nur mittelmäßigen Ernten zu massiven Preisausschlägen geführt. Es gab schlicht fast keine Lebensmittel mehr, die man auf den Markt hätte werfen können. Die Preise schossen daher in die Höhe. Zeiten wie in den 1980er Jahren, wo die weltweiten Vorräte bei Mais den Jahresverbrauch fast zu 100 Prozent abdecken konnten, sind vorbei. Daher wird das Welternährungssystem krisenanfälliger. Dass immer mehr Nahrungsmittel zur Energieproduktion verwendet werden, verstärkt diese Entwicklung.
Weltbank und Weltwährungsfonds haben in den 1980er und 1990er Jahren auf den Abbau der großen Nahrungsvorräte gedrungen. Trifft sie eine Mitschuld am Welthunger?
Im Nachhinein muss man sagen, dass Fehler gemacht wurden. In der damaligen Situation war das aber nicht absehbar. Die Weltbank verwaltet das Geld der Gebernationen, auch von Deutschland, und muss es effizient einsetzen. Daher wurde versucht, die teure Lagerhaltung zu begrenzen.
Welchen Einfluss haben Zocker und Spekulanten auf Preissprünge bei Nahrungsmitteln?
Der Beweis, dass Nahrungsmittelspekulation die Versorgungslage verschlechtert, ist noch nicht erbracht worden. Jeder redet darüber, aber stichhaltige Beweise gibt es nicht. Warenterminmärkte abzuschaffen wäre wohl das verkehrteste Mittel. Diese Instrumente sind vielmehr ein Bestandteil der Agrarmärkte, die Markttransparenz, Preisfindung und Risikomanagement ermöglichen.
Wie bitte? Dass mit Lebensmittel gezockt wird, ist kein Problem?
Der Märkte sind grundsätzlich funktionsfähig. Wo ich Veränderungsbedarf sehe, ist beim Hochfrequenzhandel. Dort werden Nahrungsmittel im Millisekundentakt über den Globus geschoben. Das dient niemandem, außer den Händlern und wenn Maschinen Lebensmittel an Maschinen verkaufen dann schafft das nicht unbedingt mehr Transparenz. Davon mal abgesehen, sehe ich keine lang- und mittelfristigen Einflüsse der Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise. -