Sperrmüllberge an der Dessauer Straße im Hallschlag: Die Flüchtlinge mussten Sachen zurücklassen, weil ihre Möbel oft nicht in die Systembauten passen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Rund 2400 Flüchtlinge ziehen in den Monaten Juli, August und September innerhalb Stuttgarts um. Bei manchen sorgt das für Unmut.

Stuttgart - Viele Flüchtlinge werden aktuell innerhalb Stuttgarts in neue Unterkünfte verlegt. Das Sozialamt koordiniert allein in den Monaten Juli, August und September die Umzüge von mehr als 2400 Personen. Rund 2000 ziehen aus großen Interimsunterkünften aus – sie verlassen Turnhallen, Waldheime, Schulen, die Schleyerhalle. Hinzu kommen rund 400 Flüchtlinge, die in Wohnungen der SWSG untergebracht gewesen sind.

Die Unterkunftswechsel sorgen zum Teil für Unmut – vor allem bei Flüchtlingen, deren Wohnraum sich verkleinert. „Menschlich ist das nachvollziehbar“, sagt der Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Neben der Größe der Zimmer spielen auch aufgebaute soziale Beziehungen und gewohnte Wege eine Rolle. Ein Mann beispielsweise habe sogar die Halle II der Schleyerhalle, in der er mit 450 Menschen unter einem Dach lebte, nicht verlassen wollen. Die Unterkunft wird im September aufgegeben. Der Flüchtling habe dann eine Verlegung innerhalb des Bezirks gefordert, berichtet Spatz. Sonderwünsche könne man aber nicht erfüllen.

Im Fall einer ehemaligen Schule in der Gorch-Fock-Straße in Sillenbuch kommt das Sozialamt aber dem Wunsch der Flüchtlinge und Ehrenamtlichen nach, die Menschen nicht in einen Systembau in Untertürkheim zu verlegen. Dieser böte einen höheren Standard als der Schulpavillon, doch die Flüchtlinge wollen in Sillenbuch bleiben. Da die Schule nur neu belegt werden sollte, ist das Sozialamt einverstanden.

Betroffener fällt die Umstellung schwer

Sperrmüllberge säumen hingegen am Hallschlag die Dessauer Straße – vor einer Woche mussten dort die Flüchtlinge ausziehen, an diesem Montag folgen die Flüchtlinge aus Wohnungen in der Lübecker Straße. Was nicht ins neue Zimmer passt, haben die Bewohner zurückgelassen. „Wir haben auch säckeweise Kleidung vor der Tür stehen gehabt, die aus unserer Kleiderkammer stammte“, erzählt der pädagogische Heimleiter Norbert Wetsches von der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW).

Sainab S., eine Frau aus Gambia, gehört zu den ehemaligen Flüchtlingen aus der Dessauer Straße. Der Umzug aus einem Zimmer in einer Wohnung in einen Systembau in der Quellenstraße ist schwer für sie gewesen. Das neue Zimmer ist kleiner, einen Teil ihrer Möbel musste die Mutter einer Zweieinhalbjährigen und eines Babys zurücklassen. „Ich habe Kopfschmerzen, mir geht es nicht gut“, sagt Sainab S., auf dem Schoß hat sie das Baby, die Tochter hüpft auf der Matratze. „Sie ist sehr anstrengend seit dem Umzug“, sagt die 22-Jährige.

In das Zimmer hat Sainab S. mithilfe einer Ehrenamtlichen gebracht, was irgendwie passte: Kommoden für die Kindersachen, die Windeln und das Babyessen, einen Schrank für Nahrungsmittel, einen großen Kühlschrank, Teppiche, ihr Bett, indem sie zu dritt schlafen, einen Couchtisch, einen Fernseher. Sainab S. muss sich damit abfinden, nun mit 24 Menschen auf einem Flur zu leben, mit denen sie Gemeinschaftstoiletten, Gemeinschaftsduschen und eine Gemeinschaftsküche teilt. Sie versteht nicht, warum das Wasser der Duschen so schnell automatisch ausgeht und was der Schalter in der Küche soll, der alle paar Minuten gedrückt werden muss, wenn man verhindern will, dass die Herdplatten kalt werden – eine Brandschutzmaßnahme.

Matratzen des Sozialamts sind schwer entflammbar

„Wir müssen Sicherheitsaspekte berücksichtigen“, sagt der Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Er weiß, dass es den Menschen schwerfällt, die Wohnungen zu verlassen, die mehr Komfort bieten als ein Systembau. Er sieht es zudem „teilweise mit Sorge“, dass Flüchtlinge sich beim Sperrmüll Möbel organisieren und diese den gestellten vorziehen. „Unsere Matratzen sind schwer entflammbar“, erklärt er. Eine maßvolle Umgestaltungen toleriere man. Bei Wohnungen könne man aber großzügiger sein als bei Systembauten.

„Den Flüchtlingen wurde von Anfang an gesagt, dass die Unterbringung in den Wohnungen vorübergehend ist“, betont Spatz. Und: „Das sind keine Mietwohnungen.“ Man sei der SWSG sehr dankbar und halte sich an die Termine. Im September müssten an folgenden Standorten die Wohnungen frei sein: Dessauer und Lübecker Straße im Hallschlag (231 Flüchtlinge), Rotenbergstraße im Osten ( 114 Personen), Zum-steegstraße in Botnang (61 Personen).

Norbert Wetsches von der AGDW lobt das Sozialamt wegen der Umzüge: „Wir sind zum Beispiel gefragt worden, welche Flüchtlinge gut miteinander können und welche nicht, damit bei der Belegung darauf Rücksicht genommen werden kann.“ Wetsches glaubt, dass sich die Aufregung bei den Betroffenen wieder legen wird.

Neue Systembauten werden baulich angepasst

Ehrenamtliche bedauern es aber, dass die Flüchtlinge in den Wohnungen nicht länger bleiben konnten und nun den „persönlichen Wohnraum verlieren, in dem sie begonnen haben, sich einzurichten, in dem sie sich etwas zurückziehen, ein bisschen sie selbst sein konnten“, wie es Gesine Kulcke vom Freundeskreis Hallschlag ausdrückt. Die Systembauten lägen dagegen im Gewerbegebiet.

„Im Moment ist das Gelände in der Quellenstraße sehr unwirtlich“, meint auch Ursel Beck von der Mieter/Bürgerinitiative Hallschlag, die das Projekt kritisiert (siehe Infokasten) und befürchtet, dass „die meisten Flüchtlinge wohl nicht mehr aus den Systembauten herauskommen“.

Aktuell kommen vor allem Familien nach Stuttgart

Inzwischen werden Flüchtlinge tatsächlich immer länger untergebracht. Man versuche, die Menschen nach zwei Jahren in kleinere Einheiten zu verlegen, sagt der Sozialamtsleiter. „Aber die Systembauten werden auch der Anschlussunterbringung dienen“, stellt er klar. Baulich werden diese deshalb angepasst. Die neuen Systembauten, in denen Ende des Jahres vorwiegend Menschen mit Bleiberecht untergebracht werden sollen, bekämen Zwischentüren zwischen den Zimmern. Das erleichtere gerade Familien den Alltag, wenn man nicht immer über den Flur muss, um zu den Kindern zu kommen. Die Familien könnten dann auch das eine Zimmer zum Schlafen, das andere zum Wohnen nutzen. Aktuell kämen so viele Familien wie noch nie: 68 Prozent der Flüchtlinge, die Stuttgart bekomme, seien Familien.